Was die Barockmusik betrifft, kann und will die Sinkothek nur mit Aufnahmen dienen, die vor der Landnahme der sogenannten Originalklang-Pioniere entstanden – oder diese Pioniere in ihren frühen Versuchen hören lassen. Das dürfte aufschlußreich genug sein – und relativiert nicht im geringsten die Kunst jener Musiker, die vor dieser Ära Bach, Händel oder Vivaldi gespielt und gesungen haben; man sollte sie nicht vergessen…
Hier finden sich auch viele technisch exzellente Aufnahmen, gewiß. Darum geht es allerdings nicht vorrangig. Vor allem erwarten den Hörer hier interpretatorisch herausragende Einspielungen, die man gehört haben muß, wenn man mitreden möchte. Da kann es des öfteren vorkommen , daß die Tonqualität bescheideneren Zuschnitts ist, hie und da vielleicht sogar schwer erträglich – aufs erste. Es lohnt sich in jedem Fall, dranzubleiben! Der künstlerische Gewinn wird den vordergründigen „Verlust“ aufwiegen….
Ein Quartett im Rang eines Säulenheiligen – für die Conaisseurs der Kammermusikfreunde war dieses Ensemble das perfekte Äquivalent zum Dirigenten-Komponisten Leonard Bernstein und dem Pianisten Van Cliburn, der es schaffte, mitten im Kalten Krieg als Amerikaner den Moskauer Tschaikowsky-Wettbewerb zu gewinnen.
Ein Buch über die ungeheurliche Leichigkeit der Tragödie: Deutschland Anno 1943.
Oliver Hilmes: Schattenzeit. Deutschland 1943: Alltag und Abgründe. Siedler Verlag. 304 S., € 24.70
Schonungslos geht dieses Buch mit seinen Lesern um. Schonungslos, wie es die Fakten aneinanderreiht. Oliver Hilmes hat sich jedes Kommentars enthalten. Er hat Dokumente gesammelt und sie so genau studiert, daß er uns das Gefühl gibt, selbst die alltäglichen Dialoge in seinem Text müßten auf Tonbandprotokollen basieren. Erfunden hat er nichts. „Schattenzeit“ wurde zur Dokumentation der ungeheuerlichen Gleichzeitigkeit von Banalität und Tragödie.
Rudolf Kolisch, der Schwager des Komponisten Arnold Schönberg, war von Anfang an einer jener Musiker, die sich in den Aufführung des von Schönberg gegründeten Vereins für musikalische Privataufführungen engagierten. Nach unliebsamen Erfahrungen bei etlichen Ur- und Erstaufführungen neuer Werke, sollten in diesem Rahmen – bei strengem Verbot von Beifalls- oder Mißfallensäußerungen neue Werke oder schwer verständliche Stücke des klassischen Repertoires nach eingehender Probenarbeit in mustergültigen Aufführungen präsentiert werden.
Zehn Rubaijat des Omar Khajjam für Chor a cappella
„Ich bin im Zuge meiner Beschäftigung mit persischer Literatur […] auf die Rubaijat des Omar Khajjam aus dem Anfang des 12. Jahrhunderts gestoßen und war fasziniert von ihrer satirischen Schärfe, ihrer Pointiertheit und dem hinter ihnen stehenden expressionistischen Lebensgefühl, das sie höchst aktuell erscheinen ließen. Ihr Inhalt wurde zur Zeit ihrer Entstehung – wie uns heute erscheinen will zur Tarnung – religiös gedeutet.“
Friedrich Cerha über seine »Rubaijat«
In den späten Vierzigerjahren beschäftigte sich der junge Friedrich Cerha mit Chormusik. Daß er Franz von Assisis »Sonnengesang« vertont hat, führt uns freilich auf eine falsche Fährte. Um religiöse Inhalte ging es dem Komponisten damals keineswegs. Und daß die Sinngedichte des persischen Poeten Omar Khajjam oft in geistliche Zusammenhänge gestellt wurden, nimmt ihnen nichts von ihrer Verschmitztheit und ihrer zuweilen subversiven Kraft.
Es ist schon der Widerspruchsgeist, der sich bei Friedrich Cerha später noch so oft melden wird, der hier am Werke war. Vom selben Komponisten sollten Jahrzehnte später auch hintergründig-kritische »Chansons« entstehen – was die Musikwelt Anno 1950 freilich noch nicht ahnen konnte.
Die Rubaijat sind dem legendären Wiener Chorleister Günther Theuring gewidmet.
Die Texte
I
Als Du das Leben schufst, schufst Du das Sterben:
Uns, Deine Werke, weih’st Du dem Verderben.
Wenn schlecht Dein Werk war, sprich, wen trifft die Schuld
Und war es gut, warum schlägst Du ’s in Scherben?
II
Ein Vogel saß einst auf dem Wall von Tûs,
Vor ihm der Schädel Königs Kaykawûs.
Und klagte immerfort: Affssûss, Affssûss!
Wo bleibt der Glocken und der Pauken Gruß?
III
Ein Stier ist, der drunten auf seinem Horne die Erde hält
Ein anderer Stier strahlt hell dort oben am Himmelszelt.
Doch an die Menge von Eseln denk ich mit Grausen,
Die zwischen den beiden Stieren hausen!
IV
Was heut hierher mich trieb? Ich sag es unverhohlen:
Ich hatt’ in der Moschee einen Betteppich gestohlen,
Der ist jetzt alt und schlecht, drum kam – ein seltner Gast –
Ich heute wieder her, einen neuen mir zu holen.
V
Von Wein und vom Honig im Paradies
Sprecht ihr und von Huris, den schönen
Und was der Prophet uns da drüben verhieß,
Das wollt ihr auf Erden verpönen?
VI
Du zerbrachst mir, Herr, meinen Krug mit dem schönsten Wein.
Zum trunkenen Glück verschloss mir die Türe Dein Spott.
In den Staub rot gossest Du selbst den lieben Wein
Gegründet im Jahr 1918 in Budapest, wurde das – später in London beheimatete – Léner (oder Lehner-)Quartett zu einem der berühmteste Kammermusik-Ensembles der frühen Schallplatten-Geschichte. In Schallack-Zeiten nahm das Ensemble ab 1923 mehr als 200 Schellack-Platten auf, darunter von besonderer musikhistorischer Bedeutung: Die erste Gesamtaufnahme der Streichquartette Ludwig van Beethovens.