Archiv der Kategorie: Kalender

BUNDESTHEATER-BAUSTELLEN

Der Abgang eines Generalmusikdirektors entscheidet nicht über Wohl und Wehe eines traditionsreichen Opernhauses. Schon gar nicht in Wien.

Die Staatsoper bleibt das internationale Aushängeschild

Im Zuge von Franz Welser-Mösts Abgang als Generalmusikdirektor von der Wie ner Staatsoper wegen „künstlerischer Differenzen“ mit Direktor Dominique Meyer, sprach zuletzt der Chef der Bundestheater davon, dass Auslastungszahlen „nicht alles seien“. Und dass es möglicherweise einer Kurskorrektur bedürfe, um das Haus nicht zur Touristen-Attraktion werden zu lassen.

Nun setzt sich das Wiener Staatsopern-Publikum zu 70 Prozent aus Österreichern und zu 30 Prozent aus Gästen zusammen. Die Auslastungsquote beträgt mehr als 99 Prozent.

Man muss dem Bundestheater-Chef recht geben, dass eine solch geradezu irrationale Zahl nicht alles verrät. Für ein Haus, das annähernd 300 Mal im Jahr seine Pforten öffnet und mit an die 50 verschiedenen Werken eine Bandbreite von Populärem bis zu Komponisten wie Janácek, Hindemith und Adés abdeckt, wären tatsächlich auch 90 Prozent sensationell . . .

Obwohl sich die Fremdenverkehrswerbung seit vielen Jahren bemüht, die Stadt als Musical-Metropole zu platzieren, bleibt die Oper offenbar eine Hauptattraktion Wiens. Ist das ein Fehler? Inwiefern wäre eine Kurs-Korrektur nötig? Weil manche Kommentatoren – anders als offenbar das Publikum – die Repertoire-Pflege mit sorgsam renovierten Inszenierungs-Klassikern oder Neuproduktionen wie Otto Schenks „Schlauem Füchslein“ für „verstaubt“ halten.

Gaben da nicht eher die verzweifelten Versuche von Dominique Meyers Amtsvorgänger Grund zur Besorgnis, sich beim deutschen Feuilleton beliebt zu machen? Dank „Regietheater“-Gaben scheiterten Versuche, das Repertoire um Werke wie Meyerbeers „Prophet“ oder Wagners „Rienzi“ zu bereichern; und die Staatsoper steht heute ohne taugliche Inszenierungen von wesentlichen Stücken wie Verdis „Troubadour“ oder Puccinis „Manon Lescaut“ da. Verdis „Macbeth“ musste sogar noch in der Premieren-Saison vom Spielplan genommen werden.

Abgesehen davon, kann ein Repertoirehaus nicht nach Gelingen oder Misslingen von Premieren beurteilt werden. Welche Kurskorrektur also könnte gemeint sein? In den bisher vier Spielzeiten der Ära Dominique Meyers sind so gut wie sämtliche berühmten internationalen Sänger in Wien aufgetreten, die meisten über die Jahre hin in verschiedenen Partien. Hinzu kommt die Pflege eines jungen Ensembles.

Dass der scheidende Generalmusikdirektor nun seinen ehemaligen Kompagnon zwingt, Dirigenten für 34 Abende zu finden, bedeutet angesichts der Reichhaltigkeit des künstlerischen Angebots eine Irritation, doch läuft der Betrieb auf hohem Niveau weiter. Dieser Tage debütierte Bryn Terfel als „fliegender Holländer“, Piotr Beczala sang Dvorák, José Cura an der Seite von Nina Stemme Puccini. Nächste Woche sind Roberto Alagna als Don Carlos und Juan Diego Flórez als Nemorino avisiert. Und wenn Kristine Opolais krankheitshalber absagt, präsentiert sich das junge Ensemble-Mitglied Olga Bezsmertna – allseits gelobt – erstmals als Rusalka.

Die Staatsoper erfüllt also ihren gesetzlichen Auftrag, ein breites Repertoire attraktiv zu pflegen – und hält dabei noch das Budget ein. Überall anders würde man den Direktor dafür loben. In Wien raunt man von einer drohenden künstlerischen Krise . . .

Und das angesichts eines Burgtheaters, das inmitten eines Finanz-Skandals nicht das geringste künstlerische Profil erkennen lässt; und einer Volksoper, die bei sinnlosen Repertoire-Verdoppelungen von „Fidelio“ bis „Salome“ vor allem Bühne ihres (freilich grandiosen) Schauspieler-Direktors ist. Wo ist ihre Zukunftsperspektive im angestammten Repertoire zwischen Operette und Spieloper?

Es gibt „Baustellen“ bei den Bundestheatern. Allerdings.

APPLAUS-KULTUR

Von Applaus und schlechtem Stil

Tosender Jubel nach dem ersten Akt! Doch soll man den Opernabend nicht vor dem Fallen des letzten Vorhangs loben. Nur eine knappe Stunde später hatte der Wotan die Stimme verloren, ging aber dankenswerterweise nicht ab, sondern stand seine Qualen bis zum Aktschluss durch. Die letzten Zeilen, die Wagner seinem Göttervater zudenkt, sparte sich der Sänger. Er brachte keinen Ton mehr heraus. Dafür stürmte das Orchester umso heftiger. Wotans Zorn wurde zur akustischen Realität. Doch im Publikum wussten einige besonders feinfühlige Zeitgenossen nichts Besseres, als das vokale Hinscheiden eines Darstellers mit heftigen Buhrufen zu quittieren.

Dergleichen ist angesichts der Leistung, die von Sängern und Musikern rundum erbracht wurde, so unerfreulich wie angesichts des Pechs, das ein verdienter Sänger hatte, der diese Partie zwischen Aix en Provence und Florenz, aber auch in der Wiener Generalprobe bereits mit beachtlichem Erfolg gesungen hat. Wie auch immer: Da war ein arger Unfall passiert. Man kann einen solchen auch ungehobelt kommentieren.

Dass am Ende der Vorstellung aber auch die Darstellerin der Brünnhilde mit Buhrufen bedacht wurde, stimmt bedenklich. Denn da ging es nicht um die Bewertung einer Leistung, sondern um Geschmacksfragen, die wohl diskutiert werden, aber nicht mit Schmähungen einhergehen dürfen. Man kann darüber unterschiedlicher Ansicht sein, welches Timbre eine Brünnhilde in der „Walküre“ haben soll und darf, ob ihre Stimme etwa prinzipiell schwerer und dunkler sein müsse als jene der Sieglinde. Das kann sich sogar auf die Stärke des Applauses auswirken, denn wer eine ästhetische Ansicht nicht teilt, kann seine Zustimmung verweigern. Eine Sängerin aber auszubuhen, obwohl sie gegen die Anforderungen der Partitur eine tadellose Leistung erbracht hat, nur weil einem ihre Stimmfarbe nicht passt, das ist schlicht und einfach unfair, ungezogen und des angeblich nach wie vor so kundigen Wiener Musikpublikums nicht würdig.

»Die schweigsame Frau«

über das Werk

Richard Strauss‘ Stefan-Zweig-Oper ist ein Sorgenkind des Repertoires

Premiere, Wien – Dezember 1996

Die Ehrenrettung für Richard Straussens späten Versuch einer »komischen Oper« dürfte der Wiener Staatsoper wieder nicht gelungen sein. Das Stück, das man gespielt hat, ist nur andeutungsweise mit dem von Strauss verwandt. Es erntete jedoch einen rauschenden Premierenerfolg.

»Die schweigsame Frau« weiterlesen

Brucknerfest

Ist’s Bruckner oder Janacek?

Brucknerfest 1995

Roger Norrington sorgte mit einer Aufführung der Urfassung von Bruckners Dritter für Aufsehen.

Die London Classical Players sorgten mit Beethoven für Aufruhr im Wiener Musikleben und warfen in Linz mit Bruckner viele Fragen auf.
So viel Zündstoff enthalten Konzerte nicht alle Tage.

Die Zeiten, in denen die berüchtigten Vertreter der Originalklang-Ästhetik die ihnen willig zugeordneten Schrebergärten beackerten, sind endgültig vorbei. Längst geht es an die Substanz des gesamten Musiklebens, um die Frage, ob nicht auch Brahms, Bruckner, ja sogar Richard Wagner einer neuen interpretatorischen Beleuchtung bedürfen, die historisch-wissenschaftliche Erkenntnisse über Aufführungspraxis und Spieltradition akribisch berücksichtigt.

Buhrufe für Beethoven!

In Österreich, wo man auf natürlich gewachsene Strukturen Wert legt, rufen solche Tendenzen auch Widerspruch hervor. So hallten nach Beethovens Achter, gespielt von den Classical Players sogar Buhrufe durch den Musikvereinssaal. Das hatte aber auch gesummt und gesurrt und gehämmert und gelärmt wie noch nie in dieser F-Dur-Symphonie. Gewisse Momente heftigster Klangballungen gemahnten angesichts des Eifers, mit dem die Musiker ans Werk gingen, eher an selbstvergessen-entfesseltes Kinderspiel als an eine philharmonische Beethoven-Session.

Da ist noch die Sache mit den „alten Instrumenten“, die schwerer ansprechen und fehleranfälliger sind als ihre modernen Nachfolger. Da waren dementsprechende Hornkiekser und ein im Final-Furor zunehmend undurchdringlicher Tönedschungel, der allen ästhetischen Postulaten der jüngeren Vergangenheit, denen Transparenz und Klarheit der Strukturen über alles ging, Hohn sprach.

So oder so ähnlich könnte freilich zu Beethovens Zeit die Musik wirklich geklungen haben: wild und ungezügelt, erschreckend wohl. Außerdem ist Norrington ein Showmaster, der auf dem Podium hüpft und sich verausgabt wie weiland Leonard Bernstein, der auch in einer Ansprache seinem Publikum suggeriert, es dürfe bei Haydn (Symphonie Nr. 65) auch zwischen den Sätzen applaudieren, der – mehr noch – Thomas Holzmaier animiert, zwischendrin auch noch Opernarien des Komponisten zum besten zu geben (übrigen mit immer noch schöner, aber dank technischer Fehlern zunehmend tonlos werdender, gefährdeter Stimme!).

Bruckners Dritte in der Urfassung

So viel zur ästhetisch-historischen Lektion, die ein solches Konzert auch sein kann. Dann aber: Norrington ist offenkundig auch ein Dirigent, der’s gern leidenschaftlich hat, der die Musikanten zu weit geatmeten Phrasen und gesanglicher Tongebung animiert.
So strömen Haydnsche Adagio-Sätze ebenso duftig wie solche von Anton Bruckner – wenn auch bei der Aufführung der Urfassung von dessen Dritter Symphonie im Linzer Brucknerhaus die Grenzen der Möglichkeiten der „Classical Players“ klar zu Tage traten: Die halbstündige Reise durch den langsamen Satz dieser „Wagner-Symphonie“, in der in dieser Version noch alle „Tristan“-und „Walküren“-Zitate enthalten sind, zerbröselte Norrington trotz heftiger Versuche mittels großem Ausdruck Zusammenhalt zu stiften, unter den Fingern.

In dieser Diskrepanz zwischen Erstrebtem und Erreichtem liegt der mögliche Kritikpunkt. Nicht aber in dem Impetus, in der über alle technischen Pannen und Fehler hinweg stürmenden Emphase der Bruckner-Interpretation, die hier vorgeführt wurde. Diese 1873 entstandene, zu Bruckners Zeiten nie aufgeführte Fassung der Dritten ist tatsächlich das Protokoll eines sich mit ungeheurem Elan über alle Konventionen hinwegsetzenden Geistes. Bruckner dringt mit jähen Kontrasten, schroffen Instrumentations-Kniffen in Regionen vor, die an viel spätere Meister gemahnen – sogar an die wilden, von krassen Stimmungsumschwüngen gezeichneten Ekstasen eines Leos Janacek.

Daß die Zeitgenossen solches als Verrücktheit empfinden mußten, versteht, wer Norringtons kratzbürstige, rüde Aufführung erlebt.
Da kommt etwas von der damaligen Verblüffung zurück – und man empfindet’s gar nicht als Lehrstunde.

Bregenz: Nabucco

Die zahlreichen Fratzen der Macht

In Bregenz ist man seit Jahren erfolgsverwöhnt. Von Festspiel zu Festspiel gelingen die Opern im Haus und auf dem See aufsehenerregend. Heuer darf man mit Verdis „Nabucco“ eine veritable Sensation verbuchen.

Spätestens seit Jerome Savary weiß der Opernfreund, daß brillant gemachter Zirkus auch im Musiktheater künstlerischen Stellenwert hat. David Pountney hat nun für alle Ausdrucksformen modernen Musiktheaters eine den Dimensionen der Seebühne adäquate szenische Sprache gefunden.

„Nabucco“ darf im gigantischen Bühnenbild von Stefanos Lazaridis ein prächtiges Spektakel sein, mit etlichen technisch aufwendigen Verwandlungen und bunten Lichteffekten. Die Produktion bietet alles, was eine populäre Freiluftaufführung zum Erfolg nur braucht. Freilich: Sie stellt jeden aufregenden Kulissenzauber, jeden Aufmarsch, jede Explosion samt Feuerwerk in den Dienst der Sache, die da ist: Verdis Botschaften von Freiheit, Macht, Unterdrük kung und Menschlichkeit so vielfältig und direkt, wie sie die Musik dem Hellhörigen vermittelt, optisch sinnfällig werden zu lassen.

So aufwendig Lazaridis‘ Bilderwelt auch hingebaut sein mag, sie zeigt uns Metaphern von schlichter Größe und Eindringlichkeit. Dem entspricht Pountneys Regie. Auch wenn da vom Schicksal des jüdischen Volkes in Babylon erzählt wird, verzichtet man in Bregenz auf jede vordergründige Symbolik. So wachen keine SS-Schergen über die Gefangenen und kein Hakenkreuz dominiert die Szene.

Pountney gibt viel allgemeingültigere Bilder von Ohnmacht und Unterdrückung. Die treffen denn auch tiefer. Wenn der berühmte Gefangenenchor hinter Stahlgittern und Stacheldraht sein „va pensiero“ anstimmt und dabei die Hände dem unmittelbar auf der anderen, der „freien“ Seite sitzenden Publikum entgegenreckt, dann sind die Assoziationen vielfältig – und enden nicht als historische Retrospektive im Jahre 1945. Babylon ist überall und immer.

Musikalisch Weltklasse

Wer die Weltnachrichten verfolgt, weiß sich auch einen Reim darauf zu machen, warum Verdis kurzes Finale, das die Errettung aus dem Elend verkündet, gar so kursorisch wirkt, nichts Affirmatives, Endgültiges kennt. So läßt uns eine Festspielproduktion unter freiem Himmel nachdenklich zurück wie sonst bestenfalls eine mitreißende, konzentriert gearbeitete Regiearbeit in einem ersten Theater.

Sie kann das nur, weil auch die musikalische Komponente dieser Bregenzer Premiere Weltklasseniveau hat.

Ulf Schirmer dirigiert mit jener Mischung aus deutscher Gründlichkeit und dem Wissen um italienisches Feuer, die immer schon garantiert hat, daß vom vielgelästerten „M-tata“ mehr ausgeht als bloße Verve und elektrisierende Startenergie für zündende melodische Entwicklungen.

Daß die Musik nämlich, nur scheinbar einfach, den vielfältigen Fratzen der Macht, die uns die Szene vor Augen führt, ebenso vielfältig akustische Pendants zur Seite stellen kann, daß in einer Koloratur Verzweiflung ebenso hörbar werden kann wie Triumph, lautete sie auch „auf dem Notenpapier“ deckungsgleich.

Jane Thorner-Mengedoth macht von solcher Differenzierungskunst als Abigail auch vokal reichlich Gebrauch, gibt Verdis furioser Gestalt jenes vielschichtige Profil, dessen diese bedarf. Eine grandiose, mit viel Mut, auch zum häßlichen Ton, begabte Singschauspielerin, die in Vesselina Kasarova ihr ebenfalls nicht nur sanftes, vor allem in der Sanftheit aber besonders berührendes Gegenbild (Fenena) findet. Grandios der Titelheld von Gregory Yurisich, ein Bariton von Format, frisch und kraftvoll, dann wieder leidend, wie es das Libretto fordert, und fähig zu beachtlichen Höhenflügen im wörtlichen, wie im übertragenen Sinn. Der Regisseur gönnt diesem „Nabucco“ auch den rechten, spektakulären Auftritt – ein Kranwagen senkt den Herrscher auf einer Plattform langsam über die geknechteten Israeliten, vor einer hoch aufragenden Wand, in der Verzeifelte der Höhe zu klettern kaltblütig abgeschossen, von der unbarmherzigen Soldateska des Diktators.

Prachtvoller Krutikov

Michail Krutikov verströmt in diesem Inferno – Ruhe und Glauben gebietend – als Zaccaria eine prachtvolle Baßstimme, die ihn nur in der Tiefe manchmal im Stich läßt. Paolo Kudriavchenko weiß als Ismael programmgemäß nicht, wo er hingehört und formuliert das mit einem typisch slawisch-timbrierten Tenor, samt allen diesen notorisch eigenen Vor-und Nachteilen.

Womit es in Bregenz wieder einmal gelungen ist, zu einer großartigen Inszenierung auch ein junges, schlagkräftiges Sängerteam zu finden, in dem auch Opernchefs noch Entdeckungen machen können. Sensationell, durchaus.

Staatsopern-Bilanz

Macht Wiener Oper Schule?

Ioan Holenders Erzählungen

Im Hinblick auf Besucherzahlen und Einnahmenstatistik segelt die Wiener Staatsoper unwidersprochen auf Erfolgskurs. Die effektive Ensemble- und Repertoirepolitik hat nach Ansicht des Direktors „Vorbildfunktion“ und werde international kopiert. Im übrigen avisiert Holender philharmonische und andere Sonderprojekte.

Ab 1995 werden die Wiener Philharmoniker alljährlich am Todestag Gustav Mahlers ein Konzert in der Staatsoper absolvieren, bei dem entweder eine der aufwendigen „Sängersymphonien“ des Meisters oder eines der großen Chorwerke der Literatur, wie zum Beispiel das Verdi-Requiem auf dem Programm stehen sollen. Dieser tönende Beweis der Verbundenheit des Orchesters mit dem Opernhaus (und seiner Zufriedenheit mit der Direktion) wird, so Philharmoniker-Vorstand Werner Resel, jedenfalls bis zum Ende der Ära Holender stattfinden und dann, je nach Gesprächsbasis mit der neuen Führung, „hoffentlich fortgesetzt“.

Peter Alexanders „Debüt“

Ioan Holender avisierte auch weitere Sonderprojekte: Die Silvester-„Fledermaus“ wird heuer live im Fernsehen übertragen. Deshalb werden die „Einlagen“ im zweiten Akt angereichert: Peter Alexander und Placido Domingo, aber auch Hermann Prey, der Sänger des Eisenstein, sind für „Extratouren“ angekündigt.

TV-Übertragungen werden in Hinkunft wieder leichter möglich sein, weil man sich mit Gewerkschaft und Bundestheaterverband auf eine neue Rechtsbasis geeinigt hat. Die „Fledermaus“ wird auch live auf einer Riesenleinwand auf dem Stephansplatz zu sehen sein.

Spektakulär, wenn auch in kleinerem Rahmen, wird auch die Abschieds-Matinee von Christa Ludwig, der junge Talente auf der Opernbühne ein „Abschiedsständchen“ darbringen werden, das Marcel Prawy für die große Künstlerin arrangieren will.

Im übrigen zieht Ioan Holender zufrieden eine Bilanz der abgelaufenen Saison. Trotz den für den „Ring“ eingeplanten Schließtagen sind die Mehreinnahmen gegenüber dem premierenlosen Vorjahr nur um etwa zwei Millionen auf 236 Millionen Schilling zurückgegangen. Die Auslastung, nur die voll zahlenden Besucher gerechnet, ist auf knapp 89 Prozent gestiegen.

Erfolg mit Residenzverträgen

Eitel Wonne herrscht zwischen dem Opernchef und dem Bundestheaterverband. Holender und Generalsekretär Springer zeigten am Mittwoch demonstrativ Einigkeit. Holender akzeptiert die „Kameralistik“, Springer die Eigenhoheit des Direktors, der, ein Novum in der jüngeren Operngeschichte, sein Budget einhält. Noch zu Claus Helmut Dreses Zeiten lagen die Ausgaben stets weit über dem Voranschlag und mußtem mit Sonderbudgets regelmäßig ausgeglichen werden.

Für den in Zahlen belegbaren Erfolg der neuen Ära sei, so Holender, vor allem die große Akzeptanz der Residenzverträge verantwortlich. Künstler wie Bryn Terfel, Boje Skovhus oder die jüngst auch im Liederabend erfolgeiche Angela Gheorghiu sind fix ans Haus gebunden und bekommen hier im Monat weniger als sie international an Abendgage erhalten.

Trotzdem sei keine Gefahr gegeben, daß einer dieser jungen Künstler aus seinem Residenzvertrag aussteige, versichert Holender. Studienleiter Ronald Schneider betonte, wie wichtig die konsequente Arbeit mit diesen Sängern sei, wertvoll vor allem für deren Entwicklung.

Das sei der Grund, warum, so Holender, in Hinkunft mehr Häuser als jetzt sich wieder des Repertoire- und Ensembletheaters besinnen würden: „Unser Beispiel hat Schule gemacht, darauf sollten wir stolz sein.“

Darüber hinaus müsse man über die Finanzen reden, kommentiert der Direktor, „damit es uns nicht so geht wie den Staatstheatern in Berlin“. Im Hinblick auf den soeben abgeschlossenen „Ring“ lautet das finanzielle Fazit: 39 Millionen Schilling für Ausstattung inklusive Werkstättenbetrieb. Zum Vergleich: Die Ausstattung für den Münchner Lehnhoff-Ring kostete vor einem halben Jahrzehnt bereits umgerechnet rund 60 Millionen Schilling, freilich ohne die Kosten für die Werkstätten einzurechnen.

Keine Schließtage mehr

Im übrigen werde es in der Ära Holender für kein Projekt mehr eine derartige Ballung von Schließtagen geben. Vielmehr verhandelt der Direktor mit allen Regisseuren: „Ich versuche, geniale Ideen zu retten, sie aber im Repertoire möglich zu machen.“

Eine Produktion, die den täglichen Spielbetrieb sprengt, Karl-Ernst Herrmanns Inszenierung der „Entführung“, wird 1994/95 im Theater an der Wien in der ursprünglichen Gestalt – ohne Harnoncourt – wiederhergestellt. Im selben Jahr hat dort unter Riccardo Mutis Leitung die neue „Così fan tutte“ Premiere.

Abbados Abgang

Eine Lücke hinterläßt er nicht

Die Abschiedsbriefe kamen, das „Timing“ stimmt, zu einem Zeitpunkt, der den Verehrern noch Gelegenheit gibt, anläßlich dreier Aufführungen von „Boris Godunow“ Solidaritätskundgebungen zu veranstalten. Nach dem 20.Oktober aber wird Claudio Abbado der Wiener Oper nicht mehr zur Verfügung stehen.

Die berühmte „Lücke“, von der nun in mancher Laudatio die Rede sein wird, hinterläßt dieser Künstler jedoch nicht. Vor allem für den nicht, der bedenkt, aus welchen Positionen Abbado scheidet und wie er diese ausgefüllt hat.

Mit Recht wird von „Wien modern“ die Rede sein, von den Raritäten, die der Dirigent, seinen Neigungen entsprechend, dem Spielplan der Staatsoper einverleibt hat. Nie zuvor hat ein musikalischer Leiter des Hauses beispielsweise Rossini oder Mussorgsky soviel Bedeutsamkeit zukommen lassen wie Abbado. Das Publikum für Neue Musik interessiert zu haben, zählt zu seinen unbestrittenen Verdiensten.

All das wäre uneingeschränkt bejubelnswert, hätte man den Künstler von verantwortlicher Seite nicht von vornherein in Rollen gedrängt, die er nicht auszufüllen willens oder imstande war. Den Titel „Generalmusikdirektor von Wien“ schuf man eigens für ihn. Dessen Bedeutung ist bis heute Geheimnis geblieben. Was dem Wiener Musikleben von jeher internationale Beachtung und höchsten Respekt gesichert hat, die erstklassige, ja qualitativ kaum egalisierbare Pflege des großen klassisch-romantischen Repertoires war nicht Abbados Domäne.

In Oper und Konzertsaal zollte man ihm Bewunderung, sobald er sich für Unbekanntes oder Neues engagierte. Wo sich Vergleiche mit der bedeutenden interpretatorischen Tradition aufdrängten und wer, wenn nicht ein „Generalmusikdirektor“ hätte diesen paroli bieten müssen? – wurden Abbados Grenzen spürbar. Dirigierte er Beethoven oder Bruckner im Musikverein, Strauss oder Mozart in der Oper, bot er zumindest widersprüchliche, zuweilen unfertig, jedenfalls kaum restlos überzeugend anmutende Aufführungen.

Vielleicht zwang ihn das, auch vor Repertoireaufführungen von Werken, die er ohnehin aufwendig einstudiert hatte, den Opernbetrieb ganz nach seinen Bedürfnissen auszurichten, seinem Amt als Musikdirektor zum Trotz geschehen zu lassen, daß „Tristan“ oder „Parsifal“ ohne Orchesterprobe über die Bühne gingen, weil er selbst etwa Wiederholungsaufführungen von „Chowanschtschina“ vorbereitete.

Die schier uneingeschränkte Verfügungsgewalt über den Hausapparat hat ihm die neue Direktion nun offenkundig streitig gemacht, indem sie bewährte Wertmaßstäbe wieder in ihr Recht setzte und befand, Mozart, Wagner, Verdi und Strauss seien wenigstens so bedeutend für einen ordentlichen Wiener Spielplan wie Rossini oder Mussorgsky. Wenn Abbado jetzt mit Rücksicht auf seine Gesundheit seine Wiener Position zur Verfügung stellt, mag ihm diese Besinnung auf traditionelle Gewichtungen den Entschluß leichter gemacht haben.

Im übrigen muß, jetzt kommen wir auf die „Lücke“ zurück, die Position eines Musikdirektors nicht nachbesetzt werden. Es hat sie viele Jahre nicht gegeben. Das waren nicht die schlechtesten, die das Haus erlebt hat. Und es gab, wie die Geschichte lehrt, stets große Dirigenten, die ohne Funktionen zu bekleiden ins Haus gekommen sind, um das Wiener Musikleben zu bereichern. Einige, die man engagieren könnte, waren jüngst in der Stadt zu erleben. Freilich nicht in der Oper. Noch nicht. Oder noch nicht wieder.

Fedosejew, 1991

Die Presse, 30.9.1991

Die Außergewöhnlichen

Die Konzertsaison begann mit Fedosejew und seinem Orchester

Man fragt sich, was da noch nachkommen soll: Wladimir Fedosejew und sein Moskauer Rundfunkorchester gaben, weil gerade auf Tournee, den Startschuß zur Konzertsaison in Graz, Salzburg und im Wiener Musikverein. Vier verschiedene Programme, und jedes einzelne vollendet und mit Hingabe dargebracht: Die Latte für alles Folgende liegt hoch. Für die meisten sogar, das darf schon behauptet werden, in unerreichbaren Regionen.

Fedosejew, 1991 weiterlesen