Archiv der Kategorie: SinkoCHARTS
Aktuelle CDs zur österlichen Zeit
„Matthäuspassion“– aber von einem anderen Bach
Neue CDs. Musik zu Passion und Auferstehung: Für einen harmonischen Übergang von der Karwoche in die Osterzeit sorgen einige neue Aufnahmen, die auf CD, aber auch auf Streamingdiensten greifbar sind.



Von der Finsternis am Karfreitag zur strahlenden Erleuchtung der Welt bringen uns musikalische Pfade, die nicht immer über die wohlbekannten Werke der geistlichen Literatur führen müssen. Einige Neuerscheinungen auf dem CD-Markt – über viele Streamingplattformen abrufbar – ermöglichen auch Entdeckungen: Wer kennt beispielsweise Franz Liszts Musik zur Kreuzwegandacht? Der Pianist Leif Ove Andsnes hat sie mit Grete Pedersen und dem Norwegian Soloists’ Choir aufgenommen (Sony).
zum Weiterlesen bitte anmelden
Ravels Klavierwerk
Wichtiger Neuzugang in der Ravel-Diskographie: Die Aufnahmen des französischen Pianisten Jean-Efflam Bavouzet präsentieren das Klavierwerk des Jahresregenten bei höchster technischer Raffinesse in auserlesener Schönheit.

Maurice Ravel
Das gesamte Klavierwerk
Jean-Efflam Bavouzet
Chandos (2025)
Die Fülle des Repertoires, die der Pianist Jean-Efflam Bavouzet für das Label Chandos erarbeitet hat, reicht von der Wiener Klassik – eine der raren und überdies international hoch bewerteten Gesamtaufnahmen der Klaviersonaten Joseph Haydns inklusive – bis ins 20. Jahrhundert. Die Beziehung zwischen dem feinsinnigen Interpreten und dem britischen Label begann vor ziemlich genau 20 Jahren mit einer Einspielung des Klavierwerks von Claude Debussy. Wenn Bavouzet nun nach zwei Jahrzehnten sämtliche Klavierkompositionen Maurice Ravels nachreicht, dann wirkt das wie eine bewußte Rundung der künstlerischen Ernte – aber das stimmt insofern nicht ganz, als Bavouzet kurz vor seiner Unterschrift unter den Chandos-Vertrag schon einmal den »ganzen Ravel« aufgenommen hat – für das deutsche Label Darbringhaus & Grimm.
Die Wahrheit über Karajan

Karajan? Es war alles ganz anders!
Berliner Philharmoniker. Den legendären Dirigenten gab es zweimal. Der eine ist in unzähligen gestylten Studioaufnahmen dokumentiert. Der andere Karajan, den man nur live erleben konnte, wird nun durch eine CD-Edition wieder lebendig.
Karajan – nach wie vor hat der Name nichts von seiner Strahlkraft verloren. Wenn es gilt, die berühmtesten Dirigenten aller Zeiten aufzuzählen, landet der Salzburger des Jahrgangs 1908 auch 36 Jahre nach seinem Tod im Juli 1989 noch auf den vordersten Rängen, wenn nicht auf Platz eins.

Das liegt nicht zuletzt daran, dass dieser Mann ein reicheres Erbe an Tonaufnahmen hinterlassen hat als nahezu sämtliche Konkurrenten. Und dass viele dieser Aufnahmen bis heute als Referenzeinspielungen klassischer und romantischer Spitzenwerke gelten – von den Beethoven-Symphonien über Brahms und Bruckner bis zu Richard Strauss und, ja: tatsächlich, Arnold Schönberg.
Aber: Wer Herbert von Karajan in Oper oder Konzertsaal live erleben durfte, der weiß, dass das nur die halbe Wahrheit ist. Es gab noch einen anderen Karajan. Dessen Ruhm vermehrte sich international naturgemäß durch die vielen Schallplatten, die er bereits in jungen Jahren aufzunehmen begann. Aber die Legende Karajan entstand nicht in den Studios, sondern dort, wo sein Charisma unweigerlich wirkte – in Richtung Musiker und in Richtung Publikum. Von dieser Verzauberung, die oft ans Hexenmeisterische grenzte, geben die in aller Regel vor allem auf höchste technische Perfektion gestylten Einspielungen nur einen Bruchteil – in manchen Fällen ist man sogar versucht zu sagen: gar nichts – wieder.
zum Weiterlesen bitte anmelden
Schostakowitschs Vermächtnis
MATTHIAS GOERNE SiNGT DIE »MICHELANGELO-SUITE« – CD-NEUERSCHEINUNG – HOCHPOLITISCHE KLÄNGE VOR UND HINTER DER »MAUER«
Die Poesie des Bildhauers

Dmitri Schostakowitsch
Suite nach Gedichten von Michelangelo
Matthias Goerne – Mikko Franck
Orchestre National, Radio France
Die Sonette Michelangelos haben viele Komponisten inspiriert, allen voran Hugo Wolf, der drei seiner letzten Kompositionen diesem Künstler widmete. Auch im XX. Jahrhundert haben etliche Meister sich der Poesie des großen Bildhauers bedient, unter anderem auch Benjamin Britten, der wiederum mit Dmitri Schostakowitsch befreundet war, der im Jahr nach Brittens Tod, 1974, einen Zyklus nach Michelangelo-Gedichten vertont hat.

Die »Michelangelo«-Suite stellt so etwas wie ein musikalisches Vermächtnis dar. Matthias Goerne und das Pariser Rundfunk-Orchester unter Mikko Franck haben sie konzentriert und – auch in den introvertierten, leisen Passagen spannungsgeladen – mit beeindruckender Intensität aufgenommen. Und mit einer wenige Jahre zuvor entstandenen Orchestermusik zur Zelebration des 50. Jahrestages der russischen Oktoberrevolution gekoppelt, die auf lärmend-vordergründige Weise durch die »offiziellen«, der sowjetischen Kulturdoktrin verpflichteten Klänge die vollständig nach innen gekehrte, private, subjektive – und damit vielleicht subversive – »ehrliche« Musik desselben Komponisten konterkariert. Ein Hörabenteuer…
Mozarts Hornkonzerte, vermehrt!
NEUE CD - MOZARTS HORNKONZERTE - NEUE STÜCKE "GEFUNDEN"

Mozart-Konzerte können allerhand Überraschungen bieten
Die Neuaufnahme der Hornkonzerte mit Alec Frank-Gemmill enthält auch bisher „Unerhörtes“ - und jedenfalls mehr als die bisher bekannten vier Werke.
Die vier Hornkonzerte Mozarts muss jeder Hornist, der etwas auf sich hält, aufgenommen haben. Es gibt Legenden unter den bis dato festgehaltenen Interpretationen - und es gibt immer wieder Überraschungen, wenn eine neue CD erscheint: Die jüngste Einspielung stellt (wenn auch nicht zum ersten Mal) bereits die Vierzahl in Frage! Wie viele Hornkonzerte hat Mozart denn nun geschrieben?
Alec Frank-Gemmill, eine Musikerlegende in seiner britischen Heimat, war lange Zeit der allseits anerkannt virtuose Solohornist des Schottischen Kammerorchesters, eher er nach Göteborg übersiedelte. Als Solist hat er nun mit dem Schwedischen Kammerochester unter Nicholas McGegan eine eloquente Neuaufnahme der Mozartschen Hornkonzerte vorgelegt, die tatsächlich in der vordersten Liga der klassischen Produktionen mitspielt (BIS Records).
zum Weiterlesen bitte anmelden
Thomas D. Schlee: Orchesterwerke
NEUE CD – MUSIK ZU ENTDECKEN – THOMAS D. SCHLEE

Neue Musik als akustische Abenteuerreise
Thomas Daniel Schlees jüngste CD schickt den Hörer auf akustische Suche nach Spuren der Schönheit.
Seine Musik, so bekannte Thomas Daniel Schlee einst, suche „nach den Spuren von Schönheit und Ausdruckstiefe, die von Tonkonstellationen ausgehen“. Womit er ein zentrales Problem benennt: Schönheit und Ausdruckstiefe, danach suchen Musikfreunde wohl immer, wenn sie Musik hören. Und sie werden dabei von den Schöpfern der seit 100 Jahren so genannten Neuen Musik allzu oft enttäuscht.
NEUE MUSIK, DIE NICHT ENTTÄUSCHT
Thomas D. Schlee: Orchesterwerke weiterlesen →Händels Widersacher: Die Chandos-Anthems von Johann Christoph Pepusch

Originell – beziehungsweise very british – nimmt sich schon die Liste der Ausführenden aus: Die »Girl Choristers of Canterbury Cathedral« und »The harmonious society of tickle-Fiddle Gentlemens« singen und spielen unter Robert Rawson die »Chandos Anthems« – aber nicht die berühmten von Georg Friedrich Händel, sondern jene von Johann Christoph Pepusch (1667–1752), dessen Namen man heute nur deshalb noch kennt, weil er einst die Musik zu John Gays Kassenschlager »The Beggar‘s Opera« (1728) – und damit das Vorgängerwerk zu Brecht/Weills »Dreigroschenoper« – geschrieben hat. Und die »Beggar's Opera« wiederum trug zum Ruin von Händels Londoner Opernunternehmen bei.
Händels Ruin
Von diesem Ruin hat sich Händel, man weiß es, wieder erholt – und blieb eine Berühmtheit über die Jahrhunderte. Doch ist es spannend, nun endlich eine andere Komposition des Widersachers Pepusch zu hören, die nachweist, daß der nicht nur über Provokationspotential, sondern auch über eine gehörige Portion handwerklichen Könnens verfügt. hat.
Auch Pepusch war von Deutschland aus nach England gekommen. Schon früher als Händel, 1697, hatte er die Reise aus Berlin angetreten. Er war nicht zuletzt dafür verantwortlich, daß die italienische Oper in London Fuß fassen konnte – und somit einer jener Männer, die den Grundstein zu Händels späteren Sensationserfolgen gelegt hat. Seit 1714 war Pepusch Musikdirektor des Drury Lane Theatres, für das er »englische Masques nach italienischer Art« schrieb.
Mozarts Requiem, neu »ausgehorcht«

Raphaël Pichon hat die bekannte Süßmayr-Fassung von Mozarts Requiem durch Einschübe früherer Mozart-Stücke in ein neues Licht gerückt und uns damit eine bewegende Einspielung des Werks geschenkt.
Pichon beruft sich auf die Traditionsverbundenheit Mozarts, der sein Requiem ganz nach dem Muster vergleichbarer Kompositionen seiner Zeitgenossen (nicht zuletzt Miachael Haydns) skizzierte – mit allen damals üblichen Ingredienzien der katholischen KIrchenmusik, Schlußfugen inklusive.
Sein Schüler Franz Xaver Süßmayr hat das bei Mozarts Tod fragmentarische Werk fertiggestellt. Als Pasticcio ist es uns überliefert – und die vom Meister selbst komponierten Abschnitte sind so stark, so überwältigend, daß sie vergessen machen, daß es sich um eines der großen unvollendeten Meisterwerke der Musikgeschichte handelt.
Pichon übernimmt in seiner Neuaufnahme Süßmayrs Partitur, ergänzt seine Interpretation aber durch Interpolation anderer, kaum bekannter Mozart-Stücke.
Brahms von Levit und Thielemann

Das unverzichtbare Brahms-Set
Igor Levit und Christian Thielemann loten mit den Wiener Philharmonikern in die Tiefen der Klaviermusik von Johannes Brahms. Die Doppel-CD mit den beiden Klavierkonzerten und den späten Solo-Stücken gehört in alle Sammler-Regale.
Solche Neuerscheinungen gibt es nicht oft. Freilich: Diese hat sich angekündigt. Die Live-Aufführungen der Brahms-Konzerte mit Igor Levit und den Wiener Philharmonikern unter Christian Thielemann waren allenthalben Sensationserfolge; und Levits Interpretationen der manchmal kargen, oft sperrigen, hie und da wunderbar melancholisch-verträumten späten Klavierstücke des Komponisten haben die Hörer auch bei den Salzburger Festspielen gefesselt.
Und das Wiederhören via CD verstärkt den suggestiven Eindruck noch: Man sitzt gebannt und lauscht einem Klavierspiel, das sich jeglicher virtuose Geste zugunsten struktureller Klarheit, zugunsten stimmiger Balance zwischen Expression und analytischer Durchdringung entschlägt. Wilhelm Kempff hat so Brahms gespielt – wenn er auch zu ganz anderen Klang-Ergebnissen gelangte. Seither wohl niemand.
Levit läßt sich auch von den wenigen berühmten Nummern der späten Zyklen, allen voran nicht vom A-Dur-Intermezzo oder dem zauberischen Es-Dur-Wiegenlied dazu verleiten, die übrigen, introvertierteren Stücke freundlich »aufzulichten« – eher deckt er in den freundlicheren Lichtungen dieses undurchdringlichen Musik-Waldes allerlei Dornen und Verschlingungen auf. Ein Wunschkonzert ist das nicht, eher schon eine Konzentrations- und Meditationsübung für den Hörer, die allerdings reiche Früchte trägt.