Archiv der Kategorie: Bücher

Alles über Alfred Cortot

Er war so »politisch inkorrekt«, wie es nur ging

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Der französische Pianist Alfred Cortot hat sich als Interpret die Unsterblichkeit erspielt. Eine neue Biographie erwägt menschliche und künstlerische Fakten.

Sich über den Pianisten Alfred Cortot zu mokieren ist keine Kunst. Er hatte sich während des Zweiten Weltkriegs als Mitläufer des Vichy-Regimes und mit erschreckend vielen falschen Tönen, die er auf dem Klavier hervorbrachte, in den Augen der Nachwelt menschlich und künstlerisch disqualifiziert.
Mit Anton Voigts neuer Cortot-Biographie liegt nun aber eine exzellent recherchierte Faktensammlung vor, die eine der faszinierendsten Künstlerpersönlichkeiten der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert doch wieder ins rechte Licht rückt. Hier wird nichts schöngeredet. Die Zeitzeugnisse sprechen für sich – und übrigens keineswegs immer gegen Cortot. Was sein Künstlertum betrifft, wird bald nach Beginn der Lektüre klar, welchen Rang dieser Pianist und Dirigent in den Augen seiner Zeitgenossen eingenommen hat, und warum das so war. Für uns Nachgeborene bleiben nun nicht mehr nur die frühen Schallplattenaufnahmen des Pianisten. Wir können auch nachlesen, unter welchen Umständen die Sensibilität und Vielgestaltigkeit von Cortots Klavierspiel heranreifen konnte.

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Heinz Irrgehers Opern-Buch

Das Universum kreist in Wahrheit ja doch um die Oper

Die Realität in der Musiktheaterwelt definiert sich je nach Perspektive durch Kasseneinnahmen und Spielplangestaltung. Oder doch Star-Termine?

Die Saison ist voll angelaufen. Mittlerweile sind auch die Konzerthäuser aus ihrem Sommerschlaf erwacht. Die Volksoper macht mit ersten Signalen eines Neuanfangs auf sich aufmerksam. Und an der Staatsopern-Kassa prangt seit Langem erstmals wieder in Serie das „Ausverkauft“-Schild. Das ist für die Bundestheater wohl doch die wichtigste Nachricht, auch wenn der eine oder andere Kenner darauf verweist, dass drei vollbesetzte Aufführungen von Puccinis „Bohème“ doch wohl nicht die Absage einer gewichtigen Wiederaufnahme aufwiegen können: Eigentlich sollte ja Halévys „Jüdin“ auf dem Programm stehen.

Aber Schwamm drüber. Wie gut eine Operndirektion ist, darüber gehen die Meinungen ja auseinander. Jeder legt andere Bewertungskriterien an. Deutsche Feuilletonisten und ihre assoziierten heimischen Trabanten suchen nach Regisseurs-Ideen, die sich wortreich beschreiben lassen. Das Publikum will Stars hören, sähe Elīna Garanča als Carmen gewiss mehrheitlich lieber in Franco Zeffirellis altvertrauter realistisch-sevillanischer Kulisse, nimmt aber zur Kenntnis, dass sie heutzutage zwischen Autowracks liebt, leidet und stirbt.

Und jedenfalls war die Neueinstudierung der „Jüdin“ nicht gut verkauft, während die eingeschobenen „Bohème“-Vorstellungen mit Edel-Einspringerin Anna Netrebko bummvoll sind. Dass in diesem Fall die Zeffirelli-Dekors sogar noch vorhanden sind, gilt als willkommene Zuwaag‘; über das Häuflein Ukraine-Demonstranten sieht man gnädig hinweg.

Bei Opern-Aficionados herrschen ja andere Gesetze als im wirklichen Leben — oder sagen wir: in jener Wirklichkeit, die uns medial als solche verkauft wird. Das kann man bei einem wirklichen Connaisseur nachlesen. Heinz Irrgeher, langjähriges Oberhaupt der „Freunde der Wiener Staatsoper“, hat mit hintergründigem Humor seine eigene Entwicklung zum Stehplatzler und profunden Wissenden in Sachen Musik(theater) aufgeschrieben und mit zahlreichen kurzen, kenntnisreichen Feuilletons garniert, in denen Dinge zur Sprache kommen, von denen auch hartgesottene Klassikfreunde keine Ahnung haben. Und dort, wo sie alles zu wissen glauben, werden sie nach der Lektüre von Irrgehers „Wiener Operng’schichten“ (Leipziger Universitätsverlag) schamvoll gestehen, sich überschätzt zu haben!

Wer traditionsbewusst vorn anfängt, den wird der Erzählfluss stets neugierig darauf machen, wie’s weitergeht. Wer das Büchlein aber irgendwo aufschlägt, wird jedesmal Überraschendes entdecken, historische Fakten über beliebte Werke, unbekannte Komponisten und Interpreten, Zahlen zum Thema: Wie viele Menschen interessieren sich überhaupt für Opern? Und Intrigen sonder Zahl, versteht sich.

Von Seite zu Seite wächst die Überzeugung, dass die 400 Jahre von Monteverdi bis Krenek die wichtigste Epoche in der Entwicklung des Homo sapiens waren. Und spätestens bei der Lektüre der bewundernswerten Studie über die Poesie des späten Richard Strauss ahnt, wer Heinz Irrgeher kennt, dass der Autor schon sein nächstes Buch in Planung hat: Es wird dann mit Sicherheit verraten, wo die hier so subtil beschriebene „Mondscheinmusik“ eigentlich herkommt . . .

Über Wolfgang Rihm

Neue Musik macht ratlos
Frieder Reininghaus und sein Buch über Wolfgang Rihm.
Wolfgang Rihm wird 70. Dieses magische Datum für die sogenannte Neue Musik wirft seine Schatten voraus. Ein Buch über den Komponisten, das die langjährige „FAZ“-Kritikerin Eleonore Büning aus freundschaftlicher Perspektive erarbeitet, kommt demnächst heraus. Druckfrisch i...

 

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Wolfgang Rihm

EIN BUCH ÜBER WOLFGANG RIHM
Neue Musik macht ratlos...

Wolfgang Rihm wird 70. Dieses magische Datum für die sogenannte Neue Musik wirft seine Schatten voraus. Ein Buch über den Komponisten, das die langjährige "FAZ"-Kritikerin Eleonore Büning aus freundschaftlicher Perspektive erarbeitet, kommt demnächst heraus. Druckfrisch ist eine Rihm-Dokumenta...

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Parsifal

An den Wurzeln von Europas Kultur
Erstmals in Buchform: Wagners "Parsifal"-Autograph. Er gibt spannende Einblicke in den Entstehungsprozeß des Meisterwerks.
Wagner erzählte einst bildhaft von einem Erweckungserlebnis an einem milden Karfreitag, als ihm wie in einer Erleuchtung sein "Parsifal"-Drama vor Augen stand, das er dann in einem genialen Wur...

 

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Kritiker schreiben Bücher

Zwischentöne

Über Absonderliches dies- und jenseits der Klassikschwelle

Schuster bleib bei deinem Leisten, heißt es. Wenn Musikkritiker Bücher schreiben, heißt das nicht, sie hielten sich nicht an diesen Spruch.

Essaybände suggerieren ihren präsumtiven Lesern, sie müssten es mit ihrer Leserschaft nicht gar so ernst nehmen. Auch wer grad gar keine Zeit hat, ein Buch zu lesen, darf kurz einmal hineinschauen.

In diesem Sinn nahm ich das jüngste Elaborat meiner geschätzten Berliner Kollegin Eleonore Büning zur Hand, das (im Benevento-Verlag) „Antworten auf die großen und kleinen Fragen der Musik“ nicht nur verspricht, sondern auch gibt. Unter dem Titel „Warum geht der Dirigent so oft zum Friseur“ sammeln sich hier die besten Kolumnen, die in den vergangenen Jahren in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ erschienen sind.

Menschen, die vor der sogenannten Klassik noch ein bisschen schaudernden Respekt verspüren, aber doch irgendwie fasziniert davon sind, gibt die Autorin gleich zum Entree den entscheidenden Schubs über die notorische Schwelle, indem sie der Frage „Darf ich im Konzert einschlafen?“ ein entschiedenes: „Selbstverständlich. Wo sonst?“ entgegensetzt. Und flugs landen wir schmunzelnd vom scheinbar mutwilligen Pointensetzen bei Brahms, Liszt und der Musikliebe der Japaner.

Danach will der von 205 Seiten in den Konzertsaal Geschubste diesen vermutlich so schnell nicht mehr verlassen; und der längst Klassik-Verdorbene, der bei der Lektüre gern hie und da widersprechen möchte, aber feststellen muss, dass ihm gegen die Büning keine Argumente einfallen, hält plötzlich einen in einem Zug durchgelesenen Essayband in Händen.

Dasselbe wird ihm vermutlich bei Edwin Baumgartners „Wiener Wahn“ (Claudius-Verlag) passieren: Der Kollege von der „Wiener Zeitung“ vermochte an die alte feuilletonistische Tradition dieser Stadt anzuknüpfen und ohne Angst vor heißen Eisen, verschmitzt plaudernd eigenwillige Gestalten zu porträtieren: von Peter Altenberg bis zu Waluliso. Wer mit wenigstens einem der beiden Namen nichts mehr anfangen kann, muss das Büchlein ebenso lesen wie alle, die zu wissen glauben, was sie erwartet, wenn es um „den Hörbiger“ geht.

„Die Ingrisch“ ist freilich „die“ Ingrisch, und „Marcello“ ist der Prawy, und das Fazit lautet: Solche Typen gibt’s fast nimmer. Aber „den Baumgartner“ gibt’s. Er schreibt wie einer von denen, die’s „fast nimmer gibt“.

Die „Missa“

Geburt der Musik aus dem Geist der Religion

Beethoven-Jahr. Wer als ein Religionswissenschaftler sollte sich an die Missa solemnis wagen? Jan Assmann schrieb eines der besten Bücher zum Jubiläum.

Ein Buch über Beethovens Missa solemnis von einem Ägyptologen und Religionswissenschaftler? Wahrscheinlich ist das die einzige Möglichkeit, diesem Gipfelwerk der abendländischen Kulturgeschichte irgendwie beizukommen. Für die Musikologie steht dieses Opus 123 ja im Schatten der umgebenden Spätwerke, der raumgreifenden Neunten Symphonie und der späten Streichquartette, um die sich längst ein ganzer Sagenkreis von mehrheitlich populärwissenschaftlicher Literatur gesammelt hat. Was diese angeblich so schwer verständliche Musik in der Aufführungsstatistik längst vor die sogenannten frühen und mittleren Quartette katapultiert hat.

Die Missa freilich hat ihren einsamen Platz auf dem musikhistorischen Denkmalsockel. Jeder Musikfreund weiß, dass es sie gibt, aber kaum einer hat viele (und vor allem denkwürdige) Aufführungen erlebt.

Das hat schon etwas mit dem enormen Respekt zu tun, mit dem man liturgischer Musik begegnet, die rätselhafterweise schon aufgrund der schieren Länge der Komposition dem liturgischen Gebrauch entrückt ist. Von einem Komponisten noch dazu, der nicht gerade als das bekannt war, was man in Wien einen Kerzelschlucker nennt – oder genannt hat; die Spezies derer, die sich darüber mokieren, dass es religiöse Menschen gibt, ist ja ausgestorben.

„Kunstwerdung“ des Gottesdienstes

Längst gilt der normalatheistische Blick auf das Kunstwerk als – sagen wir ruhig: sakrosankt. Im Fall der Missa solemnis hilft es auch, dass Theodor Adorno, der sich auf alles einen Reim machen konnte, just im Fall dieses Werks einen zweckdienlichen argumentativen Schwächeanfall erlitten hat, dessen Verstiegenheiten der Zunft der Programmheft-Autoren heutzutage mehrheitlich als einzige Informationsquelle genügen.

Und jetzt fegt Assmann die Vorstellung, man könne einem Werk wie diesem mit solch neuzeitlich-unheiliger Analytiker-Attitüde beikommen, nachhaltig vom Tisch. Der Untertitel seines Buchs bezeichnet „Beethovens Missa solemnis als Gottesdienst.“

Wer sich das Vergnügen macht, seine Beweisführung zu studieren, die – wo sonst sollte Assmann auch anfangen? – mit dem Auszug der Israeliten aus Ägypten beginnt, der findet sich bald in einem Kosmos kultur- und religionshistorischer Betrachtungen gefangen. Beethoven, so erfährt man da, der sich für die Vorbereitung seiner Arbeit nicht nur in der Geschichte der geistlichen Vokalmusik bis in die Renaissance-Zeit zurückgearbeitet hatte, war auch firm in liturgischen Fragen und hat sich beim Entwurf des architektonischen Plans für den Riesenbau bald weit entfernt vom ursprünglichen Projekt, seinem Schüler Erzherzog Rudolph zur Inthronisation als Bischof von Olmütz den Festgottesdienst musikalisch auszugestalten.

Die Messe wuchs ihm über den Kopf, nahm außerliturgische Dimensionen an und wurde zu einem der bemerkenswertesten Resultate jener allmählichen „Kunstwerdung des Gottesdienstes“, die Assmann „früh und überall auf der Welt“ ortet.

Dieser „Kunstwerdung“ spürt der erste Teil des Buchs nach, der Herkunft der Zelebrationen und der Geheimnisse der christlichen Liturgie, der Abendmahls-Symbolik vor allem über das Judentum bis zurück zu heidnischen Kulten.

Kant und Schiller auf dem Schreibtisch

Virtuos, wie danach der oft diskutierten Frage über Beethovens Religionsverständnis eigenhändige Notizen und Exzerpte des Komponisten entgegengehalten werden, ein „Glaubensbekenntnis“ nach einem Schiller-Text, das hinter Glas gerahmt auf seinem Schreibtisch stand, aber auch – und vor allem – ein Kant-Zitat über den „immateriellen Gott“, der „ewig, allmächtig, allwissend, allgegenwärtig ist“. Diesen Text notierte sich Beethoven unter dem Titel „Hymne“ – während er die „Hymnen“ seiner Missa solemnis schrieb. Mit Plänen, „fromme Gesänge“ und ein „Herr Gott dich loben wir“ in eine Symphonie einzubinden, trug er sich schon, bevor er seine Messe zu entwerfen begann.

Assmanns musikhistorische Leistung besteht darin, dass er im zweiten Teil seines Buchs Adornos verstiegenen Thesen vom „regressiven Archaismus“ der Missa seine klare Sichtweise vom Aufbau des gesamten Werks entgegenhält: „Nicht die musikalischen Themen, die es zu entwickeln gilt, geben ihm den Weg vor, sondern der Text, den es in allen semantischen, das heißt theologischen Nuancen auszuleuchten gilt.“

Wie das geht, zeichnet Assmann in der Folge auch unter Einbindung vieler Notenbeispiele nach – und findet bei Thomas Mann noch einen Zeugen, der ausreichend über die „Trennung der Kunst vom liturgischen Ganzen“ zu philosophieren weiß.

Über Angelo Neumann

Zwischentöne

Wenn Bayreuth nicht spielt, weiß sich der Wagnerianer mit Lektüre zu helfen: „Wagners vergessener Prophet“ Angelo Neumann kam zu Ehren.

Was die Festspiele mit einem Wanderzirkus zu tun haben

Als Ersatz für die Bayreuther Festspiele, die dieser Tag eröffnet worden wären, kommt heuer ein neues Buch gerade recht. Von Josef („Angelo“) Neumann (1838 -1910) wusste man bestenfalls, dass er viele Jahre lang dem „Deutschen Theater“ in Prag zur Hochblüte verholfen hat. Und dass er noch zu Lebzeiten Wagners mit dem „Ring des Nibelungen“ auf Europareise ging.

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Bronislaw Huberman

Aus Paneuropa wurde Israel Philharmonic

Buchkritik. Das Leben des Geigers Bronisaw Huberman, genau recherchiert: Eine Erfolgsgeschichte mit Trauerrand.

Eine „geistige und körperliche Befreiung unserer Bewohner“ war das Ziel – große Worte, gesprochen von einem der berühmtesten Musiker seiner Zeit, der hie und da lieber politische Reden hielt, als dass er auf dem Konzertpodium Beethoven oder Tschaikowsky spielte.

Bronisaw Huberman (1882-1949) war einer der größten Geiger des 20. Jahrhunderts. Er war aber auch ein Mann, der sich leidenschaftlich für Richard Coudenhove-Kalergis Paneuropa-Idee engagierte und deren Popularisierung einen eminenten Anteil seiner Zeit und Energie widmete.

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Österreichische Tenöre

Hierzulande blüht auch Belcanto

Opernlektüre. Gregor Hauser hat die führenden „österreichischen Tenöre der Nachkriegszeit“ auf bemerkenswert dramatische Weise porträtiert.

Tenöre kommen aus Italien. Zumindest laut Klischee müsste das so sein. Dass die Muttersprache der allerberühmtesten Tenöre in der jüngeren Vergangenheit eher Spanisch als Italienisch war, steht auf einem anderen Blatt. Und auf noch ganz anderen Blättern, exakt auf den 254 Seiten eines neuen Buchs aus dem Wiener „Verlag der Apfel“, stehen die Namen und Lebensläufe von Tenören aus Österreich.

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