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Partiten für Cembalo
BWV 825-830
Die erste »Klavierübung«
Als »Opus 1« gingen die Partiten für Cembalo in Druck – das erste Werk, mit dem Johann Sebastian Bach sich auf den verlegerischen Markt wagte. 1931 lag die Sammlung zur Leipzige Messe komplett vor, doch die Vorbereitungen liefen seit Jahren: Schon 1726 war die B-Dur-Partita gedruckt worden. In der Folge erschien Jahr für Jahr ein weiteres Werk, bis die Sammlung vollendet war.
Man darf annehmen, daß Bach seiner Folge von sechs Suiten – »Partita« ist lediglich ein anderer Name für eine Folge von Tanzsätzen – unterhaltenden Charakter zumaß; ohne freilich in Sachen handwerklicher Meisterschaft, für die er damals bereits berühmt war, ein Jota nachzugeben: Wie seine großen geistlichen Werke sind auch die weltlichen Kompendien an kontrapunktischer Satzkunst.
DIE DIVERSEN »SUITEN«
Die Tatsache, daß von den für Tasteninstrumente komponierten Suiten Johann Sebastian Bachs je eine Folge von sechs Werken unter dem Titel »Englische« bzw. »Französische Suiten« publiziert wurden, hat weitreichende, aber wenig zielführende Spekulationen über stilistische Differenzen in Bachs Suitenfolgen heraufbeschworen.
Auch die Partiten, die 1731 als Clavierübung erschienen, folgen dem althergebrachten barocken Suiten-Schema, das Bach bei seinem Vorgänger in Leipzig, Kuhnau, vorfand. Die Partiten enthalten die für diese Gattung typischen Sätze Allemande, Courante, Sarabande und Gigue, die Bach offenkundig für perfekt und verbindlich erachtete, und fügen jeweils noch freiere Sätze zur Einleitung und teilweise auch als zusätzliche Sätze ein.
FRANZÖSISCHER EINFLUSS
Französisches« findet sich zuweilen in diesen Stücken, vor allem etwa in der unverwechselbar französischen Ouverture am Beginn der Suite Nr. IV. Im übrigen mischt Bach hier – wie in seinen Orchestersuiten (nach ihren » französischen« Einleitungssätzen auch gern Ouvertüren genannt) italienische und französische Tanzformen bunt und ohne erkennbare Schematik. Die Sechsergruppe deshalb als Deutsche Suiten zu bezeichnen, wie gelegentlich vorgeschlagen wurde, scheint weit hergeholt – und vor allem zum Verständnis der Musik nicht förderlich: Bach schreibt hier, wie sooft, seine unverwechselbare Art von Unterhaltungsmusik – sie geht bei ihm stets auch mit höchst intellektuellem Vergnügen einher.
EINE »DEUTSCHE« KUNSTFORM?
Bachs früher Biograph Spitta, der gern betont, daß es sich bei der »Suite um eine deutsche Kunstform« handle, bemerkt zur Stilfrage, daß die unterschiedlichen Bezeichnungen Courente bzw. Corrente für die scheinbar selben Tanzform mit Bedacht gewählt sei, um zwischen italienischem und französischem Gusto zu unterscheiden:
Aus den Partiten der »Clavierübung« geht hervor, daß Bach denselben, als den Äußerungen zweier Nationalitäten, gleiche Rechte nebeneinander zuerkannte. Die erste, dritte, fünfte und sechste Partita hat er mit Correnten, die zweite und vierte mit Couranten versehen. Erstere stehen im 3/4- und 3/8-Takt und haben ein flüssiges und eilendes Wesen, die Couranten dagegen sind leidenschaftlich erregt, gediegen und tiefsinnig.
In den Druckausgaben ist diese von Spitta bemerkte Differenzierung in der Regel nivelliert worden.
DAS VORBILD CORELLI
Corelli sei für Bach in Fragen des italienischen Stils das Vorbild gewesen, bemerkt der Biograph. Deutlich etwa in der Allemande der E-Moll-Partita, die denn im Manuskript auch ausdrücklich italienisch als »Allemanda« bezeichnet wird. Spitta:
Auch Corellis freie Art, mit der Allemande zu schalten, scheint sich Bach gemerkt zu haben. Während übrigens seine Allemanden wie Öl dahinfließen, zeigt die der E moll-Partita ein eckiges Wesen, welches namentlich durch punktirte Sechszehntel hervorgebracht wird. Diese Bewegung findet sich aber häufig grade in Corellis Allemanden.
Tatsächlich fließen die Allemande-Sätze »wie Öl« allerdings bei höchst unterschiedlicher Bewegungsstruktur: In der D-Dur-Partita weitet sich die melodische Entwicklung zu einem hinreißenden, ruhig strömenden Adagio-Gesang, dem ersten der beiden meditativen Zentren dieses Wunderwerks – ein zweites folgt mit der Sarabande, während die übrigen Sätze für gut gelaunte, geistreiche Gegenpole bilden.
Typisch italienisch sei, so Spitta, die Verwischung der tänzerisch-rhythmischen Strukturen, von denen bei Corelli hie und da nur noch die Tempoangabe bleibt – er nennt auch ein Beispiel bei Bach, das diese Praxis widerspiegelt:
Ebenso finden wir in der E-moll-Partita ein Tempo di Gavotta, während das Stück sonst mehr einer Giga, oder, abgesehen vom Alla-breve-Takt, einer Corrente gleicht. In der B-dur- und D-dur-Partita stehen Menuets, in der aus G-dur ein Tempo di Minuetto ein lieblich gaukelndes Stück mit reizenden Accentrückungen, in dem das Überschlagen der Hände vorübergehend angewendet wird; aber mit einem wirklichen Menuet hat es sonst nichts mehr gemeinsam, als den 3/4-Takt.
Partita I B-Dur BWV 825
- Praeludium
- Allemande
- Corrente
- Sarabande
- Menuett I – II – I
- Gigue
Abgesehen von den Gesamtaufnahmen, gibt es von der ersten Partita eine wunderbare Einzelaufnahme. Sie entstand gegen Ende des kurzen Lebens von Dinu Lipatti und läßt den sensiblen Gestalter von seiner feinsinnigsten Art hören: Elegant, geschmeidig und immer wieder mit Witz macht uns der Pianist mit einem gelösten, heiteren, lebenssprühenden Komponisten bekannt.
Partita II c-Moll BWV 826
Gegen die intime Klanglichkeit der B-Dur-Partita setzt das Werk in c-Moll einen dramatischen, ja in den Rahmensätzen beinah theatralisch wirkenden Gegenpol: Das Werk beginnt mit einer regelrechten Ouvertüre, gravitätisch, kraftvoll im französischen Stil, gefolgt von einer raffiniert gearbeiteten, pulsierenden Fuge. Dagegen nehmen sich die folgenden stilisierten Tanzsätze zunächst zurückhaltend aus. Doch spätestens mit dem »Rondeau« baut sich in den weiten Sprüngen, die gefordert sind, eine athletische Spannung auf, die sich im Finalen »Capriccio« entlädt: Anstelle der Tänzer der an dieser Stelle üblichen »Gigue« tollen die Harlekine auf der Bühne – das bunte Treiben macht die Partita Nr. 2 zu einem der beliebtesten Klavierwerke Bachs, obwohl sie mit technischen Schwierigkeiten gespickt ist.
Partita III a-Moll BWV 827
Partita Nr. 3 ist weniger populär als die sie umrahmenden Stücke der Sechsegruppe. Vor allem die einleitende Fantasia ist schlichter – und der insgesamt sehr dynamisch-vorwärtstreibende Charakter der Musik hat durch Bach noch einmal einen kräftigen Schub erhalten, indem er den »Scherzo«-Satz einfügte. Die »Burlesca« hieß in der Frühfassung »Menuett«, bereitet in der endgültigen Version mit dem »Scherzo« in konsequenter Steigerung den rasanten Ausklang der Suite vor: Bach spielt in der »Gigue« geradezu mit unserer Erwartungshaltung und präsentiert statt einer Melodie eine abfallende Tonleiter. Dem verblüfften Hörer scheint er zuzurufen: Hör‘ her, was man damit alles machen kann …
Partita IV D-Dur BWV 828
- Ouverture
- Allemande
- Courente
- Aria
- Sarabande
- Menuett
- Gigue
Die D-Dur-Partita ist das Juwel der Sammlung eine Folge von erlesenen, hoch artifiziellen Metamorphosen der tänzerischen Formen, die nur noch in vagen Umrissen zu erkennen sind: Bach hat sie in expressive Musik verwandelt und präsentiert uns hier gleich zwei »langsame Sätze«, die ungemein gesangliche, weit gesponnene »Allemande« und die geheimnisvolle »Sarabande«, zwischen die sich nicht nur eine elegant-geistreiche Courente, sondern auch noch eine frech-gassenhauernde »Aria« schiebt. »Menuett« und »Gigue« tarieren zuletzt die Balance zwischen höfischer Noblesse und fröhlicher Unterhaltung noch einmal behutsam aus.
Partita V G-Dur BWV 829
- Praeambulum
- Allemande
- Corrente
- Sarabande
- Tempo di Menuetto
- Passepied
- Gigue
Von der Partita Nr. 5 hat der junge András Schiff noch in seiner Zeit in Ungarn eine spritzig-hintergründige Aufnahme gemacht, die sich neben den späteren, im Westen aufgenommenen CD-Versionen nach wie vor behaupten kann. Die Wiedergabe ist in der Kombination der damaligen Bach-Schallplatte auf dem Label Hungaroton bis heute immer wieder aufgelegt worden.
Partita VI e-Moll BWV 830
Auf die vergleichsweise unterhaltend-amüsante G-Dur-Partita folgt mit der abschließenden Nummer der Sechsergruppe eine der umfangreichsten, auch inhaltlich reichsten Schöpfungen des Komponisten im Suiten-Genre. Der theatralische, von höchster Kunstfertigkeit getragene Geist der Ecksätze und die intime, ganz in sich gekehrte Musik der zentralen »Srabande« stehen wie gewaltige Säulen, die das gesamte, alle emotionalen Möglichkeiten der Musik ausschöpfende Gebäude tragen.