Saariahos »Emilie«

Uraufführung in Lyon. »Emilie« von Kaija Saariahos zeigt eine Forscherin und ihre Einsamkeit in der Männerwelt – in milder Abgeklärtheit, auch musikalisch.

Einen Tag nach der Wiener Uraufführung von Aribert Reimann zeigte Lyon die neueste Musiktheaterkreation Kaija Saariahos. Spätestens seit der Salzburger Festspielpremiere ihrer Troubadour-Oper »L’amour de loin« gilt die finnische Komponistin als eine der führenden Künstlerinnen im seltsamen Uraufführungs-Karussell der internationalen Opernhäuser. Da wird mittels gut dotierter Auftragskompositionen suggeriert, es gäbe noch so etwas wie einen lebendigen Opernbetrieb. Tatsächlich werden – der Kunstszene nicht unähnlich – seit Jahren konsequent Novitäten für einen Museumsbetrieb hergestellt. Arthur Honeggers resignativer Satz, ein Komponist sei jemand, der sich nach Leibeskräften bemüht, etwas herzustellen, wofür danach kein Mensch wirklich Verwendung hat, ist von tiefer Aktualität.

Junges Publikum

Immerhin der Museumsbetrieb funktioniert. Nicht zuletzt in Lyon, wo Intendant Serge Dorny es geschafft hat, bei einem zwischen Barock und Avantgarde bunt gemischten, durch internationale Gastspielvernetzung gut abgesicherten Programm den Altersdurchschnitt seiner Zuschauer extrem zu senken: Ein Viertel der Besucher des von Jean Nouvel artifiziell erneuerten Hauses ist unter 25 – und geht zu Mozart ebenso wie zu Strawinsky; oder eben zu Saariaho.

Die Finnin schrieb diesmal einen großen, fast eineinhalbstündigen Monolog für ihre Freundin Karita Mattila. Mit »Emilie« gelang ihr ein Pendant zu den Well-Made-Plays, die im englischen Sprachraum die Theaterszene lebendig halten. Vielleicht würde ohne die Mitwirkung der Mattila sich kaum jemand für die Seelennöte der Wissenschaftlerin Emilie du Chatelet interessieren, die im 18. Jahrhundert dank ihrer adeligen Herkunft ein Leben in der Männerdomäne der Astronomie und Mathematik führen konnte, mit Voltaire befreundet war.

Gigantisches Astrolabium

Mit der Mattila aber ist das eine von sanften Klängen untermalte psychologische Studie: Die schwangere Forscherin als Zentralgestirn eines gigantischen Astrolabiums (Bühne: Francois Girard und Francois Seguin) philosophiert über Leben, Liebe und Tod, führt einen imaginären Dialog mit den Männern ihres Lebens. Die Planeten, die ihren einsamen Schreibtisch umkreisen, tragen die Namen Voltaire, Saint-Lambert, aber auch Newton, dessen »Principia mathematica« Emilie übersetzt.

Sie singt auch dem Kind, das sie im Leibe trägt, Mut zu: »Wenn du ein Mädchen wirst, dann laß dir deinen Teil vom Glück nicht rauben.« Die Einsamkeit einer Frau in einer Männerwelt, einer verlassenen Geliebten ist die Grundtonart, in der sich das von dem aus dem Libanon stammenden französischen Schriftsteller Amin Maalouf gedichtete Stück bewegt. Es ist frei von Larmoyanz, aber auch von jeglicher Aggression. Alles erscheint im Licht milder Abgeklärtheit, wie es auch dem Kompositionsstil Saariahos entspricht.

Der arbeitet mit behutsam sich verschiebenden Klangflächen, die hie und da von morsezeichenartigen Signalen durchsetzt sind. Vor dieser Folie kann sich die nur selten in extreme Höhen und Tiefen getriebene Singstimme bequem abheben: Mattila verströmt ihre sinnlich schöne, weiche, doch ausdrucksstarke Stimme mit veritabler Primadonnen-Grandezza. Sie nutzt »Emilie« als Schaustück für ihren Sopran.

Das Lyonnaiser Orchester unter Kazushi Ono umflort ihn behutsam. Dank Saariahos Instrumentationstechnik, die viel von den silbrig schimmernden Qualitäten von Cembalo, Glockenspiel und Vibraphon Gebrauch macht, bleiben auch vielschichtige Akkordmassen transparent und durchscheinend, schmerzen also auch ein avantgardeskeptisches Auditorium nie. Dieses kann sich im Übrigen an die mehrheitlich aus Dur-Moll-Restbeständen gefügten melodischen Linien halten, die „Emilie“ und auch manchen Bläsersoli geschenkt sind – und applaudiert zuletzt den beiden Damen herzlich.

Nächste Novität: »After Life«

Schon am 18. März folgt in Lyon mit Michel van der Aas »After Life« die nächste Novität. Für die kommende Spielzeit kündigt Serge Dorny unter anderem einen kompletten Mozart’schen Daponte-Zyklus an, aber auch Neuproduktionen von Werken Gershwins, Strawinskys, Verdis »Luisa Miller« und Wagners »Tristan«, den erstmals Kirill Petrenko dirigieren wird. Der junge russische Maestro nimmt in diesem Jahr ab 29. April die Trilogie der Puschkin-Opern Peter I. Tschaikowskys wieder auf, die er in Lyon mit Peter Stein erarbeitet hat.