Michael Haydn

1737 – 1806

Was sich Mozart von Joseph Haydns Bruder abgeschaut hat


Für die Zeitgenossen galt Michael Haydn durchaus als Großmeister wie sein nachmals viel berühmterer Bruder.
Erzbischof Sigismund von Schrattenbach holte Michael Haydn aus Großwardein nach Salzburg und machte ihn zu seinem Hofkomponisten, der 1771 auch die große Totenmesse für seinen Dienstherrn zu schreiben hatte. Der 15-jährige Wolfgang Amadé Mozart war an der Uraufführung dieses sogenannten »Schrattenbach-Requiems« beteiligt. Von den subjektiven Ausdrucksmitteln, die das Schaffen des »Salzburger Haydn« hoch über die Massenproduktion handwerklich ähnlich geschickter geistlicher Musik dieser Epoche heraushob, schaute sich der junge Mozart allerhand ab.
Nicht nur im 20 Jahre später komponierten »Requiem«-Fragment klingt manche harmonische Wendung, manch melodische Passage aus Haydns Werk nach. Dem lakonischen Ernst des einleitenden Kondukts mit seinem unerbittlichen Marschrhythmus begegnen wir – in derselben Tonart – in der viel bewunderten Szene der Geharnischten im »Zauberflöten«-Finale wieder . . .


Fünf Jahre nach dem später so berühmten Bruder Joseph ist Johann Michael Haydn 1737 in Rohrau zur Welt gekommen. Er sollte einer der bekanntesten »Kleinmeister« im Umfeld der Wiener Klassiker werden. Vor allem aber dank seiner sakralen Musik wurde Michael Haydn, der »Salzburger Haydn« von seinen Zeitgenossen hoch geschätzt. Der »andere« Haydn hat aber auch die Instrumentalmusik reich bedacht: Konzerte für Trompete (2), Klavier, Hörn (2), Flöte (2) und Violine (3), aber auch ein originelles Doppelkonzert für Orgel und Bratsche sind mehrheitlich Produkte der ersten Schaffensphase Michael Haydns, als er um 1760 Kapellmeister in Großwardein wurde.

Jugend im Stephansdom

Wie sein berühmter Bruder Joseph war Michael zunächst (ab 1745) im Knabenchor und in der Schule des Wiener Stephansdoms zu finden. Nebst der Grundschule erhielten die Buben damals auch Unterricht in Gesang, auf Tasteninstrumenten und Violine. Nach dem Stimmbruch, sobald er für den Chor nicht mehr »brauchbar« war, wußte auch Michael Haydn die Schule wechseln. Ab 1753/54 besuchte er Vorlesungen am Wiener Jesuitenseminar.

Im Gefolge des eben ernannten Bischofs Patachich wechselte Michael Haydn als Musiker ins ungarische Großwardein in Ungarn (ungar.: Nagyvárad, heute: Oradea, Rumänien). Er wurde Kapellmeister der Domkirche der Stadt und schuf, animiert vom musikliebenden Bischof eine Reihe von kirchenmusikalischen Kompositionen aller Gattungen. Um das Musikleben Großwardeins attraktiv zu gestalten, engagiert der Bischof später auch Carl Ditters von Dittersdorf, der von 1765 bis 1769 in Großwardein lebte.

Das von den Türkenkriegen krisengeschüttelte Großwardein erlebte dank der beiden bedeutenden Komponisten eine neue Blüte. Seit der Renaissance hatte das zuvor reiche Kulturleben der Stadt arg gelitten und war dann ganz zum Erliegen gekommen. So hat man in Gooßwardien die Ära des Barock »übersprungen«: Haydn und Dittersdorf brachten schon die Vorausklänge der Wiener Klassik in die Stadt.

Michael Haydns befehligte für seine Kichrenmusik regelmäßig 26 Musiker, zu denen bei festlichen Anlässen noch Zusatzkräfte kamen. Mehr als 30 Kompositionen geistlicher und weltlicher Natur sind aus dieser Phase erhalten geblieben. Sie spiegeln nicht zuletzt die religiöse Praxis der Zeit – neben den Vertonungen des Mess-Ordinariums finden sich unter den vertonten Texten das Te Deum, Salve Regina, diverse Motetten, Offertorien, Hymnen und Vespern, gemäß der offenbar auch musikalisch reichen liturgische Praxis der Bischofsresidenz.

Die Lebensbeschreibung Dittersdorfs bieten den Nachgeborenen Einblicke in das Kulturleben jener Epoche. Die Weltliche Musizierpraxis kannte wie in Wien, Paris oder London Aufführungen von Symphonien, Serenaden (»Kassationen«), Partiten und Instrumentalkonzerte. Wöchentlich gab es am Sonntag und am Dienstag eine »Akademie«, wie man die Orchesterkonzerte damals nannte. Man traf sich, wie Dittersdorf schreibt, »zur Musik und nachher zur Gesellschaft«. Der Adel der Stadt, die Geistlichkeit und höhere Beamte der Donaumonarchie waren geladen. Das größte weltliche Fest galt der Feier des Namenstags des Bischofs: Eine Zelebration, die monatelang akribisch vorbereitet wurde. Zwei Dezember-Abende lang dauerten die Festlichkeiten, man brachte Kantaten, neuen Symphonien und Konzerte zur Aufführung. Die genaue Datierung eines der Violinkonzerte Michael Haydns (B-Dur, Perger-Verzeichnis 53) mit 20. Dezember 1760 läßt darauf schließen, daß dieses Werk für eine solche Namenstagsfeier komponiert wurde. Bei solchen Gelegenheiten wurden auch Opern und Singspiele geboten. Maskenumzüge und Bälle gehörten dazu, entsprechend musikalisch ausstaffiert, versteht sich.