WAS HEISST SCHON »WIENER FESTWOCHEN«? +++ 200, TODESTAG VON ANTONIO SALIERI +++ EIN FALSCHES »PHILHARMONISCHES« +++ RICCARDO MUTIS »ALTERSSTIL«
Die Hofmusikkapelle im Musikverein: eine Konfrontation Mozarts mit seinem erbitterten Feind, Antonio Salieri, dem Jahresregenten 2025.
WAS HEISST SCHON »FESTWOCHEN«?
Über die Frage, welches Profil sich die Musikstadt Wien mit ihren Festwochen gibt, wird aus aktuellem Anlass gerade viel diskutiert. Der Reigen war aus einem Musikfest hervorgegangen, bei dem sich die Crème der internationalen Komponisten ein Stelldichein gab. Die hießen damals natürlich Paul Hindemith, Igor Strawinsky oder Pierre Boulez …
Boulez ist übrigens einer der Jahresregenten 2025. Ein anderer: Antonio Salieri, dessen künstlerischer Zweikampf mit Mozart früher einmal eine Festwochen-Ausstellung wert gewesen wäre. Aber dergleichen ist mittlerweile ja einem Allerweltsgetümmel gewichen, das in seiner Zeitungeistigkeit überall in der EU stattfinden könnte. „Klassische“ Musik, für die der Name Wien international steht, ist längst vollständig aus dem Programm gestrichen. In den großen Konzerthäusern wird sie zur Freude der Touristen wie der Einheimischen freilich weiterhin gepflegt.
Vom allseits geliebten Hannerl zur Thomas-Bernhard-Darstellerin
Johanna Matz starb am selben Tag wie Waltraud Haas. Eine Rolle verhalf beiden zu Kino-Triumphen: Die Wirtin im „Weißen Rößl“. Die Matz vergaß über dem „Hannerl“-Image nie ihren Status als Burg-Schauspielerin.
Hannerl! Nicht von ungefähr hieß der Film über ein Mädchen, das gegen alle Widerstände doch Schauspielerin werden darf, nach der Hauptdarstellerin: Als „Hannerl“ war Johanna Matz in kürzester Zeit zum wienerischen Star geworden. An manchen Abenden konnten die Verehrer gleich drei Filme sehen, wenn Sie durch die Stadt von Kino zu Kino pilgerten: um 16 Uhr den „Zapfenstreich“, um 18 Uhr „Die Försterchristl“ und um 21 Uhr - ja, eben - „Hannerl“. Das war 1952. Ein Jahre später bestand für Kinobetreiber im deutschen Sprachraum kein Zweifel: Hannerl Matz erhielt 80 Prozent aller Stimmen bei der Frage nach der zugkräftigsten Schauspielerin.
Acht Jahre vor Waltraud Haas: die Rößlwirtin
Damals war sie die selbstverständliche Besetzung der „Rößlwirtin“ in Willi Forsts Verfilmung der Operette „Im weißen Rößl“ an der Seite von Johannes Heesters.
Musikverein. Behutsame Klangzaubereien bei Brahms, brachiale Dramatik bei Beethoven in Liszts Arrangement.
Als wär‘s die Fortsetzung des Salzburger Festspielabends: Die Kombination von Brahms-Stücken und Franz Liszts Arrangement einer Beethoven-Symphonie schien damals schon im Falle später „Intermezzi“ mit der Siebenten Symphonie rätselhaft; die notabene pausenlose Gegenüberstellung der Brahms-Balladen op 10 mit der »Eroica« stellte diesmal ebenfalls Fragen: Was erwartet man von der Konfrontation eines Frühwerks von Brahms und der bis heute kolossal wirkenden Dritten Beethoven-Symphonie? Was heißt das: Romantik? Was Klassik?
Sabine Devieilhe und Camilla Nylund in den historisch unpassenden Dekors von Rolf Glittenberg
Selbst die charmefreie Inszenierung Sven Eric Bechtolf kann die musikalische Atmosphäre nicht zerstören: In der »Arabella«-Wiederaufnahme mit Camilla Nylund herrscht Hofmannsthals Geist dank der Klänge von Richard Strauss.
EIN ABEND DES ORCHESTERS
Eine bessere Sängerbesetzung für Richard Strauss’ »Arabella« wird man heutzutage wohl nicht finden. Dies sei vorausgeschickt. Es muß dennoch heißen: Das war der Abend des Staatsopernorchesters. Wie oft hat man das bei Strauss-Aufführungen im Haus am Ring schon geschrieben? Nur »Arabella« war diesbezüglich eine Ausnahme. Selbst bedeutende Strauss-Dirigenten haben sich um sie herumgeschwindelt. Nun aber: Christian Thielemann am Pult. Da darf man sagen, dass diese Partitur hier seit Jahrzehnten nicht so zum Leben erweckt wurde.
Von der Leichten Muse hat der 1954 in Düsseldorf geborene Tenor bald ins Heldenfach gefunden, ohne den Schmelz seiner Stimme zu verlieren.
„Schön ist die Welt“ – mit seinen ersten Aufnahmen trat der junge Peter Seiffert in die Fußstapfen eines Richard Tauber: Die kraftvolle, leuchtkräftige Stimme war für die sinnlichen Operettenmelodien, die Franz Lehár seinem besten Interpreten in der Gurgel komponiert hatte, ideal geeignet, ebenso geschmeidig wie höhensicher. Und mit einer Lust bei der Sache, dass kein Hörer auf den Gedanken kam, dieser Künstler würde sich nach Auftritten in den großen Opernhäusern oder gar bei den Bayreuther Festspielen sehnen.
Marina Viotti und Benjamin Bernheim (c Vincent Pontet)
Benjamin Bernheim und Marina Viotti machen am Théâtre des Champs-Élysées in der Regie von Christof Loy die Goethe-Oper zum Ereignis.
Massenets »Werther«, paradoxerweise einst in Wien uraufgeführt, gehört dennoch ganz und gar den Franzosen. In deutschsprachigen Landen galt die Goethe-Veroperung – wie etwa Gounods »Faust« – als suspekt. Und man muss tatsächlich nach Paris pilgern, um eine Lektion in Sachen musikalischen Stils zu erhalten: Dass Massenets Musik aus dem Geist der Opéra Comique herausgewachsen ist, begreift unsereins ja nach wie vor kaum. Wenn der wohl herausragende Interpret dieses Fachs in unseren Tagen im Theatre des Champs-Elysees den Werther singt, dann erlebt der Zaungast also nicht nur vokale Glanzstücke. Er staunt auch, wie man aus ihm ungewohnter Perspektive einem Meisterwerk gerecht werden kann.
Warner würdigt den deutschen Geiger zum Sechziger mit einer – etwas eigenwillig kompilierten – Auswahl von Sonaten- und Konzertaufnahmen.
Warum man den Titel »Die Liebe zu den drei Orangen« für diese Edition gewählt hat, bleibt rätselhaft. Mit Sergej Prokofieffs Oper haben die Aufnahmen des bedeutenden Geigers aus Duisburg nichts zu tun – wenn auch Prokofieffs Musik in seiner Karriere eine nicht unbedeutende Rolle gespielt hat.
Tatsächlich sind hier exzellente Wiedergabe von Werken Bachs, Mozarts, Beethovens, Paganinis, Prokofieffs und einiger anderer versammelt, die den Rang des Interpreten Zimmermann bestens dokumentieren: Der 1965 geborene Geiger gehört zu einer wirklich schmalen Elite von echten Weltklasse-Interpreten in unseren Tage...
1908 - 1969
Mehr als 500 Mal hat Kurt Boehme den Ochs auf Lerchenau in Richard Strauss' Rosenkavalier gesungen. Die Aufnahme unter Karl Böhms Leitung hält seine minutiöse Rollengestaltung für die Nachwelt fest. Ein Baß von solcher stimmlicher Raffinesse, der über die subtilsten Ausdrucksnuancen gebot, war rar - und wie geschaffen für die vielfach differenzierten Interpretations-Angaben, mit den Strauss seine Partitur gespickt hat. Nie war Boehme auf der Bühne ein polternder, ein »typischer« Baß. Bei Mozart, Weber, Wagner schuf er fein schattierte Charakterportraits. Neben dem Ochs, der tatsächlich seine Leib- und Magenpaertie war, beherrschte er noch 110 anderen Gesangspartien, darunter zahllose kleinere, deren Rangfolge vom Lord bis zum Kammerdiener, vom Priester bis zum Teufel reichte.
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Als Ideal betrachte ich ein solches Verhältnis zur Tradition und zu neuen Kompositionsmitteln, bei dem der Künstler alle Mittel – sowohl neue als auch traditionelle – beherrscht, aber so, als schenke er weder den einen noch den anderen Beachtung.
Zwischen allen Stühlen, über alle Mittel gebietend, aber nur ihrer eigenen inneren, formenden Stimme folgend, komponierte Sofia Gubaidulina. Sie gehörte keiner Richtung, keinem Clan, keinem »Ismus«. Sie war Sofia Gubaidulina. Und da ihre Musik prominente Fürsprecher gefunden hatte, konnte sich die Welt davon überzeugen, daß diese Komponisten etwas zu sagen hatte. Sie stammte aus Tatarstan, war die Enkelin eines islamischen Imams und studierte in Kasan, dann in Moskau Klavier, bald auch Komposition. Es gelang ihr, allen Anfeindungen zum Trotz - sie hatte sich dem staatlich verordneten Atheismus zum Trotz unter dem Einfluß der Pianistin Maria Yudina zur Orthodoxie bekannt - ab 1963 ausschließlich ihrer schöpferischen Arbeit zu leben.
Zu ihren Inspirationsquellen gehören nicht nur die großen Werke der Vergangenheit, sondern auch die Klangmöglichkeiten, die sich ihr beim Improvisieren auf Instrumenten der Volksmusik unterschiedlicher Regionen der ehemaligen Sowjetunion erschlossen. Obwohl sich von Anfang an viele Musiker fanden, die Gubaidulinas Musik in ihrer Originalität schätzten, wurde sie von den strengen Kunstrichtern des kommunistischen Systems des öfteren mit Aufführungsverboten belegt. Der Weg, den die junge Komponisten eingeschlagen hatte, war in den Augen der sowjetischen Zensur schlicht und einfach »falsch«.
Niemand Geringerer als Dmitri Schostakowitsch ermunterte die offenkundig talentierte junge Kollegin, in ihrem – für das offizielle Kulturbeobachtertum höchst irritierenden, subjektiven – Stil weiterzukomponieren, obwohl die kommunistischen Behörden sie sogleich maßregelten, als klar wurde: Diese Frau schrieb Musik, die weit vom »volksverbundenen« sozialistischen Realismus abwich.
Seien Sie Sie selbst. Haben Sie keine Angst, Sie selbst zu sein. Ich wünsche Ihnen, daß Sie auf ihrem eigenen »falschen Weg« weitergehen mögen.
JENSEITS DES »SOZIALISTISCHEN REALISMUS«
1931-2025
Gubaidulina pflegte ihren ganz persönlichen Kontakt zu den Wurzeln der vielfältigen Volksmusik der Menschen, die im sowjetischen System unter ein einheitliches Joch gezwungen wurden, improvisierte mit Gleichgesinnten auf Volksinstrumenten und erkundete die freie, weite, unendlich reiche Welt der Klänge. Sie beflügelten ihre Fantasie ebenso wie die spirituellen Erfahrungen, die sie als sensible Grenzgängerin zwischen den Religionen machen konnte: Eines Tages ließ sich die Enkelin eines islamischen Gelehrten taufen – die große Pianistin Maria Judina war ihre Patin, eine starke Frau auch sie, die Stalin zu trotzen wagte, ohne daß der Diktator aufhörte, sie als Künstlerin zu verehren…
De Tommasi, Akhmetshina, Grigorian – untaugliche Optik, aber von den Damen phänomenal gesngen! (Theater an der Wien: Monika Rittershaus)
Die Künstlerin feierte trotz Indisposition ein glänzendes Rollendebüt im Theater an der Wien. Die Inszenierung ist, wie heute leider immer zu erwarten, völlig untauglich und verzwergt eine Oper, die vokal zu einem veritablen Schicksals-Drama wurde … auch weil mit Aigul Akhmetshina eine junge Gegenspielerin für die Grigorian gefunden wurde, die aufhorchen ließ.
Im Normalfall könnte an dieser Stelle keine Rezension der jüngsten Premiere im Theater an der Wien erscheinen: Wenn der Intendant des Hauses vor einer Aufführung von Bellinis »Norma« erscheint, um dem Publikum mitzuteilen, die Darstellerin der Titelpartie sei – wie alle Kollegen auch – während der Probenarbeit von einer fiebrigen Erkrankung befallen worden und noch nicht ganz genesen, dann ist der Abend für den kritischen Betrachter erledigt. »Norma« ohne Norma ist wie »Carmen« ohne Carmen. Aber für diesmal war das Rollendebüt von Asmik Grigorian angekündigt. Also war alles anders: Die Sängerin entpuppte sich trotz Indisposition als grandiose Interpretin einer als grenzwertig schwierig geltenden Partie. Und sie mußte den Abend nicht einmal allein tragen: In Aigul Akhmetshina fand sie eine Gegenspielerin, die eine der sattesten Mezzostimmen unserer Zeit hören ließ – und in den Duetten zu beeindruckender Form auflief. Also doch ein Bericht über „Norma“ und die Tatsache, daß sich der Besuch im Haus an der Wien lohnt, auch wenn wieder einmal keine Rede davon sein kann, daß das angekündigte Werk auf der Bühne auch zu sehen ist. Dem steht die szenische Verzwergung der psychologischen Schicksalsverknotungen durch Vasily Barkhatov entgegen. Aber davon in gebotener Kürze zuletzt. Zuerst einmal: Der Gesang sorgte an diesem Abend dafür, daß die ersten beiden Silben des Wortes Musiktheater endlich zu ihrem Recht kamen.