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Der fliegende Holländer

Entstehung

ERSTER AUFZUG

Knapp vor dem Heimathafen hat ein Sturm die sichere Ankunft verhindern des norwegischen Handelskapitäns Daland vereitelt. Er hat sein Schiff in eine sichere Bucht maövrieren lassen. Den Steuermann bittet er Wache zu halten, während die Mannschaft sich ausruhen darf. Der Steuermann trällert ein fröhliches Lied, doch ist auch er völlig übermüdet. Er schläft ein.

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Der fliegende Holländer

INHALT und MUSIK

Vom Fliegenden Holländer gibt es mehrere musikalische Fassungen. Die erste stammt nicht einmal von Wagner...

Pierre-Louis Dietsch

Aus Geldnot sah Wagner sich gezwungen, die Idee zu diesem Werk - in Form eines Handlungsentwurfs in Prosa, wie er ihn für all seine Werke vorab notierte - an die Pariser Oper zu verkaufen. Ihm selbst gelang es nicht, einen Kompos...

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Rienzi

Große tragische Oper in fünf Akten

AUFNAHMEN

PERSONEN DER HANDLUNG

Cola Rienzi, päpstlicher Notar (Tenor) - Irene, seine Schwester (Sopran) - Stefano Colonna, Haupt der Colonna (Baß) - Adriano, sein Sohn (Tenor) - Paolo Orsini, Haupt der Orsini (Bariton) - Raimondo, päpstlicher Legat (Baß) - Baroncelli, römischer Bürger (Tenor) Cecco del Vecchio, römischer Bürger - Ein Friedensb...

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Richard Wagner

Wagner

ein feuilletonistischer Versuch

Holzschnitt von Félix Vallotton (1891)

Am Anfang stehen „Noth und Sorge“; und eine Kindesweglegung. Richard Wagner, junger Dichter-Komponist, ist frustriert über das Desinteresse, dem er sich in Paris ausgesetzt sieht. In der Stadt hat er gehofft,als Opernkomponist sein Glück zu machen. Jetzt verkauft er seinen „Fliegenden Holländer“. Einen Kompositionsauftrag will man ihm für das Szenarium nicht geben.

Aber die Handlung scheint interessant – ein anderer wird „Vaisseau fantome“ vertonen.

Allein, die Sehnsucht, die eigenen Erlebnisse, die hier „verdichtet“ sind, selbst in Musik zu setzen, ist zu stark, als dass sie sich aus pekuniären Überlegungen ganz unterdrücken ließe.
So beginnt auch Wagner, den „Fliegenden Holländer“ zu komponieren.
Es ist ja doch sein Stück.

In Wahrheit hat sich da manches schon quasi selbst komponiert. Die Sturmmusik, die zu Beginn der Ouvertüre erklingt: So hat der Wind den Komponisten umsaust, als er auf der Flucht vor seinen Gläubigern einen Seelenverkäufer Richtung London bestieg, der dann tagelang auf dem Meer Poseidons Gewalten ausgesetzt war. Der unauslöschliche Eindruck hat sich in Klänge verwandelt.

Das ist die Hauptsache.
Mag Herr Pierre-Louis Dietsch versuchen, das „Geisterschiff“ mit artigen französischen Arien zum Bühnenleben zu erwecken. Wagners musikalische Vision ist schon da.

Die brutal-unausweichliche Sturmböe, die dem Auftakt zu seinem ersten vollgültigen Musikdrama ihren unverwechselbaren Charakter verleiht, sie könnte der Keim des ganzen Stückes gewesen sein; eine Natur-Impression, aus der die Handlung sozusagen herauswächst.

Diese Geburt der Tragödie aus dem Geist des Klangerlebnisses ist es, die Wagner zu Wagner macht.

Die Anfänge sind wichtig, weniger das, was jeweils zuletzt aus der vom Urknall freigegebenen Masse wird.Erlösungsschluss? Der Komponist verpasst seinem „Fliegenden Holländer“ einen solchen in einer späteren Phase.

Wie er manches relativiert an den ursprünglichen Gedanken seiner Theatergedichte.
Weltanschauungen wechseln.
Die Gewalt der musikalischen Zeugung, der klingenden Metamorphose scheint hingegen völlig unabhängig von der Frage, was bei dem Experiment am Ende herauskommen soll.

Wagner komponiert, wie er als Revoluzzer im Mai 1849 in Dresden auf den Barrikaden predigt. Sobald realiter geschossen wird, ist er nicht mehr zu sehen. Die großen Gebäude, die er als Revolutionstheoretiker entwickelt, lassen jedoch nichts an visionärer Energie zu wünschen übrig.Dem Augenblick verdanken wir auch die Initialzündung zum „Ring des Nibelungen“.

Siegfried, die „Grand Opera“

„Siegfrieds Tod“, noch ganz in der Formenwelt der französischen Grand Opéra verhaftet, hat zunächst einen versöhnlichen Schluss: Die Welt geht zwar unter, doch der „ewige Allvater“ soll auch die erneuerte Erde beherrschen. Sehr bald wird aus diesem Plädoyer für die konstitutionelle Monarchie der Aufruf zur Revolution.
Die Ewigkeit hat abzudanken.
Götterdämmerung.
Die Schlussworte der Brünnhilde wird Wagner über die Jahre und Jahrzehnte hin dann immer wieder umdichten, einmal fernöstlich-mystizistisch, dann wieder als Liebesapotheose.
Doch vertont er 1874 das mittlerweile ein Vierteljahrhundert alte revolutionäre Finale.

Ist es wichtig, welche Version seines Finales Wagner nach Gründung des deutschen Kaiserreiches in Töne setzt?
Ist die Frage entscheidend, wie der „Ring des Nibelungen“ nach vier langen Abenden endet?
Man möge auf die Musik hören, beschied uns der Meister selbst, die enthalte doch alles, was er zu dichten versucht hatte, recht deutlich dechiffrierbar.Und wenn ein Hörer nicht imstande ist, lauschend Rätsel zu lösen?
Was macht das?
„Chacun à son goût“ – das vertont ein anderer, auch 1874, notabene in derselben Tonart.

16 Stunden Weltuntergangs-Szenarium genügen einem Viertages-Spiel vollauf als Programm. Aufstieg und Fall der Burg Walhall sind das Thema. Der Weg ist das Ziel.
Am Ende der „Götterdämmerung“ steht eineRegieanweisung, an der auch die Regisseure scheitern, die es bis hierher mit Anstand geschafft haben mögen (es sind ihrer nicht viele) – da schaut die Menschheit „in wachsender Ergriffenheit“ zu, wie die alte Welt versinkt.
Die Götter gehen unter.
Die Leut‘ überleben.
Kinder, schafft Neues!, ruft Wagner ihnen zu.

Schon für den Holländer und Senta hat er vor allem einmal die Schürzung des dramaturgischen Knotens parat und die unabdingbare „Treue bis zum Tod“.
Ob die beiden nach erfolgtem Suizid verklärt werden oder auf den Meeresgrund versinken, gleichviel.
Scharfe Schnitte, wie im ersten Entwurf?
Oderdoch die harfenumrauschte Erlösungsvariante, zu der das Paar nach Sentas Freitod verklärt himmelwärts entschwebt – an der Brisanz des Dramas, das aus den sausenden Sturmklängen der Ouvertüre herausgewachsen ist, ändert die Schlussvariante so wenig wie die forwährenden Korrekturen, die Wagner im Laufe der Zeit auch an seiner nächstfolgenden Oper, dem „Tannhäuser“, vornimmt.

Ein Tanz in Paris

Die Geschichte von der Balletteinlage für Paris, die an des Komponisten Sturschädel scheiterte, wird gern erzählt. Doch führt sie uns in die Irre. So viel stimmt immerhin: Gegen den Willen der Herren des Jockeyclubs setzt Wagner die Tanznummer an den Anfang des Stückes, nicht ins Zentrum, wo der Sängerkrieg ungestört seine Wirkung entfalten soll. Doch die als „Pariser Fassung“ in dieAufführungsgeschichte eingegangene Version, in der das Venusberg-Bacchanal aus der Ouvertüre herausbricht, der erste nahtlose Übergang von einem „Vorspiel“ in die Opernhandlung, stammt erst von der Wiener Revision von 1875.

Erst in Wien hat der „Tannhäuser“ seine Anpassung an die Ideen vom „Kunstwerk der Zukunft“ erfahren, indem es geschlossene Arien und Ensembleszenen nicht mehr geben darf, eine Ouvertüre gar, nach der dem Orchester applaudiert werden könnte.Die Vorstellungen vom stundenlangen ununterbrochenen Erzählfluss eines Dramas scheinen freilich die konsequente Weiterentwicklung des Urknall-Effekts vom Beginn der „Holländer“-Ouvertüre.
Nur dass es im „Holländer“ dann doch Monologe, Lieder, Balladen, Duette, „Arbeiterchöre“ gibt, die sich mühelos auch gesondert aufführen lassen. – Noch im „Tannhäuser“ finden sich die alten Strukturen, experimenteller aufgerauht allerdings, bevor im „Lohengrin“ erstmals weite Passagen einem modernen Rezitationston geöffnet werden, der Wagner als Ideal vorschwebte.

Schumann und der Lohengrin

Die Zeitgenossen vermochten sich das in ihren kühnsten Träumen nicht vorzustellen.Wo sind denn hier die Arien und Kavatinen?, fragte ganz unschuldig niemand Geringerer als Robert Schumann, als Wagner erstmals das „Lohengrin“-Libretto vorgelesen hatte.
Und Ludwig Tieck, auch nicht von gestern, stieß ins selbe Horn: Der ausgiebige Dialog zwischen Telramund und Ortrud vor den Mauern der Stadt, die Szene, mit der der zweite Aufzug anhebt, das sei doch „ohne eine gänzliche Umwandlung der bisherigen Basis der Oper“ nicht zu machen.

Unmittelbar nach dem Gespräch mit Tieck ging Wagner daran, seine Dichtung zu komponieren. Wie meist ging das unglaublich rasch vor sich. Umwandlungen von „Bisherigem“ machten ihm keine Mühe.

Die Herrschaft des Klanges

Und damit alle gleich merken sollten, was es geschlagen hatte, wurde dem Ganzen ein Vorspiel (ausdrücklich keine „Ouvertüre“) vorangestellt, dem jegliche traditionelle Basis wirklich entzogen war.

Die Welt sollte das sogleich hören und staunen: Derlei Klänge hatte es ja wohl noch nie gegeben. Selbst der kühnste Erfinder verblüffender Anfänge, Beethoven, hat Vergleichbares nicht gemacht.
Das Misterioso, die ungeformte Chaos-Masse, aus der die Neunte herauswächst, gut. Aber diese schwebenden, in sich changierenden, aber doch im Wesentlichen der Entwicklung auf der Zeitachse entrückten A-Dur-Harmonien in höchsten Streicher-Höhen?Der magische Beginn des „Lohengrin“ gehört zu den folgenschwersten Eingebungen der Musikgeschichte.
Unverwechselbar.
Unwiederholbar auch.
Der pure Klang, der zum Ereignis wird, wie früher die Melodie, der Rhythmus, die beiden Grundelemente der Musik, die hier völlig ausgehebelt scheinen. Die Klangfarbe übernimmt die Macht.

Melodie?
Ja, aber enorm in die Breite gezogen.
Keine Rede und Widerrede, These und Antithese, aus deren dialogischer Dynamik die Klassiker ihre Formen entfalteten. Vielmehr ein großer, weit gespannter Atemzug, ein Orchestergesang, der sich in zehn Minuten zu einem – von einem Beckenschlagmarkierten – Höhepunkt hin steigert unddann behutsam zu den amorphen Akkorden des Beginns zurückgeführt wird.

Der Ursprung des „Rings“

Es ist eine der wunderbaren Volten der Musikgeschichte, dass Wagner dieses Vorspiel als allerletzten Beitrag zu seiner „Lohengrin“-Partitur komponiert – also chronologisch gesehen unmittelbar bevor er den ebenso kühnen, ebenso unwiederholbaren musikalischen Zeugungsakt seiner „Ring“-Tetralogie skizziert: 136 Takte lang strömt, nur in rhythmischer Bewegung und Lautstärke gesteigert, ein unwandelbarer Es-Dur-Dreiklang.
Diese Einleitung zum „Rheingold“ sei ihm quasi im Halbschlaf als Klangvision „erschienen“, berichtet Wagner.
Technisch gesehen, ist das die Weiterentwicklung des im „Lohengrin“-Vorspiel Erprobten. Diesmal strömt die Musik, Abbild des fließenden Rheins, ohne Unterbrechung in die erste Szene des Dramas, der Gesang der Rheintöchter setzt die instrumentalen Linien fort, die Stimmen sind weitere Farben im orchestralen Kolorit. Längst werden keine Arien mehr gesungen, der Fluss der Musik führt uns ungebremst aus den Tiefen des Rheins bis zum Einzug der Götter über die Regenbogenbrücke nach Walhall – zwei Stunden, 20 Minuten.
Ohne Pause.

Es ließe sich einwenden, die Urfassung des „Fliegenden Holländers“ dauere etwa genauso lang. Auch hier gibt es Überleitungen von einem Akt in den anderen – aber es gibt noch deutliche Zäsuren zwischen den klar definierten Nummern der Oper. Dergleichen ist in den Musikdramen des „Rings des Nibelungen“ nicht mehr auszumachen. Jede Szene öffnet sich zur nächsten hin.In Wahrheit stellt auch das Des-Dur-Fortissimo am Ende des „Rheingolds“ eine Verlegenheitslösung dar – irgendwie muss man das Publikum ja in Frieden entlassen für die paar Stunden der Erholung, bis morgen Nachmittag die „Walküre“ beginnt…

Der Rest ist freies, anarchisches Wachsen und Werden, Keimen, fortwährende Metamorphose.

Viele Anfänge, kein Schluß

Das ist der Grund, warum alle Versuche scheitern, symphonische Arrangements aus den „Ring“-Opern zu erstellen. Derlei Unternehmungen bleiben notwendigerweise Flickwerk. Es gibt viele herrliche Anfänge im „Ring“. Aber keine definitiven Schlüsse. Wie effektvoll beginnt der „Walkürenritt“! Aber wo hört er auf?
Der Sturm, der den armen Siegmund in Hundings Hütte treibt, er tobt mit Zornesgewalt, ein tönendes Abbild der Wilden Jagd, die bis vor gar nicht allzu langer Zeit als Überbleibsel aus dem germanischen Mythenschatz in unseren Regionen ihr Spukwesen trieb.
Die rasenden Streicherfiguren, in die wie ein Echo des „Rheingold“-Finales Donners Hammerschläge nachhallen, verwandeln sich unversehens in ruhige Cellokantilenen – aus der furchtbaren Naturgewalt wird zärtlichste Liebesmusik; und kein Hörer kann angeben, wo die eine aufhört, die andere beginnt.
Drama, das heißt bei Wagner immer: Der musikalische Fluss hat uns längst gefangen genommen.
Er entlässt uns nicht mehr.

Die unausweichliche, erzählmächtige Metamorphose-technik macht die unendlichen Formengebäude dieser Musikdramen überhaupt erst möglich: 90 Minuten dauert der zweite Akt der „Walküre“, an die zwei Stunden der erste der „Götterdämmerung“.
Wer da versuchte, eine Pause einzulegen, würde scheitern. Die Musik erlaubt keine Zäsur.Eben deshalb lässt sich Siegfrieds Rheinfahrt, die vom Vorspiel der „Götterdämmerung“ in die Gibichungenszene führt, kaum sinnvoll losgelöst vom Drama in einem Konzert darbieten.
So virtuos das Stück auch komponiert ist: Es beginnt wie ein leichtfüßiges Scherzo und entlässt uns in müden, ermattenden Gesten, die grau, schließlich tiefschwarz ersterben, während sich der Vorhangüber Gunthers Halle hebt.

Alle Verwandlungsmusiken sind von suggestiver Bildhaftigkeit, evozieren die Szenerie – im „Rheingold“ führt die Musik in kühnem Schwung vom Grunde des Flusses auf „wolkige Höhen“, von dort durch Klüfte und Schlünde, an schmiedenden Zwergen vorbei nach Nibelheim.
Im „Siegfried“ mündet das beschaulich-schöne „Waldweben“ in die brutalen Schwerthiebe des Drachenkampfs.

Dann begleiten wir den furchtlosen Helden durchs funkensprühende Flammenmeer in die „selige Öde auf wonnigen Höhen“, wo Brünnhilde schlummert.
Extreme Kontrastwirkungen wachsen auseinander heraus, dasinfernalische Fortissimo-Furioso wird zur unbegleiteten Kantilene der Violinen, einstimmig, doch von 16 Geigern unisono modelliert – einer der vielen unwiederholbaren, einzigartigen Augenblicke in Wagners klingendem Kosmos.In der „Götterdämmerung“ entsteht aus den dunkel vibrierenden Synkopen von Hagens Wachtgesang die warm-leuchtende ErinnerungsmusikBrünnhildes mit dem von Richard Strauss so bewunderten, traumverlorenen Duett der Klarinetten.

Einen Schluss findet auch Siegfrieds Trauermarsch im Übergang zur letzten Szene der Tetralogie nicht. Die neue musikalische Ästhetik hat die im letzten, aber zuerstgedichteten „Ring“-Abenddurchaus noch fühlbaren Assoziationen zur Architektonik der Grand Opéra längst überwuchert. –

Die „Meistersinger von Nürnberg“, deren Libretto formal in Teilen durchaus noch von Meyerbeerschem Zuschnitt ist, weisen den Weg: Ehrt das alte Meisterhandwerk, aber füllt es mit neuem Leben. Pierre Boulez, der als avantgardistischer Komponist und magistraler Kapellmeister durchaus diese Quadratur des Kreises repräsentiert, hat im Zuge der Einstudierungsarbeit für seinen ersten Bayreuther „Parsifal“ angemerkt, sogar dieses letzte der Wagnerschen Dramen, das „Bühnenweihfestspiel“, fände kein Ende, verebbe ohne affirmative Schlußgeste.
„Erlösung dem Erlöser“ – hinter ein solches Aviso lässt sich nicht leicht ein Schlusspunkt setzen.

Anders Tristans und Isoldes Liebesakt, der realiter nicht vollzogen werden darf. Interruptus, fürwahr, jäh unterbrochen im Mittelakt im Moment der höchsten Steigerung durch das Hereinbrechen des „öden Tags“, von dem Tristan singt, ins „Wunderreich der Nacht“.
Personifiziert wird das Tagesgrauen durch den Auftritt der Jagdgesellschaft des betrogenen Königs Marke. Doch nimmt Isolde in ihrem sogenannten Liebestod den Faden wieder auf. Über eineinhalb Akte hat sich die Spannung erhalten – der große Gesang wird erneut angestimmt und diesmal zu Ende gesungen. Oder doch nicht?

Es gibt Musikfreunde, die im sanft verklingenden H-Dur-Akkord, den Wagner an den Schluss der „Tristan“-Partitur gesetzt hat, kein Ende, nur ein transitorisches Element erkennen wollen. Als müsse die Musik im Jenseits weitersingen, von der Dominante in die heimliche, schon im Vorspiel angespielte, dann wieder verlassene Haupttonart E-Dur strebend – das wäre freilich die Erfüllung des Wortes von der „unendlichen“ Melodie, das Wagner für seine ureigenste dramaturgische Erfindung des pausenlosen tönenden Erzählens geprägt hat.
Den Eindruck des Offenen, der nicht mehr zu festigenden harmonischen Basis befördert im „Tristan“ die über weite Strecken tatsächlich nicht mehr gewahrte tonale Balance – minutenlang beschwört die Musik Schwebezustände, der berüchtigte „Tristan“-Akkord dominiert und irritiert seine Umgebung. Er ist überall und nirgends zu Hause.

Untergang des Abendlands

Instinktsicher ortet der Prophet des Untergangs, Oswald Spengler, hier, genau hier, das Ende der europäischen Musik. Alles andere gilt ihm als Nachspiel.

Ein bestechender Gedanke für wache Beobachter, die in Anton Bruckners Neunter, der nicht mehr Vollendeten, den letzten großen Versuch einer instrumentalen Riesenform erkennen, der (bei Mahler beispielsweise) nur noch Zerborstenes folgt.
Diese Neunte ist tatsächlich ein Satyrspiel auf den „Tristan“-Akkord. Ein Satyrspiel von allerdings zyklopischen Ausmaßen: Im Scherzo tanzt das berüchtigte Tonkonglomerat unaufgelöst, unerlöst, insistierend, ausweglos.
Im Adagio, dem letzten von Bruckner vollendeten Satz, stehen die beiden „Tristan“-Tonarten gegeneinander, das As-Dur der Liebesnacht und das über 20 Minuten lang verzweifelt gesuchte E-Dur.
Diese Grundtonart des Satzes leuchtet erst am Ende mild auf, nachdem die musikalische Entwicklung mit einem fürchterlichen Riss, auf der grellsten bis zu diesem Zeitpunkt je aufgeschichteten Dissonanz zum Stillstand gekommen ist.

Till Eulenspiegels lange Nase

Wenige Jahre später dreht uns der „Tristan“-Akkord die lange Nase – im „Till Eulenspiegel“ von Richard Strauss; wir haben es laut Spengler ja schon überstanden, sind schon „après“, wie’s im Wiener Kabarettlied heißt. Fürwahr: Wütender, „disharmonischer“, als uns das Orchester in den beißenden Attacken zu Brünnhildes Klagerufen im Mittelakt der „Götterdämmerung“ entgegenbrüllt, ist später nie wieder komponiert worden.
Schon gar nicht von jenen Meistern, denen man nachsagt, sie hätten die sogenannte Atonalität erfunden.Da hat einer programmgemäß „die Basis der Oper umgewandelt“ – und notwendigerweise gleich die Musik ihrer bis dahin gefestigt geglaubten Grundlage beraubt.
Das ist Verunsicherung, Unterminierung, Anarchie aus dramaturgischer Notwendigkeit. Richard Strauss hat später – „après“, bleiben wir beimWortspiel – auf Vorhaltungen über kühne Dissonanz-Agglomerationen in seiner „Elektra“ gemeint: „Wann auf der Bühne a Muatta derschlog’n wird, kann i im Orchestergraben koa Violinkonzert aufführen lassen.“
Solch bajuwarisch-bodenständige, wenn auch unmittelbar einleuchtende Kommentare hätte man von Richard Wagner gewiss nie zu hören bekommen.
Er proklamierte vielmehr in wohlgesetzten Worten das „Kunstwerk der Zukunft“ – und hat es auch gleich auf vollkommene Weise realisiert.

In Tönen kann man es von Mal zu Mal wieder erleben – in einer Radikalität, die es nicht verwunderlich scheinen lässt, dass unsere Regiehandwerker mit ihrer hilflosen Bildersprache regelmäßig schon auf den ersten paar Hundert Metern im Aufstieg auf die theatralischen Achttausender scheitern. Das muss wohl so sein. Hören wir zu. Die Sache nimmt ja, wie gesagt, kein Ende . . .

↑DA CAPO

Die Wagner-Zeitleiste

Richard Wagner

1813 – 1883

Die Wagner-Zeitleiste

1814

Wagners Mutter verehelicht sich mit Ludwig Geyer, Übersiedlung nach nach Dresden

1821 

30. September: Der Stiefvater stirbt

1822

Wagner besucht die Dresdner Kreuzschule.

1827

Übersiedelung nach Leipzig, Wagner besucht das Nicolai-Gymnasium, später die Thomas-Schule

1828 Wagner dichtet ein Trauerspiel: »Leubald und Adelaide«

1831

Harmonielehre und Kontrapunkt-Studien bei Thomaskantor Theodor Weinlig, Immatrikulation an der Leipziger Universität

1832 Wagner arbeitet an einer Oper »Die Hochzeit«, die Fragment bleibt

Reisen nach Wien und Prag.

1833

  • »Die Feen« begonnen
  • Chordirektor in Würzburg

1834

  • »Die Feen« vollendet
  • Das Liebesverbot
  • Kapellmeister-Engagements in Lauchstädt, Rudolstadt und Magdeburg

1835 »Das Liebesverbot« vollendet

1836 Magdeburg, 29. März: Uraufführung »Das Liebesverbot«

Hochzeit mit der Schauspielerin Minna Planer in Königsberg

1837

  • Ab 1. April Musikdirektor in Königsberg
  • Ab 21. August Musikdirektor in Riga

1838 Beginn der Arbeit an »Rienzi«

1839 Flucht vor den Gläubigern aus Riga.

Die stürmische Überfahrt inspiriert Wagner zum »Fliegenden Holländer«
Aufenthalte in London und Paris.

1840  Paris

Bekanntschaft mit Liszt, Heine und Meyerbeer
Wagner arbeitet als Feuilletonist für französische und deutsche Zeitungen und Magazine

1841

  • Meyerbeer empfiehlt Rienzi für das Hoftheater Dresden
  • Arbeit am Fliegenden Holländer

1842 Rückkehr nach Deutschland

  • 20. Oktober: Uraufführung »Rienzi« in Dresden
  • »Tannhäuser« Prosaentwurf

1843

  • 2. Jänner Uraufführung »Der fliegende Holländer« in Dresden
  • 2. Februar: Wagner wird Königlich Sächsischen Hofkapellmeister
  • Versdichtung »Tannhäuser«

1844

  • Arbeit am »Tannhäuser«
  • Berliner Erstaufführung des »Fliegenden Holländer« unter Wagners Leitung.

1845

  • 19. Oktober: Uraufführung »Tannhäuser« in Dresden
  • »Die Meistersinger von Nürnberg«, Prosaentwurf
  • Versdichtung »Lohengrin«

1847 Komposition des »Lohengrin«

1848

  • 5. April: Wagner dirigiert Beethovens Neunte Symphoniein Dresden
  • Dichtung »Siegfrieds Tod«

1849

Wegen Beteiligung am am revolutionären Dresdner Maiaufstand wird Wagner steckbrieflich gesucht und flieht nach Zürich.

1850

  • Musikalische Skizzen zu »Siegfrieds Tod«
  • 28. August: Uraufführung des »Lohengrin« unter Franz Liszt in Weimar

1851 Dichtung »Der junge Siegfried« und Prosa-Entwürfe des »Rheingold« und der »Walküre«

1852

  • Prosaentwurf und Verdsichtung »Das Rheingold« und »Die Walküre«

1853 Drei Konzerte in Zürich, Arbeit an »Das Rheingold«

1854 Arbeit an »Die Walküre« (bis 1856)

Wagner liest Schopenhauers »Welt als Wille und Vorstellung«

1855 Acht Konzerte in London

1856 Beginn der Arbeit an »Siegfried« Erste Ideen zu »Tristan und Isolde«

1857

  • Unterbrechung der Arbeit an »Siegfried«
  • Dichtung und Beginn der Komposition »Tristan und Isolde«

1858 Wagner reist nach Venedig, um am Mittelakt von »Tristan und Isolde« zu arbeiten.

Trennung von Minna, die nach Dresden geht.

1859 »Tristan und Isolde« vollendet

Nach der Rückkehr in die Schweiz Versöhnung der Eheleute, Übersiedlung nach Paris

1860

  • Drei Konzerte im Italienischen Theater in Paris. Erstmals erklingt der neu hinzugefügte »Erlösungsschluß« der Ouvertüre zum Fliegenden Holländer.
  • Konzerte in Brüssel
  • Neufassung des »Tannhäuser« für Paris

1861

  • 13. März: Skandal bei der Pariser »Tannhäuser«-Premiere
  • An der Wiener Hofoper hört Wagner erstmals seinen Lohengrin
  • Erste Fassung der »Meistersinger«-Dichtung

1862 Rückkkehr nach Deutschland

  • Aufenthalte in Mainz, Bierbich, Karlsruhe und Wien, wo »Tristan« uraufgeführt werden soll.
  • Dichtung »Die Meistersinger von Nürnberg«
  • Das »Meistersinger«-Vorspiel entsteht

1863

  • Konzerte in St. Petersburg und Moskau, danach in Budapest.
  • In Wien scheitert der Versuch mit »Tristan und Isolde« nach angeblich 77 Proben
  • Beginn der Komposition der »Meistersinger von Nürnberg«

1864

1865

Am Tag der ersten Orchesterprobe zu »Tristan und Isolde« an der Münchner Hofoper wird kommt Isolde Wagner zur Welt, das erste Kind aus der Verbindung des Komponisten mit Franz Liszts Tochter Cosima von Bülow.

  • 10. Juni: Uraufführung »Tristan und Isolde« unter Hans von Bülow
  • Prosaentwurf zu »Parsifal«

1866

25. Jänner: Minna stirbt in Dresden

Im April übersiedelt Wagner nach Triebschen bei Luzern

1867

  • »Die Meistersinger von Nürnberg« vollendet

1868

  • 21. Juni: Uraufführung »Die Meistersinger von Nürnberg« in München

1869 Wiederaufnahme der Arbeit an »Siegfried«

  • 6. Juni: Siegfried Wagner geboren
  • Hans von Bülow willigt in die Scheidung von Cosima ein
  • Uraufführung von »Das Rheingold« in München auf königlichen Befehl, gegen Wagners Willen.

1870

  • 26. Juni: Uraufführung »Die Walküre« wiederum gegen Wagners Intentionen.
  • Beginn der Komposition der »Götterdämmerung«

1871 Wagner kommt erstmals nach Bayreuth

3. Mai: Bismarck empfängt Wagner

1872

  • Im April übersiedelt Wagner von Triebschen nach Bayreuth
  • 22. Mai: Grundsteinlegung zum Festspielhaus

1874 »Götterdämmerung « vollendet.

28. April: Die Familie bezieht die Villa Wahnfried

1876 August: Uraufführung von Der Ring des Nibelungen bei den ersten Bayreuther Festspielen

Affaire mit Judith Gautier – Abreise nach Italien – letzte Begegnung mit Friedrich Nietzsche

1877 Dichtung des »Parsifal«

  • Konzertreise nach England
  • Empfang bei Königin Victoria

1878

  • Erste Reihe der »Bayreuther Blätter«
  • Arbeit an »Parsifal« begonnen

Bruch mit Nietzsehe

1880 Reise nach Neapel

1881

  • Dirigent und Impresario Angelo Neumann absolviert mit eigenem Ensemble eine Tournee mit dem »Ring des Nibelungen«
  • Wagner und seine Familie in Palermo.

1882

  • »Parsifal« vollendet.
  • Uraufführung des »Parsifal« am 26. Juli in Bayreuth

1883 13. Februar: Wagner stirbt im Palazzo Vendramin in Venedig.

Années de Pèlerinage

Premiere année»Suisse«

Chapelle de Guillaume TellAu lac de WallenstadtPastoraleAu bord d'une sourceOrageVallée d'ObermannLento assai — Più lento — Recitativo — Più mosso — Presto — LentoEglogue (Hirtengesang)Le Mal du paysLes Cloches de Genève (Nocturne)

Deuxième année»Italie«

SposalizioAndante - Andante quieto - Più lento - Quasi allegre...

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Eine Faustsymphonie

Franz Liszt (1853-1857)

Aus dem Titelblatt der Erstauflage

Die dreisätziges Symphonie nach Goethes Faust ist Franz Liszts bedeutendsten großes Orchesterwerk. Es überträgt die erzählerischen Qualitäten der von Liszt perfektionierten Symphonischen Dichtung auf einen Versuch mit der mehrsätzigen symphonischen (Sonaten-)Form. Wobei die inhalt...

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Von der Wiege bis zum Grabe

Franz Liszt (1881)

Zwölf »symphonische Dichtungen« hat Franz Liszt numeriert. Eine Nr. 13 entstand wesentlich später noch: »Von der Wiege bis zum Grabe« ist ein ein Nachzügler, musikalisch bereits im Bann des kargen, klanglich reduzierten Spätwerks. Die den heroisch-auftrumpfenden Klängen der berühmteren Tondichtungen diametral entgegengesetzte...

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Die Ideale

Die zwölfte von Franz Liszts Tondichtungen, Die Ideale stammt aus dem Jahr 1857. Das groß angelegte Werk basiert auf einem Gedicht Friedrich Schillers, dessen Abschnitte Liszt mit musikalischen Mitteln neu ordnet und zu einer neuen Einheit fügt. Die ursprüngliche Idee Liszts war, das Gedicht in Form einer dreisätzigen Symphonie in Musik zu setzen....

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