Bregenz: Nabucco

Die zahlreichen Fratzen der Macht

In Bregenz ist man seit Jahren erfolgsverwöhnt. Von Festspiel zu Festspiel gelingen die Opern im Haus und auf dem See aufsehenerregend. Heuer darf man mit Verdis „Nabucco“ eine veritable Sensation verbuchen.

Spätestens seit Jerome Savary weiß der Opernfreund, daß brillant gemachter Zirkus auch im Musiktheater künstlerischen Stellenwert hat. David Pountney hat nun für alle Ausdrucksformen modernen Musiktheaters eine den Dimensionen der Seebühne adäquate szenische Sprache gefunden.

„Nabucco“ darf im gigantischen Bühnenbild von Stefanos Lazaridis ein prächtiges Spektakel sein, mit etlichen technisch aufwendigen Verwandlungen und bunten Lichteffekten. Die Produktion bietet alles, was eine populäre Freiluftaufführung zum Erfolg nur braucht. Freilich: Sie stellt jeden aufregenden Kulissenzauber, jeden Aufmarsch, jede Explosion samt Feuerwerk in den Dienst der Sache, die da ist: Verdis Botschaften von Freiheit, Macht, Unterdrük kung und Menschlichkeit so vielfältig und direkt, wie sie die Musik dem Hellhörigen vermittelt, optisch sinnfällig werden zu lassen.

So aufwendig Lazaridis‘ Bilderwelt auch hingebaut sein mag, sie zeigt uns Metaphern von schlichter Größe und Eindringlichkeit. Dem entspricht Pountneys Regie. Auch wenn da vom Schicksal des jüdischen Volkes in Babylon erzählt wird, verzichtet man in Bregenz auf jede vordergründige Symbolik. So wachen keine SS-Schergen über die Gefangenen und kein Hakenkreuz dominiert die Szene.

Pountney gibt viel allgemeingültigere Bilder von Ohnmacht und Unterdrückung. Die treffen denn auch tiefer. Wenn der berühmte Gefangenenchor hinter Stahlgittern und Stacheldraht sein „va pensiero“ anstimmt und dabei die Hände dem unmittelbar auf der anderen, der „freien“ Seite sitzenden Publikum entgegenreckt, dann sind die Assoziationen vielfältig – und enden nicht als historische Retrospektive im Jahre 1945. Babylon ist überall und immer.

Musikalisch Weltklasse

Wer die Weltnachrichten verfolgt, weiß sich auch einen Reim darauf zu machen, warum Verdis kurzes Finale, das die Errettung aus dem Elend verkündet, gar so kursorisch wirkt, nichts Affirmatives, Endgültiges kennt. So läßt uns eine Festspielproduktion unter freiem Himmel nachdenklich zurück wie sonst bestenfalls eine mitreißende, konzentriert gearbeitete Regiearbeit in einem ersten Theater.

Sie kann das nur, weil auch die musikalische Komponente dieser Bregenzer Premiere Weltklasseniveau hat.

Ulf Schirmer dirigiert mit jener Mischung aus deutscher Gründlichkeit und dem Wissen um italienisches Feuer, die immer schon garantiert hat, daß vom vielgelästerten „M-tata“ mehr ausgeht als bloße Verve und elektrisierende Startenergie für zündende melodische Entwicklungen.

Daß die Musik nämlich, nur scheinbar einfach, den vielfältigen Fratzen der Macht, die uns die Szene vor Augen führt, ebenso vielfältig akustische Pendants zur Seite stellen kann, daß in einer Koloratur Verzweiflung ebenso hörbar werden kann wie Triumph, lautete sie auch „auf dem Notenpapier“ deckungsgleich.

Jane Thorner-Mengedoth macht von solcher Differenzierungskunst als Abigail auch vokal reichlich Gebrauch, gibt Verdis furioser Gestalt jenes vielschichtige Profil, dessen diese bedarf. Eine grandiose, mit viel Mut, auch zum häßlichen Ton, begabte Singschauspielerin, die in Vesselina Kasarova ihr ebenfalls nicht nur sanftes, vor allem in der Sanftheit aber besonders berührendes Gegenbild (Fenena) findet. Grandios der Titelheld von Gregory Yurisich, ein Bariton von Format, frisch und kraftvoll, dann wieder leidend, wie es das Libretto fordert, und fähig zu beachtlichen Höhenflügen im wörtlichen, wie im übertragenen Sinn. Der Regisseur gönnt diesem „Nabucco“ auch den rechten, spektakulären Auftritt – ein Kranwagen senkt den Herrscher auf einer Plattform langsam über die geknechteten Israeliten, vor einer hoch aufragenden Wand, in der Verzeifelte der Höhe zu klettern kaltblütig abgeschossen, von der unbarmherzigen Soldateska des Diktators.

Prachtvoller Krutikov

Michail Krutikov verströmt in diesem Inferno – Ruhe und Glauben gebietend – als Zaccaria eine prachtvolle Baßstimme, die ihn nur in der Tiefe manchmal im Stich läßt. Paolo Kudriavchenko weiß als Ismael programmgemäß nicht, wo er hingehört und formuliert das mit einem typisch slawisch-timbrierten Tenor, samt allen diesen notorisch eigenen Vor-und Nachteilen.

Womit es in Bregenz wieder einmal gelungen ist, zu einer großartigen Inszenierung auch ein junges, schlagkräftiges Sängerteam zu finden, in dem auch Opernchefs noch Entdeckungen machen können. Sensationell, durchaus.