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Ernest ANSERMET
Volkmar Andreae
Sir Thomas Beecham
Artur Bodanzky
1877 – 1939
Artur Bodanzky stammte aus Wien, studierte in seiner Heimatstadt und spielte eine Zeitlang in Wiener Orchestern, vor allem war er Geiger im Hofopernorchester. Er hatte aber auch eine gründliche Kapellmeisterausbildung absolviert und wurde in der Ära Gustav Mahlers zu dessen Assistenten. 1904 machte ihn das Theater an der Wien in der Nachfolge Alexander von Zemlinskys zum ersten Kapellmeister, der sein Debüt am Haus mit einer Premiere von Johann Strauß‘ Spitzentuch der Königin feierte.
DIE ERSTE PARISER »FLEDERMAUS«
Für den internationalen Ruf des jungen Dirigenten aus Wien war nicht zuletzt die mit Spannung erwartete Erstaufführung von Johann Strauß‘ Fledermaus in Paris prägend. Unter den Augen von Strauß‘ Witwe studierte Bodanzky das Werk ein und das in Sachen Operette nicht nur kritische sondern auch lokalpatriotische Pariser Publikum jubelte. Ein Rezensent berichtete für das Neue Wiener Journal im April 1904 über die bevorstehende wahre Pariser Sensation:
Wenn die Fledermaus in Paris den großen Erfolg … davonträgt, so wird das in erster Reihe das Verdienst Bodankzy’s sein. Dieser junge Künstler hat mit seinem Taktstock den Musikern und den Darstellern den wienerischen Geist der Strauß’schen Musik eingeprägt, dem Orchester und der Künstlerischaft die Schönheit des Werkes zum Bewußtsein gebracht.
Nicht zuletzt als Wagner-Interpret machte sich Artur Bodanzky sich aber europaweit rasch einen Namen, bekleidete führende Positionen zunächst in Prag, dann in Mannheim. Sein Prager Debütkonzert, 1907, (nach einigen hochgelobten Opernvorstellungen) galt Beethovens Eroica über die der Rezensent der Montagsrevue aus Böhme schwärmte über
das liebe- und verständnisvolle Eindringen in die Details, ohne den Zug ins Große, den Blick auf das Ganze zu verlieren, die suggestive Gewalt über den Orchesterkörper, dessen Glieder jeder für sich das Beste und zusammen ein wohlabgetöntes Ganzes zu geben aufgerüttelt wurden, die subjektive Durchdringung des Werkes ohne Verlezung seiner Substanz.
Weniger freundlich nahm man bei dieser Gelegenheit übrigens die Novität auf, die Bodanzky aus Wien mitgebracht hatte und die sein Interesse für Neues spiegelte: Alexander von Zemlinskys Seejungfrau – und zwar noch in ihrer dreisätzigen, später verlorenen und erst Jahrzehnte danach wieder rekonstruierten Fassung.
WECHSEL IN DIE USA
Als Wagner-Kenner holte man Bodanzky 1914 für die Londoner Erstaufführung des Parsifal an die Covent Garden Oper. Im englischsprachigen Raum war Bodanzky in der Folge nicht mehr aus dem Opernleben wegzudenken. Die Metropolitan Opera rief und machte ihn zum führenden Maestro für das deutsche Fach.
Eine Rückkehr nach Europa kam für ihn ab dem Kriegseintritt der USA nicht mehr in Frage. In Österreich berichtete die Musikzeitung 1917 mit einem unverblümten Hinweis auf die mögliche Wiener Karriere des Dirigenten aus Amerika:
Der Patriotismus ergriff gestern nachts das Metropolitan Opera House und bewegte es bis in die vornehmen ränge. Schon bevor Herr Artur Bodanzky zu den einleitenden Takten des Sternenbanners einsetzte, schien das Publikum, das am Montag stets zahlreich und fashionabel ist, zu fühlen, daß irgendetwas Besonderes im Zuge war. Es wurde offenbar als Herr Bodanzky ins Orchester trat und ohne sich zu setzen, seinen Stab hob. Die Klänge der amerikanischen Nationalhymne ertönten. Von allen Seiten kam Gesang. Die Inhaber der Parterresitze sangen wie die Besucher der obersten Galerie. Herr Bodanzky, der Ungar ist, und sein zum großen Teil deutsches Orchester spielten machtvoll. – und Herr Bodanzky galt bisher als einer der fähigstn Anwärter auf den Posten eines musikalischen Chefs der Wiener Hofoper. Das wird man sich wohl aus dem Kopf schlagen müssen.
Es handelte sich um die Aufführung eines Werks namens Canterbury Pilgrims von Reginald De Koven. An diesem Tag hatte der amerikanische Kongreß den Eintritt der USA in den Krieg beschlossen. Die Entscheidung wurde vor der Vorstellung verkündet. Ein Bericht, der 1921 erschien, bewertet Bodanzkys »Engagement« in dieser Causa ein wenig anders als der Berichterstatter von 1917. Da heißt es
Eine panikartige Erregung dudrchzitterte den Saal. Das Publikum erhob sich. Das Orchester, dessen Leitung Bodanzky wohl oder übel beibehalten mußte, intonierte die Nationalhymne.
New York wurde jedenfalls zu Bodanzkys zweiter Heimat. Er dirigiert dort auch das philharmonische Orchester, vor allem aber unzählige Abende an der Met, wobei Wagner nach dem Kriegseintritt für einige Zeit ausgespart wurde.
Anders als sein Mentor Mahler erwies sich Bodanzky als Praktiker, der dem amerikanischen Publikum in Sachen Wagner-Pflege insofern entgegenkam, als er kräftige Kürzungen in den Partituren gestattete. Sogar in die Partituren von Beethovens Fidelio und Webers Freischütz griff er ein, um sie für ein Opernhaus, in dem nach Pariser Vorbild gesprochene Dialoge verpönt waren spielbar zu machen: In beiden Fällen komponierte Bodanzky Rezitative für die Vorstellungen an der Metropolitan Opera anfang des XX. Jahrhunderts.
Daß ein Kapellmeister auch arrangierend tätig werden sollte, war für einen Mann seiner Generation selbstverständlich. Bodanzky kümmerte sich bereits in seinen europäischen Jahren auch um Textfassungen der von ihm dirigierten Opern, etwa als er als führender Dirigent in Mannheim 1914 nach vielen Jahren eine Neuproduktion von Mozarts Don Giovanni herausbrachte, für die er eine neue deutsche Textfassung erstellte.
Die Sicherheit, mit der Bodanzky musikalisch über die Werke gebot, die ihm anvertraut waren, war schon zu seinen Lebzeiten legendär. Er dirigierte beispielweise an jenem Abend, an dem der dann meistbeschäftigte und bedeutendste Wagner-Tenor an der Met debütierte: Lauritz Melchiors New Yorker Einstand mit Tannhäuser fand nicht nur ohne Orchesterprobe, sondern ohne jede Verständigung zwischen Dirigent und Sänger statt. Angesichts der folgenen märchenhaften Met-Karriere Melchiors scheint das nicht geschadet zu haben . . .
Von Bodanzkys späten New Yorker Aufführungen – nicht zuletzt solchen, in denen auch Lauritz Melchior brillierte – sind etliche Livemitschnitte erhalten. Im Studio hat der Dirigent vor allem Ouvertüre und kleinere Orchesterstücke aufgenommen, die nicht repräsentativ für seine Kunst sind. Eine Aufführung einer Wagner-Oper hört man aber trotz mangelhafter technischer Überlieferung mit Hochspannung von Anfang bis Schluß. Ein Abglanz vom Feuergeist Gustav Mahlers scheint da noch bewahrt. Über die Aufführung des Siegfried mit Lauritz Melchior im Jahr 1937 (als Livemitschnitt auf dem Label Pristine greifbar) schrieb der führende New Yorker Kritiker Olin Downes in der New York Times
Mr. Bodanzky’s conducting of ,,Siegfried“ is not the interpretation of one but of every part of the opera. It is not to be taken for granted, for it represents the very essence of the score. It was a performance which in accent, color and sense of form established the mood and significance of the occasion. The fact was appreciated by the public, which gave the conductor special applause.