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Schönberg – Jacobsen

GURRELIEDER

ZUM WERK

TEIL I

Waldemar:
Nun dämpft die Dämm’rung
jeden Ton von Meer und Land,
Die fliegenden Wolken lagerten sich
wohlig am Himmelsrand.
Lautloser Friede schloß dem Forst
die luftigen Pforten zu,
und des Meeres klare Wogen
wiegten sich selber zur Ruh.
Im Westen wirft die Sonne
von sich die Purpurtracht
und träumt im Flutenbette
des nächsten Tages Pracht.
Nun regt sich nicht das kleinste Laub
in des Waldes prangendem Haus;
nun tönt auch nicht der leiseste Klang:
Ruh‘ aus, mein Sinn, ruh‘ aus!
Und jede Macht ist versunken
in der eignen Träume Schoß,
und es treibt mich zu mir selbst zurück,
stillfriedlich, sorgenlos.

Tove:
Oh, wenn des Mondes Strahlen leise gleiten,
und Friede sich und Ruh durchs All verbreiten,
nicht Wasser dünkt mich dann des Meeres Raum,
und jener Wald scheint nicht Gebüsch und Baum.
Das sind nicht Wolken, die den Himmel schmücken,
und Tal und Hügel nicht der Erde Rücken,
und Form und Farbenspiel, nur eitle Schäume,
und alles Abglanz nur der Gottesträume.

Waldemar:
Roß! Mein Roß! Was schleichst du so träg!
Nein, ich seh’s, es flieht der Weg
hurtig unter der Hufe Tritten.
Aber noch schneller mußt du eilen,
bist noch in des Waldes Mitten,
und ich wähnte, ohn‘ Verweilen
sprengt‘ ich gleich in Gurre ein.
Nun weicht der Wald, schon seh‘ ich dort die Burg,
die Tove mir umschließt, indes im Rücken uns der Forst
zu finstrem Wall zusammenfließt;
aber noch weiter jage du zu!
Sieh! Des Waldes Schatten dehnen
über Flur sich weit und Moor!
Eh‘ sie Gurres Grund erreichen,
muß ich stehn vor Toves Tor.
Eh‘ der Laut, der jetzo klinget,
ruht, um nimmermehr zu tönen,
muß dein flinker Hufschlag, Renner,
über Gurres Brücke dröhnen;
eh‘ das welke Blatt – dort schwebt es -,
mag herab zum Bache fallen,
muß in Gurres Hof dein Wiehern
fröhlich widerhallen!
Der Schatten dehnt sich, der Ton verklingt,
nun falle, Blatt, magst untergehn:
Volmer hat Tove gesehn!

Tove:
Sterne jubeln, das Meer, es leuchtet,
preßt an die Küste sein pochendes Herz,
Blätter, sie murmeln, es zittert ihr Tauschmuck,
Seewind umfängt mich in mutigem Scherz,
Wetterhahn singt, und die Turmzinnern nicken,
Burschen stolzieren mit flammenden Blicken,
wogende Brust voll üppigen Lebens
fesseln die blühenden Dirnen vergebens,
Rosen, sie mühn sich, zu spähn in die Ferne,
Fackeln, sie lodern und leuchten so gerne,
Wald erschließt seinen Bann zur Stell‘,
horch, in der Stadt nun Hundegebel!
Und die steigenden Wogen der Treppe
Tragen zum Hafen den fürstlichen Held,
bis er auf alleroberster Staffel
mir in die offenen Arme fällt.

Waldemar
So tanzen die Engel vor Gottes Thron nicht,
wie die Welt nun tanzt vor mir.
So lieblich klingt ihrer Harfen Ton nicht,
wie Waldemars Seele dir.
Aber stolzer auch saß neben Gott nicht Christ
nach dem harten Erlösungsstreite,
als Waldemar stolz nun und königlich ist
an Toveliles Seite.
Nicht sehnlicher möchten die Seelen gewinnen
den Weg zu der Seligen Bund,
als ich deinen Kuß, da ich Gurres Zinnen
sah leuchten vom Öresund.
Und ich tausch‘ auch nicht ihren Mauerwall
und den Schatz, den treu sie bewahren,
für Himmelreichs Glanz und betäubenden Schall
und alle der heiligen Schaaren!

Tove:
Nun sag ich dir zum ersten Mal:
„König Volmer, ich liebe dich!“
Nun küss‘ ich dich zum erstenmal,
und schlinge den Arm um dich.
Und sprichst du, ich hättes schon früher gesagt
und je meinen Kuß dir geschenkt,
so sprech‘ ich: „Der König ist ein Narr,
der flüchtigen Tandes gedenkt.“
Und sagst du: „Wohl bin ich solch ein Narr,“
so sprech ich: „Der König hat recht;“
doch sagst du: „Nein, ich bin es nicht,“
so sprech ich: „Der König ist schlecht.“
Denn all meine Rosen küßt‘ ich zu Tod,
dieweil ich deiner gedacht.

Waldemar:
Es ist Mitternachtszeit,
und unsel’ge Geschlechter
stehn auf aus vergess’nen, eingesunknen Gräbern,
und sie blicken mit Sehnsucht
nach den Kerzen der Burg
und der Hütte Licht.
Und der Wind schüttelt spottend
nieder auf sie Harfenschlag
und Becherklang und Liebeslieder.
Und sie schwinden und seufzen:
„Unsre Zeit ist um.“
Mein Haupt wiegt sich auf lebenden Wogen,
meine Hand vernimmt eines Herzens Schlag,
lebenschwellend strömt auf mich nieder
glühender Küsse Purpurregen,
und meine Lippe jubelt:
„Jetzt ist’s meine Zeit!“
Aber die Zeit flieht,
Und umgehn werd‘ ich
zur Mitternachtsstunde
dereinst als tot,
werd‘ eng um mich das Leichenlaken ziehn
wider die kalten Winde
und weiter mich schleichen im späten Mondlicht
und schmerzgebunden
mit schwerem Grabkreuz
deinen lieben Namen
in die Erde ritzen
und sinken und seufzen:
„Uns’re Zeit ist um!“

Tove:
Du sendest mir einen Liebesblick
und senkst das Auge,
doch das Blick preßt deine Hand in meine,
und der Druck erstirbt;
aber als liebeweckenden Kuß
legst du meinen Händedruck mir auf die Lippen
und du kannst noch seufzen um des Todes Willen,
wenn ein Blick auflodern kann
wie ein flammender Kuß?
Die leuchtenden Sterne am Himmel droben
bleichen wohl, wenn’s graut,
doch lodern sie neu jede Mitternachtzeit
in ewiger Pracht.
So kurz ist der Tod,
wie ruhiger Schlummer
von Dämm’rung zu Dämmrung.
Und wenn du erwachst,
bei dir auf dem lager
in neuer Schönheit
siehst du strahlen
die junge Braut.
So laß uns die goldene
Schale leeren
ihm, dem mächtig verschönenden Tod.
Denn wir gehn zu Grab
wie ein Lächeln,
ersterbend im seligen Kuß.

Waldemar:
Du wunderliche Tove!
So reich durch dich nun bin ich,
daß nicht einmal mehr ein Wunsch mir eigen;
so leicht meine Brust,
mein Denken so klar,
ein wacher Frieden über meiner Seele.
Es ist so still in mir,
so seltsam stille.
Auf der Lippe weilt brückeschlagend das Wort,
doch sinkt es wieder zur Ruh‘.
Denn mir ist’s, als schlüg‘ in meiner Brust
deines Herzens Schlag,
und als höbe mein Atemschlag,
Tove, deinen Busen.
Und uns’re Gedanken seh ich
entstehn und zusammengleiten
wie Wolken, die sich begegnen,
und vereint wiegen sie sich in wechselnden Formen.
Und meine Seele ist still,
ich seh in dein Aug und schweige,
du wunderliche Tove.


Stimme der Waldtaube:
Tauben von Gurre! Sorge quält mich,
vom Weg über die Insel her!
Kommet! Lauschet!
Tot ist Tove! Nacht auf ihrem Auge,
das der Tag des Königs war!
Still ist ihr Herz,
doch des Königs Herz schlägt wild,
tot und doch wild!
Seltsam gleichend einem Boot auf der Woge,
wenn der, zu dess‘ Empfang die Planken huldigend sich gekrümmt,
des Schiffes Steurer tot liegt, verstrickt in der Tiefe Tang.
Keiner bringt ihnen Botschaft,
unwegsam der Weg.
Wie zwei Ströme waren ihre Gedanken,
Ströme gleitend Seit‘ an Seite.
Wo strömen nun Toves Gedanken?
Die des Königs winden sich seltsam dahin,
suchen nach denen Toves,
finden sie nicht.
Weit flog ich, Klage sucht‘ ich, fand gar viel!
Den Sarg sah ich auf Königs Schultern,
Henning stürzt‘ ihn;
finster war die Nacht, eine einzige Fackel
brannte am Weg;
die Königin hielt sie, hoch auf dem Söller,
rachebegierigen Sinns.
Tränen, die sie nicht weinen wollte,
funkelten im Auge.
Weit flog ich, Klage sucht‘ ich, fand gar viel!
Den König sah ich, mit dem Sarge fuhr er, im Bauernwams.
Sein Streitroß,
das oft zum Sieg ihn getragen,
zog den Sarg.
Wild starrte des Königs Auge,
suchte nach einem Blick,
seltsam lauschte des Königs Herz
nach einem Wort.
Henning sprach zum König,
aber noch immer suchte er Wort und Blick.
Der König öffnet Toves Sarg,
starrt und lauscht mit bebenden Lippen,
Tove ist stumm!
Weit flog ich, Klage sucht‘ ich, fand gar viel!
Wollt‘ ein Mönch am Seile ziehn,
Abendsegen läuten;
doch er sah den Wagenlenker
und vernahm die Trauerbotschaft:
Sonne sank, indes die Glocke
Grabgeläute tönte.
Weit flog ich, Klage sucht‘ ich
und den Tod!
Helwigs Falke war’s, der grausam
Gurres Taube zerriß.


TEIL II

Waldemar:
Herrgott, weißt du, was du tatest,
als klein Tove mir verstarb?
Triebst mich aus der letzten Freistatt,
die ich meinem Glück erwarb!
Herr, du solltest wohl erröten:
Bettlers einz’ges Lamm zu töten!
Herrgott, ich bin auch ein Herrscher,
und es ist mein Herrscherglauben:
Meinem Untertanen darf ich nie
die letzte Leuchte rauben.
Falsche Wege schlägst du ein:
Das heißt wohl Tyrann, nicht Herrscher sein!
Herrgott, deine Engelscharen
singen stets nur deinen Preis,
doch dir wäre mehr vonnöten
einer, der zu tadeln weiß.
Und wer mag solches wagen?
Laß mich, Herr, die Kappe deines Hofnarrn tragen!


TEIL III

DIE WILDE JAGD

Waldemar:
Erwacht, König Waldemars
Mannen wert!
Schnallt an die Lende
das rostige Schwert,
holt aus der Kirche
verstaubte Schilde,
gräulich bemalt mit wüstem Gebilde.
Weckt eurer Rosse modernde Leichen,
schmückt sie mit Gold,
und spornt ihre Weichen:
Nach Gurrestadt seid ihr entboten,
heute ist Ausfahrt der Toten!

Bauer:
Deckel des Sarges
klappert und klappt,
Schwer kommt’s her
durch die Nacht getrabt.
Rasen nieder vom Hügel rollt,
über den Grüften
klingt’s hell wie Gold!
Klirren und Rasseln
durch’s Rüsthaus geht,
Werfen und Rücken mit altem Gerät,
Steinegepolter am Kirchhofrain,
Sperber sausen
vom Turm und schrein,
auf und zu fliegt’s Kirchentor!

Waldemars Mannen:
Holla!

Bauer:
Da fährt’s vorbei!
Rasch die Decke übers Ohr!
Ich schlage drei heilige
Kreuze geschwind
für Leut‘ und Haus,
für Roß und Rind;
dreimal nenn ich Christi Namen,
so bleibt bewahrt der Felder Samen.
Die Glieder noch bekreuz ich klug,
wo der Herr seine heiligen
Wunden trug,
so bin ich geschützt
vor der nächtlichen Mahr,
vor Elfenschuß und Trolls Gefahr.
Zuletzt vor die Tür
noch Stahl und Stein,
so kann mir nichts Böses
zur Tür herein.

Waldemars Mannen:
Gegrüßt, o König, an Gurre-Seestrand!
Nun jagen wir über das Inselland!
Holla!
Vom stranglosen Bogen Pfeile zu senden,
mit hohlen Augen und Knochenhänden,
zu treffen des Hirsches Schattengebild,
daß Wiesentau aus der Wunde quillt.
Holla! Der Walstatt Raben Geleit uns gaben,
über Buchenkronen die Rosse traben,
Holla!
So jagen wir nach gemeiner Sag‘
eine jede Nacht bis zum jüngsten Tag.
Holla! Hussa Hund! Hussa Pferd!
Nur kurze Zeit das Jagen währt!
Hier ist das Schloß, wie einst vor Zeiten!
Holla!
Lokes Hafer gebt den Mähren,
wir wollen vom alten Ruhme zehren.

Waldemar:
Mit Toves Stimme flüstert der Wald,
mit Toves Augen schaut der See,
mit Toves Lächeln leuchten die Sterne,
die Wolke schwillt wie des Busens Schnee.
Es jagen die Sinne, sie zu fassen,
Gedanken kämpfennach ihrem Bilde.
Aber Tove ist hier und Tove ist da,
Tove ist fern und Tove ist nah.
Tove, bist du’s, mit Zaubermacht
gefesselt an Sees- und Waldespracht?
Das tote Herz, es schwillt und dehnt sich,
Tove, Tove,
Waldemar sehnt sich nach dir!

Klaus-Narr:
„Ein seltsamer Vogel ist so’n Aal,
im Wasser lebt er meist,
Kommt doch bei Mondschein
dann und wann
ans Uferland gereist.“
Das sang ich oft
meines Herren Gästen,
nun aber paßt’s auf mich selber
am besten.
Ich halte jetzt kein Haus
und lebe äußerst schlicht
und lud auch niemand ein
und praßt‘ und lärmte nicht,
und dennoch zehrt an mir
manch unverschämter Wicht,
drum kann ich auch nichts bieten,
ob ich will oder nicht,
doch – dem schenk ich
meine nächtliche Ruh,
der mir den Grund kann weisen,
warum ich jede Mitternacht
den Tümpel muß umkreisen.
Daß Palle Glob und Erik Paa
es auch tun, das versteh ich so:
Sie gehörten nie zu den Frommen;
jetzt würfeln sie,
wiewohl zu Pferd,
um den kühlsten Ort,
weit weg vom Herd,
wenn sie zur Hölle kommen.
Und der König,
der von Sinnen stets,
sobald die Eulen klagen,
und stets nach einem Mädchen ruft,
das tot seit Jahr und Tagen,
auch dieser hat’s verdient
und muß von Rechtes wegen jagen.
Denn er war immer höchst brutal,
und Vorsicht galt es allermal
und off’nes Auge für Gefahr,
da er ja selber Hofnarr war
bei jener großen Herrschaft
überm Monde.
Ich, der glaubte, daß im Grabe
man vollkomm’ne Ruhe habe,
daß der Geist beim Staube bleibe,
friedlich dort sein Wesen treibe,
still sich sammle für das große Hoffest,
wo, wir Bruder Knut sagt,
ertönen die Posaunen,
wo wir Guten wohlgemut
Sünder speisen wie Kapaunen –
ach, daß ich im Ritte rase,
gegen den Schwanz gedreht die Nase,
sterbensmüd im wilden Lauf,
wär’s zu spät nicht,
ich hinge mich auf.
Doch o wie süß
soll’s schmecken zuletzt,
werd ich dann doch in den Himmel versetzt!
Zwar ist mein Sündenregister groß,
allein vom meisten schwatz ich mich los!
Wer gab der nackten Wahrheit Kleider?
Wer war dafür geprügelt leider?
Ja, wenn es noch Gerechtigkeit gibt,
Dann muß ich eingehn im Himmels Gnaden…
Na, und dann mag Gott sich selber gnaden.

Waldemar:
Du strenger Richter droben,
du lachst meiner Schmerzen,
doch dereinst,
beim Auferstehn des Gebeins
nimm es dir wohl zu Herzen;
ich und Tove, wir sind eins.
So zerreiss‘ auch unsre Seelen nie,
zur Hölle mich, zum Himmel sie,
denn sonst gewinn‘ ich Macht,
zertrümmre deiner Engel Wacht
und sprenge mit meiner wilden Jagd
ins Himmelreich ein.

Waldemars Mannen:
Der Hahn erhebt den Kopf zur Kraht,
hat den Tag schon im Schnabel,
und von unsern Schwertern trieft
rostgerötet der Morgentau.
Die Zeit ist um!
Mit offnem Mund ruft das Grab,
und die Erde saugt
das lichtscheue Rätsel ein.
Versinket! Versinket!
Das Leben kommt
mit Macht und Glanz,
mit Taten und pochenden Herzen,
und wir sind des Todes,
des Schmerzes und des Todes,
Ins Grab! Ins Grab!
Zur träumeschwangern Ruh‘
Oh, könnten in Frieden
wir schlafen!

DES SOMMERWINDES WILDE JAGD


Herr Gänsefuß, Frau Gänsekraut, nun duckt euch nur geschwind,
denn des sommerlichen Windes wilde Jagd beginnt.
Die Mücken fliegen ängstlich
aus dem schilfdurchwachs’nen Hain,
In den See grub der Wind seine Silberspuren ein.
Viel schlimmer kommt es, als ihr euch nur je gedacht;
Hu! wie’s schaurig in den Buchblättern lacht!
Das ist Sankt Johanniswurm mit der Feuerzunge rot,
und der schwere Wiesennebel, ein Schatten bleich und tot!
Welch Wogen und Schwingen!
Welch Ringen und Singen!
In die Ähren schlägt der Wind in leidigem Sinne.
Daß das Kornfeld tönend bebt.
Mit den langen Beinen fiedelt die Spinne,
und es reißt, was sie mühsam gewebt.
Tönend rieselt der Tau zu Tal,
Sterne schießen und schwinden zumal;
flüchtend durchraschelt der Falter die Hecken,
springen die Frösche nach feuchten Verstecken.
Still! Was mag der Wind nur wollen?
Wenn das welke Laub er wendet,
sucht er, was zu früh geendet;
Frühlings, blauweiße Blütensäume,
der Erde flüchtige Sommerträume –
längst sind sie Staub!
Aber hinauf, über die Bäume
schwingt er sich nun in lichtere Räume,
denn dort oben, wie Traum so fein
meint er, müßten die Blüten sein!
Und mit seltsam Tönen
in ihres Laubes Kronen
grüßt er wieder die schlanken Schönen.
Sieh! nun ist auch das vorbei.
Auf luftigem Steige wirbelt er frei
zum blanken Spiegel des Sees,
und dort in der Wellen unendlichem Tanz,
in bleicher Sterne Widerglanz
wiegt er sich friedlich ein.
Wie stille wards zur Stell!
Ach, war das licht und hell!
O schwing dich aus dem Blumenkelch, Marienkäferlein,
und bitte deine schöne Frau um Leben und Sonnenschein.
Schon tanzen die Wogen am Klippenecke,
schon schleicht im Grase die bunte Schnecke,
nun regt sich Waldes Vogelschar,
Tau schüttelt die Blume vom lockigen Haar
und späht nach der Sonne aus.
Erwacht, erwacht, ihr Blumen zur Wonne.
Gemischter Chor:
Seht die Sonne farbenfroh am Himmelssaum
östlich grüßt ihr Morgentraum.
Lächelnd kommt sie aufgestiegen
Aus der Fluten der Nacht,
läßt von lichter Stirne fliegen
Strahlenlockenpracht.

Regers Orchesterwerke

ÜBERSICHT

Max Regers Schaffen für große Besetzung

Chronologie

1899
Scherzino in C major (Horn & Streicher) WoO I/6

1900
Romanzen in G- und D-Dur (Violine & Orchester) op. 50/1&2

1903
Gesang der Verklärten (Chor & Orchester) op. 71 (Text: Carl Busse)

1904
Sinfonietta in A-Dur op. 90

1906
Serenade in G-Dur op. 95

1907
Hiller-Variationen op. 100

Violinkonzert in A-Dur op. 101

1908
Psalm100 (Chor & Orchester) op.106
Weihegesang (Alt-solo, Chor und Bläser) WoO V/6 (Text: Otto Liebmann)
Symphonischer Prolog zu einer Tragödie op. 108

1909
Die Nonnen (Chor & Orchester) op. 112 (Text: Martin Boelitz)

1910
Klavierkonzert f-Moll op. 114

1911
Weihe der Nacht (Alt, Männerchor & Orchester) op. 119 (Text: Friedrich Hebbel)
Eine Lustspiel-Ouvertüre op. 120

1912
Konzert im alten Stil op. 123
An die Hoffnung (Alt-Solo und Orchester) (Text: Fr. Hölderlin)
Eine romantische Suite nach Gedichten von Eichendorff op. 125

1913
Vier Tondichtungen nach Gemälden von Böcklin op. 128
Ballettsuite op. 130

1914
Mozart-Variationen op. 132
Requiem (Fragment f. Soli, Chor, Orchester und Orgel) WoO V/9

1915
Requiem (Alt oder Bariton, Chor und Orchester) op. 144b (Text: Friedrich Hebbel)
Beethoven-Variationen (Orchesterversion) op. 86
Suite im Alten Stil op. 93, (Orchesterversion)
Fragment: Andante und Rondo capriccioso für Violine und Orchester WoO I/10 (Hrsg. von Florizel von Reuter als »Symphonische Rhapsodie«)

Sergej Rachmaninow

Der Symphoniker

Rachmaninow als Symphoniker? Man kennt den russischen Meister als einen der großen Klaviervirtuosen seiner Zeit, der für sein Instrument Sonaten, Préludes, Etüden und Konzerte geschrieben hat, Werke, von denen er zum Teil selbst atemberaubende Aufnahmen gemacht hat. Aber als Symphoniker?

Drei Symphonien und einige Tondichtungen hat Rachmaninow komponiert. Die Erste Symphonie war ein so eklatanter Mißerfolg, daß der der Komponist in eine tiefe Lebenskrise stürzte, aus der er erst nach psychologischer Behandlung wieder auftauchte. Nach den Sitzungen mit dem Analytiker Dahl kehrte der Komponist mit seinem Zweiten Klavierkonzert triumphal ins Leben zurück.

Und doch, schon die d-Moll-Symphonie weist ihn n den Ohren aufgeschlossener Kenner auch auf dem symphonische Sektor als Meister aus, der von Tschaikowsky ausgehend, die symphonische Form in die frühe Moderne führen konnte: Die Zweite Symphonie gilt als eine der letzten großen romantischen Riesenwerke, die Dritte, im amerikanischen Exil entstanden, ist – wenn auch kaum bekannt – eine der besten Symphonien der tonalen Musik der ersten Hälfte des XX. Jahrhunderts. Die Epoche ist von Interpreten und Konzertveranstaltern freilich erst zu entdecken . . .

Die Symphonien

ERSTE SYMPHONIE

Der erste Versuch Rachmaninows galt lange Zeit als Fehlschlag, schwer realisierbar wegen der enormen technischen Ansprüche an die Musiker. Die Uraufführung im März 1897 in St. Petersburg hatte das Ihrige zu diesem Nimbus beigetragen. Sie glich einer Katastrophe. Zwar stand niemand Geringerer als Alexander Glasunow am Dirigentenpult, aber er war betrunken und setzte das Werk in den sprichwörtlichen Sand. Rachmaninow erinnert sich:

Es war, als würde er nichts verstehen.

Rachmaninow breitete den Mantel des Vergessens über sein Werk und unternahm keinen versuch einer Rehabilitierung. Fast ein halbes Jahrhundert lang glaubte man, er habe die Partitur vernichtet. Doch tatsächlich hatte er sie 1917 bei seiner Flucht aus dem revolutionären Rußland in seinem Landhaus zurückgelassen. In den Wirren der Zeit ging das Konvolut verloren. Das Autograph ist nicht wieder aufgetaucht, aber in der Bibliothek des Petersburger Konservatoriums fanden sich die Orchesterstimmen, aus denen die Partitur rekonstruiert werden konnte. So erklang die Symphonie erstmals 1945 wieder, zwei Jahre nach des Komponisten Tod.

Damals konnte die Musikwelt einen Schatz entdecken: Rachmaninows Werk war alles andere als ein Mißgriff. Vielleicht war die Musik für seine Zeit zu experimentierfreudig, sie basiert, wie viele spätere Werke des Komponisten, auf Elementen der orthodoxen Liturgie. Elemente der musikalischen Themen finden sich im »Oktoechos«, der Sammlung einstimmiger orthodoxer Gesänge. Sie dienen fast allen Themen als Grundlage. Der Partitur ist auch ein geistliches Zitat als Motto vorangestellt:

Die Rache ist mein, ich will vergelten, spricht der Herr.

(Römer 12, 19)

Interessant ist, wem Rachmaninow sein „Rachewerk“ gewidmet hat: Anna Lodyshenskaja, der Ehefrau eines Freundes, zu der der Komponist offenbar in intimer Beziehung stammt. Das Bibeltitat fand Rachmaninow bei Tolstoj, der es in seiner »Anna Karenina« verwendet.

Als Protokoll einer menschlichen Beziehung könnte die Symphonie auch zu dechiffrieren sein. Das lyrische Seitenthema des ersten Satzes ist möglicherweise Annas Portrait, das Fugato in der Durchführung und der energetische Marsch klingen wie ein selbstgewisser Kampf und dessen siegreiches Ende.

Im Scherzo hören wir die chromatisch-grüblerischen Elemente wieder, die den Kopfsatz unterminiert hatten. Im Mittelteil klingt ein zoniges Rache-Motiv auf, das auch im Zentrum des folgenden Larghetto eine Rolle, dessen Außenteile exotisches Kolorit haben – Anna war Zigeunerin . . .

Das Finale beginnt mit festliche Fanfaren, die das Rache-Motiv in eine triumphale Geste verwandeln. doch gegen Ende überwiegt eine düstere, von Schläge des Tam-Tams begleitete Atmosphäre. Ein trügerischer Triumph?

und Inspiration des Werkes.

Variationensatzes wieder . . .

ZWEITE SYMPHONIE

Mit dem Zweiten Klavierkonzert und den Préludes op. 23 (1903) kehrte Rachmaninow nach dem Fiasko der Uraufführung der Ersten Symphonie ins Leben zurück. Inzwischen war er ein gefragter Dirigent (ab 1904 auch am M oskauer Bolschoi-Theater) und als Pianist eine Größe, die von bedeutenden Sängerin wie Fedor Schaljapin auch für Recitals genützt wurde. Ende 1906 reiste Rachmaninow ins Ausland. In Dresden – wo niemand ihn kannte – versuchte der Vielbeschäftigte auch wieder zu komponieren. So entstanden die ersten Entwürfe der Zweiten Symphonie an der Elbe. 1907 war die Partitur vollendet, 1908 kam die Symphonie in St. Petersburg zur Uraufführung – und diesmal lauschte das Publikum gebannt – der enormen Länge der Symphonie zum Trotz. Der Symphoniker Rachmaninow war voll rehabilitiert, seine Zweite wurde zu seiner meistgespielten Symphonie.

Wie das Vorgängerwerk beginnt auch diese Symphonie mit einem düsteren Motto – wohl nach dem Vorbild der Tschaikowsky-Symphonien IV und V. Von diesem Motto leitetet sich auch das Hauptthema des folgenden Allegros ab.

Als zweiter Satz folgt ein marschartiges Scherzo, in dessen Hauptthema – wie später noch so oft bei diesem Komponisten, das gregorianische »Dies irae« anklingt. Wie bei Tschaikowsky kehrt auch bei Rachmaninow das Motto aus dem Kopfsatz (in den Blechblasern) mehrmals zurück und sorgt für Irritation. Das Adagio klingt nicht von ungefähr opernhaft: Rachmaninow greift auf Themen aus dem zentralen Duett seiner Oper »Francesca da Rimini« (1904/05) zurück. Ein nervöser Mittelteil stellt nach Zitaten aus dem ersten Satz (Volovioline) das Liebesglück nachdrücklich in Frage.

Das Finale der Zweiten ist ein für diesen Komponisten ungewöhnlich fröhlich wirkender Beschluß, dessen Triolenrhythmus alles mit sich zu reißen scheint, auch formbildenden Reminiszenzen an die vorangegangenen Sätze. Selbst das nachdenkliche Motiv aus dem Adagio läßt sich „überreden“.

DRITTE SYMPHONIE

Drei Jahrzehnte hat sich Rachmaninow nach dem Erfolg der Zweiten Zeit gelassen, ehe er wieder eine Symphonie schrieb. Inzwischen waren die Klavierkonzerte Nr. 3 und (in den USA) Nr. 4 entstanden, die oratorische Symphonie »Die Glocken« nach Gedichten von E. A. Poe und die »Vespermesse«. Seine Klavier-Solowerke hat Rachmaninow um einen zweiten Band von Préludes (op. 32) ergänzt und vor allem um die formal originellen »Etudes-Tableaux«, wobei die Klangsprache immer herber wurde, obwohl sich der romantische Rachmaninow-Tonfall nicht verändert und unverkennbar blieb.

Zwei eindrucksvolle Variationswerke dürfen bei der Betrachtung von Rachmaninows künstlerischem Weg nicht vernachläßigt werden: Die »Rhapsodie über ein Thema von Paganini« (in Wahrheit ein fünftes Klavierkonzert) und die »Corelli-Variationen« für Klavier solo: Hier kultiviert der Komponist eine handwerkliche Meisterschaft im variieren und verarbeiten von Motiven und Themen, erschließt seiner Musik aber auch harmonisch neue Räume. Bei allem romantischem Zungenschlag: Da komponiert ein Zeitgenosse des XX. Jahrhunderts.

Seine Wahlheimat sieht in Rachmaninow den bedeutenden russischen Pianisten und hört am liebsten das frühe Prélude in cis-Moll, gegen dessen Popularität der Komponist bald eine Aversion entwickelt – es wird dennoch nach jedem Recital als Zugabe gefordert!

EIN SPÄTWERK

Die Dritte Symphonie stammt aus Rachmaninows letztem Lebensabschnitt, 1936 vollendet und von Leopold Stokowski mit dem Philadelphia Orchestra uraufgeführt, stößt sie auf Ratlosigkeit. So viel herber, moderner war die Klangsprache als in Rachmaninows so populären Klavierkonzerten und den berühmten Préludes.

Die klaren Schnitte der rasch wechselnden Stimmungen der »Paganini-Rhapsodie« kehren wieder, nun angewandt auf behutsam modellierte Veränderungen innerhalb größerer symphonischer Blöcke. Die Harmonien scheuen vor Dissonanzen nicht zurück. Viel Schlagwerk betont die rhythmischen Kühnheiten und sorgt für aparte klangliche Effekte. Formal experimentiert Rachmaninow mit der Vereinigung der üblichen Mittelsätze einer Symphonie zu einem originellen Pasticcio.

Wie schon die Zweite beginnt auch die Dritte Symphonie mit einem Motto, dessen Melodik nach orthodoxer Psalmodie klingt; dem folgt nach einem kräftigen Orchesteraufschwung ein melancholisch-schönes Hauptthema das oft als Heimweh-Motiv des exilierten Russen gedeutet wurde . . .

Im Mittelsatz verschmelzen Adagio und Scherzo. Im Thema verwandeln Solo-Horn und Harfe das Motto der Symphonie zu einem neuen melodischen Gedanken. Die markigen Rhythmen des Scherzoteils nehmen dann die Kraft und Vitalität des Finalsatzes vorweg, indem der Instrumentationskünstler Rachmaninow ebenso birlliert wie der Tonsetzer: Im Zentrum steht eine virtuos gestaltete Fuge. Wie eine »Idée fixe« drängt sich zwischen die Themen und das Motto – nicht selten bei diesem Komponisten – gregorianische Totensequenz »Dies irae«. Ein mephistophelischer Eishauch bläst über den effektvollen Symphonieschluß.


DIE TONDICHTUNGEN

Auch diese Symphonie beginnt mit einem altrussisch anmutenden Motto; als Hauptthema stellt sich eine melancholische Melodic vor. In ihrer siiBen Wehmut schwingt eine gehorige Dosis Nostalgie im wortlichen Sinne mit; noch jeder russische Emigrant hatte Heimweh . . . Freilich gehorte diese elegische Grundstimmung schon immer zu Rachmaninows Stilpalette und ist ebenso von Tschaikowsky wie von Tschechow vorgepragt. Die Dritte hat nur einen Mittelsatz: Das iibliche Adagio bildet den Rahmen, das >Scherzo< den Mittelteil. Im Adagio-Thema entdeckt man eine Metamorphose des Mottos (Solo-Horn uber Harfenakkorden). Handiest, ja fast barbeiBig fahrt dann das >Scherzo< dazwischen. Seine Vitalitat speist gleichsam das Finale, ein hochvirtuoses Stuck Orchestermusik mit einer spannend aufgebauten Fuge darin. Unter die verschiedenen, meist nur episodischen Themen mischt sich auch wieder jenes Motiv, das bei Rachmaninow fast schon die Bedeutung einer »idee fixe« besitzt die mittelalterliche Totensequenz des »Dies irae«.

DIE TONDICHTUNGEN

»DER FELS«

Rachmaninow war vierzehn Jahr jung, als er seine erste Orchesterpartitur niederschrieb. Doch erst die Tondichtung »Der Fels«, ein Werk des gerade 20jahrigen Absolventen des Moskauer Konservatoriums, erlebte die Drucklegung. Peter Iljitsch Tschaikowsky, er hatte sich zu Studienzeiten Rachmaninows bereits für die Aufführung von dessen Zigeuneroper »Aleko«, eingesetzt, hielt den »Fels«, für bedeutend und sorgte dafür, daß die Kompositionen in der Wintersaison 1893/94 in den Konservatoriumskonzerten erklang. Er sollte die Uraufführung nicht mehr erleben.

Rachmaninow hat seinem Werk ein literarisches Motto aus dem gleichnamigen Gedicht Michail Lermontows vorangestellt

Die kleine goldne Wolke lag die Nacht/An der Brust des riesigen Felsens

Doch hat der Komponist bekannt, zu seiner Musik eher von Anton Tschechows Erzählung »Auf dem Wege« (Na puti) inspiriert worden zu sein, die eine nächtliche Begegnung zwischen einem Mädchen und einem vom Schicksal schwergeprüften älteren Mann zum Inhalt hat.

Den Mann zeichnen zum Auftakt des Werks die kraftvollen Striche von Celli und Bässen – auf dem Hohepunkt der Komposition kehrt dieses Thema schicksalhaft in den BIechbläsern fortissimo wieder. Die wogenden Holzbläserfigruationen hingegen stehen für das Mädchen, das den Erzählungen des Mannes lauscht. Ihr gehört auch das Flotenthema, das suggestive in immer neuen Varianten erscheint und bald in ein breit strömendes Thema verwandelt wird.

»DIETOTENINSEL«

»Lichte, frohliche Farben gelingen mir nichtleicht.« hat Sergej Rachmaninow einmal bekannt. Umso eindringlicher vermochte er die Düsterkeit von Arnold Böcklins Gemälde »Die Toteninsel« in Musik zu setzen. Eine der fünf Varianten, die Böcklin von diesem Thema gemalt hat, nahm Rachmaninow als bildliche Vorlage für seine symphonische Dichtung.

Wieder einmal klingt das »Dies irae« an, diesmal im breiten Strömen des im 5/4-Takt unheimlich schaukelnden Rhythmus, der Charons Nachen zur Toteninsel übersetzen läßt. In einer großen Steigerungswelle erleben wir die Überstellung eines Toten, dessen Schicksal, Freuden und Leidenschaften noch einmal in einem große akustischen Déja-entendu anklingt. Die verzweifelten inneren Kämpfe fruchten wenig: Charon kehrt einsam zum anderen Ufer zurück, um sein nächstes Opfer einzuholen.

Über die leidenschaftliche Es-Dur-Passage im Mittelteil der Komposition schrieb Rachmaninow an den Dirigenten Leopold Stokowski:

Sie soll einen starken Kontrast zum restlichen Stück bilden – schneller, nervöser und emotionsgeladener . . . Bis hier hin regierte der Tod, doch nun regiert das Leben.

Die Meistersinger von Nürnberg

Hans Knappertsbusch Wien

Die erste Studioaufnahme

  1. »Die Meistersinger von Nürnberg« Wr. Philharmoniker - Hans Knappertsbusch
  2. – I. Aufzug Fortsetzung (... zu einer Freitung)
  3. – I. Aufzug Schluß (... am stilen Herd)
  4. II. Aufzug Anfang
  5. – Schluß
  6. III. Aufzug
  7. – Preislied Günter Treptow
  8. – »Ein Kind ward hier geboren« (Quintett)
  9. – Tanz der Lehrbuben
  10. – Preislied – Verachtet mit die Meister nicht

Herbert von Karajan, Bayreuth 1951

  1. Die Meistersinger von Nürnberg Bayreuther Festspiele 1951 (Karajan)
  2. - Am stillen Herd
  3. Zweiter Aufzug
  4. - Üble Dinge, die ich da merk
  5. Dritter Aufzug
  6. - Ein Werbelied..
  7. -- Ein Kind ward hier geboren

Ethel Smyth

1858 – 1944

Sie war eine Freundin von Virginia Woolfe, pflegte lesbische Affairen – darunter mit der berüchtigten Suffragette Emmeline Pankhurst – ebenso aber auch Beziehungen zu verheirateten Männern; sie galt überdies als eine der effektivsten Aktivistinnen für die frühe Frauenbewegung – und landete schon auch einmal wegen Aufmüpfigkeit für kurze Zeit im Gefängnis: Ethel Smyth ist von den weiblichen Komponisten der Musikgeschichte gewiß die »auffälligste«.

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Hans Rott

Mahlers Ideengeber

1858 – 1884

Im Wien der Ringstraßen-Ära galten Hugo Wolf und Gustav Mahler, die Gleichaltrigen aus der Provinz (der eine aus der Gegend von Iglau, der andere aus Windischgraz zugereist) mit dem zwei Jahre älteren Hans Rott als die mit Abstand Begabtesten unter den jungen Musikern.

Rott – aus dem gleichen Grund wie Wolf früh aus dem Leben gerissen – wird mit seiner Symphonie in E-Dur, zum Ideengeber: Manche Passage aus den ersten Mahler-Symphonien tönen verdächtig nach Rott, dessen Partitur nach seinem Tod im Besitz des jüngeren Kollegen war.

Der Anspruch, die symphonische Form noch über Brahms – ja, was die Dimensionen betrifft, sogar über Bruckner hinaus zu entwickeln, ist bei Rott grundgelegt.

Der Lehrkörper des Wiener Konservatoriums wollte die Bedeutung dieses Werks freilich nicht erkennen. Als einziger ging Rott bei der Schlußprüfung seines Jahrgangs ohne Auszeichnung ab. Angeblich sollen einige Mitglieder der Kommission laut gelacht haben, als der erste Satz von Rotts Symphonie gespielt wurde.

Bruckners Fürsprache

Nur Anton Bruckner soll daraufhin den Saal unter Protest verlassen haben – mit den Worten

Lachen Sie nicht, meine Herren, von diesem Mann werden Sie noch Großes hören.

Die Prophezeiung ist eingetreten, allerdings bedeutend später als selbst Bruckner damals denken hätte können.

Der »Mörder Brahms«

Ohne Anerkennung – wenn auch mit einem guten Zeugnis in Komposition – verließ Rott das Konservatorium. Johannes Brahms sprach sich gegen eine Aufführung der 1880 vollendeten Symphonie in E-Dur aus.
Der Dirigent Hans Richter, immerhin interessiert an der Partitur, stellte eine philharmonische Premiere aus Zeitgründen zurück.

Inzwischen mußte sich Rott als Organist bei den Wiener Piaristen sein Brot verdienen und bewarb sich um Kapellmeisterstellen. Ein staatliches Stipendium wurde ihm – wiederum auf Grund er Weigerung von Brahms – nicht gewährt.
Als endlich eine Möglichkeit bestand, in Mühlhausen Chorleiter zu werden, zeigten sich auf der Reise die ersten ernsten gesundheitlichen Störungen aufgrund der venerischen Erkrankung. Rott bedrohte einen Mitreisenden im Zug, als der versuchte, sich eine Zigarette anzuzünden: Brahms habe den Waggon mit Dynamit füllen lassen, um ihn in die Luft zu sprengen  . . .

Hans Rott verbrachte den Rest seines kurzen Lebens in der Irrenanstalt, wo er 1884 an Tuberkulose starb. Freunde wie Hugo Wolf bezeichneten Brahms als »Rotts Mörder«.

Posthume Uraufführung

Die Uraufführung der E-Dur-Symphonie, deren Manuskript aus dem Besitz Gustav Mahlers in die Sammlungen der Österreichischen Nationalbibliothek wanderte, fand erst 1989 in den USA statt. Seither ist das Werk mit seinen verblüffenden »Vorwegnahmen« von Passagen aus heute viel gespielten Symphonien des Kommilitonen Gustav Mahler mehr als ein Dutzend Male auf CD eingespielt und gilt als – wenn auch in manchen Zügen unausgereiften – Modell für die moderne symphonische Form.

Die Mahler-Forschung vermeidet peinlich die von unbefangenen Hörern ganz unumwunden geäußerte Feststellung, Mahler habe Ideen seines älteren Kollegen übernommen.

Die Anklänge sind jedenfalls erstaunlich:

Das Scherzo-Thema Hans Rotts

Das Scherzo-Thema in Mahlers Erster.

Mahler Erste ist Jahre nach Rotts Werk entstanden. Anklängen an die E-Dur-Symphonie finden sich auch noch in Mahlers Zweiter Symphonie, ohne daß Mahler als Dirigent etwas für die Verbreitung des Werks seines Studienkollegen getan hätte.

Die tragische Geschichte hat → Ingvar Hellsing Lundqvist in einen Roman verarbeitet, der viele Tatsachen aus Rotts Biographie lebendig werden läßt. (Picus)


Von den Aufnahmen der Symphonie Hans Rotts ist jene unter Leif Segerstam besonders empfehlenswert (BIS).
Das Norrköpping Symphony Orchestra musiziert hier leuchtkräftig und versucht nicht, das Pathos und die oft an der Grenze zur Banalität balancierende Stilistik zu kaschieren, sondern nimmt sie an und spielt sie ungeniert aus. Breite Tempi demonstrieren auch Rotts formsprengende »Raumforderung«.

Eine exzellente, sehr klangschöne Wiedergabe der Symphonie erschien 2022 bei Deutsche Grammophon. Jakob Hrusa erarbeitete die Wiedergabe mit seinen Bamberger Symphonikern und spielte für die CD auch sinnvoll noch den vom Komponisten selbst eliminierten Blumine-Satz aus der Ersten Symphonie Gustav Mahlers ein.

Daß Mahler an den mächtig anschwellenden Kadenzwirkungen im Finalsatz für die entsprechenden Passagen etwa noch in seiner Fünften Maß genommen hat, ist zumindest wahrscheinlich; auch daß die gewaltige Schlußsteigerung seiner Vertonung des Rückert-Lieds Um Mitternacht in Rotts Symphonie-Schluß bereits anklingt, ist für Kenner kaum zu überhören.

Dvořáks Neunte

Symphonie Nr. 9 in e-Moll op. 95

Antonín Dvořáks letzte Symphonie verdankt ihren – übrigens vom Komponisten selbst verliehenen – Untertitel »Aus der Neuen Welt« dem Umstand, daß sie das erste Werk ist, das Dvořák während seines Amerika-Aufenthaltes komponiert hat. Die Symphonie entstand in der Zeit zwischen September 1892 und April 1893. Der Komponist war damals als Direktor des des National Conservatory of Music in New York tätig und leitete dort selbst eine Kompositionsklasse.

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Dvoraks Quartette

Die Streichquartette

Antonín Dvořák

FRÜHE VERSUCHE

Quartett in A-Dur (1862)

Antonín Dvořák startete schon mit 21 den ersten Versuch, ein Streichquartett zu schreiben. Das war 1862, ein Jahr nachdem er auf dem kammermusikalischen Sektor zunächst ein Streichquintett komponiert hatte. Dem vom Komponisten selbst als op. 2 numerierten Quartett sollten in den kommenden Jahrzezten 13 weitere einschlägige Werke folgen. Die Nr. 1 kam noch zu Dvořáks Lebzeite, 1888, zur Uraufführung, wurde aber erst 1948 gedruckt. Der Komponist hat das Stück nie wirklich anerkannt, für die Uraufführung von 1888 aber immerhin eigenhändig Veränderungen an der Partitur angebracht und das Werk gekürzt.

Das Quartett ist eine bemerkenswerte Stilübung und beginnt mit einem regelrechten Sonatensatz, dem eine Andante-Introduktion vorangeht. In der Durchführung erkundet Dvořák das harmonische Terrain mittels ausschweifenden Modulationen. Der langsame Satz steht im parallelen fis-Moll und übt sich in hochromantischem Espressivo, wobei das eindrucksvolle Geigenthema von der Bratsche bald behutsam imitiert wird. Wie in einem Konzert-Satz sorgt eine Kadenz für den Quartett-Primarius für die Überleitung in die Reprise. Die tonale Struktur der ersten beiden Sätze wird im folgenden Allegro scherzando gespiegelt, dessen Trio wiederum in fis-Moll steht.

Wie noch oft in späteren Werken sucht Dvořák bereits in seinem Quartett-Erstling nach innerem Zusammenhalt der einzelnen Sätze: So läßt er vor dem Ende des Finales die langsame Einleitung des ersten Satzes wiederkehren.

Quartett in B-Dur (B. 17)

  • Allegro ma non troppo
  • Largo
  • Allegro con brio
  • Finale. Andante

Schon das Vorgängerstück hat Antonín Dvořáks Ehrgeiz offenbart, mit seinen Streichquartetten die große Form für sich zu erobern. Die Ausdehnung der Stücke nimmt konsequent zu. Hatte das A-Dur-Werk etwa eine Dreiviertelstunde gedauert, dehnt sich das B-Dur-Quartett auf an die 50 Minuten aus, das folgende D-Dur-Quartett benötigt dann eine Aufführungszeit von mehr als einer Stunde und dauert damit etwa so lange wie Beethovens Neunte Symphonie.

Im Zweiten Streichquartett tritt Dvořáks Intention, seine mehrsätzigen Kompositionen durch übergreifende Motive und Themen zu einen und große formale Bögen zu spannen, bereits offen zu Tage.

Quartett in D-Dur (um 1870, B. 18)

  • I. Allegro con brio
  • II. Andantino
  • III. Allegro energico
  • IV. Finale: Allegretto

Das D-Dur-Quartett ist Antonín Dvořáks dritter Versuch mit der klassischen Quartett-Form und entstand 1869 oder 1870. Die Datierung ist unklar, eine erste Stimmenabschrift stammt aus dem Jahr 1870. Die Verwendung des patriotischen tschechischen Liedes Hej, Slované im dritten Satz deutet auf die Jahre 1868/69 hin, in denen das Lied von der erwachenden böhmischen Nationalbewegung gern gesungen wurde. Ob das Quartett in Antonín Dvořáks Zeit je gespielt worden ist, ist fraglich. Das erwähnte Stimmen-Material ist extrem fehlerhaft und weist keine Gebrauchsspuren auf.

Das Quartett ist ungewöhnlich umfangreich und gehört zu Dvořáks ehrgeizigen frühen Versuchen, sich klassische Formen anzueignen und – im subjektiven Stil der Wagner-Liszt-Schule in Vehikel persönlicher Aussagen zu verwandeln. Für die erste Notenausgabe in den Sechzigerjahren des XX. Jahrundert nahmen die Herausgeber massive Kürzungen vor. Im Original dauert es im ersten Satz 150 Takte, bis nach dem breit ausgeführten Hauptthema der lyrische Seitensatz erklingt. Ungekürzt dauert der Kopfsatz des Quartetts an die 24 Minuten!

Der langsame Satz (»Andantino«) ist dreiteilig mit sanft umspielter Reprise und steht in h-Moll. Das patriotische Lied prägt das G-Dur-Scherzo, dessen ruhiges Trio (B-Dur) einen sanften Kontrast zum spritzigen Geschehen bildet. Im Final-Rondo versucht sich Dvořák an einer modern-chromatisierten Melodik und Harmonik, die deutlich an Wagner geschult sind, dessen Einfluß sich auch an der zur selben Zeit entstadnenen Oper Alfred zeigt.

Streichquartett in e-Moll (um 1870)

  • Allegro
  • Andante religioso
  • Allegro con brio.

Dvořáks Streichquartett in e-Moll (B. 19) ist vermutlich im Jahr 1870 entstanden. Aber der Komponist hat das Werk zurückgezogen. Doch lag ihm das entrückte H-Dur-Nocturne am Herzen, das er in einem Arrangemet für Streichorchester als op. 40 herausgabe und zuvor noch in sein Streichqintett in G-Dur integrierte, aus dem er es anläßlich der Veröffentlichung als op. 77 aber ebenfalls wieder entfernte.

Die ursprüngliche, dreisätzige, aber pausenlos gearbeitete Version für Streichquartett wurde zu Lebzeiten Dvořák nicht mehr beachtet und erschien wie zwei weitere verworfene Quartette erst 1968 in Druck. Das Stück gehört in die experimentelle Phase des Komponisten, liebäugelt klanglich durchaus mit der Sprache der Wagner-Epigonen und stellt innige Verbindungen zwischen den Werkteilen her: Die magischen Klänge des Andantes kehren vor dem Schluß des Allegro con brio abrundend noch einmal wieder.

Quartett in f-Moll op. 9

  • Allegro con brio
  • Andante con moto quasi allegretto
  • Tempo di valse
  • Finale: Allegro molto

Das Streichquartett in f-Moll entstand 1873, einem Jahr das für Antonín Dvořák gemischte Erfahrungen bereithielt. Die patriotische Kantate Die Erben des Weißen Berges war auf viel Gegenliebe gestoßen, die Neufassung der König und Köhler hatte den älteren Kollegen Smetana beeindruckt, der sie zur Aufführung im Tschechischen Opern-Theater von Prag annahm. Doch folgte die Enttäuschung auf dem Fuß: König und Köhler verschwanden nach den ersten Ensembleproben wieder vom Probenplan des Hauses. Die Musik klang den Ausführenden zu sehr nach Wagner und sollte für die kommende Spielzeit noch einmal überarbeitet werden. In dieser Stimmung arbeitete Dvořák an seinem neuen Streichquartett. Es war Anfang Oktober fertiggestellt, einen Monat vor der Hochzeit des Komponisten mit einer Choristin des Operntheaters. Anders als die vier vorangegangenen Quartett-Versuche wurde das Opus 9 zumindest zur Uraufführung angenommen; doch auch hier bemängelten die Musiker den Stil, der zu sehr von der neudeutschen Schule beeinflußt schien – dieselben Musiker hatten übrigens Friedrich Smetanas e-Moll-Quartett (»Aus meinen Leben«) aus dem nämlichen Grund kritisiert.

Vermutlich hat die eigentliche Uraufführung von Dvořák f-Moll-Quartett erst nach Erscheinen der Partitur in Druck, 1930, stattgefunden. Der Komponist hat aus dem langsamen Satz des Werkes eine Romanze für Solovioline und Orchester gemacht, die er 1879 veröffentlichte. Kommentatoren rücken Dvořáks Komposition in die Nähe von Smetanas erstem Quartett und vermuten auch hier autobiographische Züge: Dvořák soll hier, heißt es, seine künstlerischen Selbstzweifel in Musik gesetzt haben und auch deren Überwindung durch befriedigende musikalische Arbeit.

Quartett in a-Moll op. 12

  • Allegro,ma non troppo
  • Andante cantabile
  • Allegro scherzando
  • Allegro, ma non troppo

Dvořáks a-Moll-Streichquartett entstand in den Monaten November und Dezember des Jahres 1873, in der Zeit der Hochzeit des Komponisten. Mit dem Ergebnis seiner Arbeit war Dvořáks nicht zufrieden. Rasch ging er an eine Neufassung der Partitur, die er allerdings nie beendet hat. Das Stück blieb fragmentarisch liegen. Jahrzehnte später versuchte Jarmil Burghauser, Herausgeber der Dvořák-Gesamtausgabe der Supraphon-Edition, eine Spielfassung zu rekonstruieren, die dann dem Erstdruck zugrundegelegt wurde.

Original erhalten blieben von Dvořáks Hand Exposition und ein großer Teil der Durchführung des Kopfsatzes, ein großer Teil des Scherzos, der gesamte dritte Satz, ein schönes Adagio in E-Dur, das wohl den wertvollsten Teil der Komposition darstellt, sowie Abschnitte des Finales.

Quartett in a-Moll op. 16

Wie viele Werke Antonín Dvořáks entstand auch dieses Streichquartett in atemberaubend kurzer Frist, innerhalb von zehn im September 1874. Es erschien 1875 in Druck und erklang 1878 erstmals öffentlich, gespielt vom Bennewitz-Quartett. Wie schon im f-Moll-Quartett (und des öfteren noch in späteren Werken) legt Dvořák die dramatischsten Momente in den Schlußsatz, den er »grandioso« enden läßt. Unverwechselbarer Dvořák ist das tänzerische C-Dur-Trio im Scherzo.

DIE QUARTETTE DER REIFEZEIT

Für die ersten beiden Streichquartette aus des Komponisten Reifezeit ist eine sanfte Melancholie charakteristisch, die wohl die Tragödien im Familienverband spiegelt, die Antonín Dvořák in jener Zeit erleben mußte. Töchterchen Josefa starb im September 1875 kurz nach ihrer Geburt. Ihre 1876 geborene Schwester Ruzena war kaum ein Jahr alt, als sie einen Schluck aus einer Phosphorlösung zu sich nahm, die man damals im Haus hatte, um Streichhölzer herzustellen. Das Kind überlebte den Unfall nicht. Wenig später starb auch Dvořáks Sohn, Otakar, an den Pocken. Was Wunder, daß Dvořák damals die Arbeit an der Vertonung des Stabat mater wieder aufnahm, die er1876 skizziert, aber dann abgebrochen hatte.

Quartett in E-Dur op. 80

  • Allegro
  • Andante con moto
  • Allegro scherzando
  • Finale. Allegro con brio

Das E-Dur-Quartett ist in der chronologischen Reihung Antonín Dvořáks achtes Streichquartett. Seine Erstfassung vom Winter 1875/76 war bereits unter der Opuszahl 27 aufgeführt worden. Die Letztfassung erstellte Dvořák 1888 für die Erstaufführung durch das Kneisel-Quartett am 27. Februar 1889 in Boston.

Entsprechend den Lebensumständen, darf man das E-Dur-Quartett als Musik mit Trauerrand bezeichnen, melancholisch umflort bereits im Eingangs-Allegro, dessen Seitenthema (cis-Moll) trotz der folkloristisch anmutenden Begleitfiguren rettungslos melancholisch anmutet. Die Durchführung strebt in zwei Steigerungswellen heftig artikulierten Höhepunkten zu, wonach sich der Satz in visionär-traumverlorene Gefilde aufzulösen scheint.

Im Andante con moto, eine der vielen Anverwandlungen der Dumka in Dvořáks Instrumentalmusik, gehört der elegische Ton ohnehin zu den charakteristischen Mermalen des beliebten, aus dem ukrainischen Raum importierten Tanzes. Der bewegte Mittelteil ist von höchster Erregung gekennzeichnet. Selbst das Scherzo, wiewohl von den metrischen Verwirrspielen zwischen Zwei- und Dreizeitigkeit beherrscht, wie sie für den Furiant typisch sind, klingt in diesem Werk vergleichsweise verhalten, eine Valse triste, von einem düsteren cis-Moll-Trio unterbrochen.

Auch das Finale ist in diesem Fall kein fröhlich-unbeschwerter Kehraus, sondern enthält manch poetisch-verklärte, lyrisch-innehaltende Elemente.

Quartett in d-Moll op. 34

  • Allegro
  • Alla Polka. Allegretto scherzando
  • Adagio
  • Finale. Poco allegro

Das Quartett in d-Moll entstand in der zweiten Jahreshälfte 1877 als Hommage an den freundschaftlichen Kollegen und Förderer Johannes Brahms. 1879 revidiert, erklang es erstmals am 27. Februar 1882 in Prag. Die Anregung zur Komposition dürfte die Nachricht von der Zuerkennung des Wiener Staatsstipendiums geboten haben, die mit der Veröffentlichung der »Mährischen Duette« durch Simrock verbunden war. Diese wiederum war durch die Vermittlung von Brahms zustandegekommen.

Den Schmerz über den Tod seiner Tochter, der das E-Dur-Quartett überschattet hatte, hatte der Komponist trotz aller Erfolgsmeldungen noch nicht überwunden. Daraus erklärt sich wiederum der melancholische Grundton im Kopfsatz des Quartetts, der einen geradezu opernhaft gesteigerten Schluß mündet. Aufgeräumt klingt dagegen die folgende Polka, die die Stelle des Scherzos einnimmt. Wie schon in früheren Werken bemüht sich der Komponist, durch Übernahme thematischen Materials von Satz zu Satz, seinen mehsätzigen Werken größere Einheitlichkeit zu sichern. So schimmern thematische Gestalten aus dem ersten Satz im großen Adagio-Gesang des dritten Satzes durch. Das Finale gibt sich nicht als leichtergewichtiger Kahraus, sondern steht in Sonatenform und stellt mit seiner rhythmisch heftig akzentuierten und dramatisch durchgeführten Thematik die inhaltliche Balance mit dem Kopfsatz her.

Quartett in Es-Dur op. 51

  • Allegro ma non troppo
  • Dumka (Elegia): Andante con moto – Vivace
  • Romanze: Andante con moto  
  • Finale: Allegro assai

Das Quartett in Es-Dur ist das zehnte von Antonín Dvořáks 14 Streichquartetten, entstanden 1879 über Auftrag von Jan Becker: Der Primarius des Florentiner Streichquartetts orderte beim Komponisten ein Werk von deutlich »böhmischem« Zuschnitt. Das ließ sich Dvořák nicht zweimal sagen. Johannes Brahms zeigte sich vom Ergebnis der Arbeit ebenso beeindruckt wie der Wiener Geiger und Dirigent Josef Hellmesberger, der mit seinem Hellmesberger Quartett seit langem nach einem Werk von Dvořák verlangt hatte.

Es war die Zeit, in der Dvořák mit seinen »Slawischen Tänzen« weltweit Erfolge feierte, was dazu führte, daß der von Brahms vermittelte Verleger Simrock immer neue Komposition dieser Art verlangte.

Dem setzte Dvořák nun sein zwar durchaus »slawisch« getöntes, aber höchst ernsthaft gearbeitetes Quartett entgegen, das erstmals eine Balance findet zwischen den Ansprüchen der klassischen kammermusikalischen Form und Dvořáks romantischem Ausdrucksbedürfnis, das sich – schon das vom Cello angestimmte Hauptthema des in Sonatenform gehaltenen Kopfsatzes läßt keinen Zweifel daran – des beliebten böhmischen Idioms bedient, ohne ins Folkloristische abzugleiten.

Der zweite Satz ist eine typische Dumka, wie sie Dvořák in die Welt der Kunstmusik eingeführt hat, Musik von rasch wechselnden Stimmungen zwischen elegisch und tänzerisch-beschwingt. Da hier der effektvolle Furiant-Rhythmus dominiert, fungiert erst die folgende »Romanze« als langsamer Satz des Quartetts. Der zweite »slawische Tanz« des Es-Dur-Quartetts ist das Finale, eine Skocna, deren Melodien der Komponist auf raffinierte Weise kontrapunktisch behandelt – womit er zwischen dem nationalistisch-tänzerischen Ton der Musik und ihrer kunstvollen Faktur in der Tradition des klassischen Streichquartetts souverän vermittelt.

Quartett in C-Dur op.61

  • Allegro
  • Poco Adagio e molto cantabile
  • Scherzo. Allegro vivo
  • Finale. Vivace

Dvořák vollendete sein Quartett in C-Dur im November 1881. Das Werk war im Auftrag des Wiener Hellmesberger Quartetts enstanden, wobei vermutlich Johannes Brahms eine Vermittlerrolle gespielt haben könnte. Die Uraufführung fand jedoch im November 1882 nicht in Wien, sondern durch das Joachim Quartett in Berlin statt, weil der Spielbetrieb in Wien im Gefolge des katastrophalen Brands des Ringtheaters unterbrochen war.

Von den kammermusikalischen Werken der Reifezeit ist es jenes, in dem das böhmische Element am stärksten zurücktritt. Es meldet sich lediglich im Trio des dritten Satzes unverwechselbar zu Wort.

Hingegen zeigt sich der Experimentator Dvořák in vergleichsweise ungewöhnlichen harmonischen Kozepten; so vermeidet er ganz gegen die klassische Regel in der Reprise des Kopfsatzes lange die eindeutige Festlegung der Grundtonart. Die Faszination der Musik der sogenannten Neudeutschen Schule um Wagner und Liszt war für Dvořák offenkundig noch keineswegs gebrochen, auch wenn deren Gegner Brahms zu seinen entschiedenen Förderern gehörte.

Ungeheuer expressiv ist der langsame Satz, der ursprünglich Teil der Violinsonate in F-Dur war. Für die integrativen formalen Konzepte, die für Dvořák immer wichtiger wurden, spricht die thematische Verwandtschaft des Scherzo-Themas mit motivischem Material aus dem ersten Satz.

DAS BERÜHMTE »AMERIKANISCHE«

Quartett in F-Dur op. 96

  • Allegro ma non troppo
  • Lento
  • Molto vivace
  • Vivace ma non troppo

Es hat viel Überredungskraft gekostet, Antonín Dvořák nach Amerika zu locken. Wirklich glücklich war der Komponist dort vor allem in den Sommermonaten des Jahres 1893, nachdem er sich überreden ließ, seinen Urlaub in der tschechischen Kolonie Spillville zu verbringen. Hier fühlte er sich zu Hause und warf in kürzester Frist – von 8. bis 10. Juni – nach einer langen Pause wieder ein Streichquartett, das F-Dur-Quartett aufs Notenpapier. Das Werk sollte als sogenanntes »amerikanisches Quartett« ins Repertoire Einzug halten und zu Dvořáks meistgespieltem Kammermusik-Werk werden.

Dabei tönt es alles andere als »amerikanisch«, ist durch und durch erfüllt vom böhmischen Geist. Wie in der »Symphonie aus der Neuen Welt« aus der selben Phase sind die pentatonischen Themen, die so gern als »amerikanisch« apostrophiert werden, durchaus europäischer Provenienz und ebenso in Böhmen wie in den USA daheim. Angeblich hat das gezwitscher eines Vogels, den Dvořák in Spillville erstmals sah und hörte, die Hauptmelodie des Scherzo-Satzes inspiriert.

Auch eines der Couplets im schwungvollen Final-Rondo, soll unmittelbar der Erfahrung in Spillville zu verdanken sein: Eine Melodie, die Dvořák im Sonntagsgottesdienst der tschechischen Landsleute gehört haben soll.

Im Grunde aber ist das Quartett ein Musterbeispiel für Dvořáks souveränen Spätstil: Das gesamte motivische Material scheint – so unterschiedliche Ausprägungen es auch annehmen mag – aus einem ganz zu Beginn exponierten musikalischen Motiv herauszuwachsen. Ganz nach Franz Liszts Prinzip der fortwährenden Verwandlung arbeitet auch Dvořák in jener Phase konzentriert und ökonomisch – der Meister der späten symphonischen Dichtungen kündigt sich bereits an und entwickelt aus unscheinbaren Keimzellen die unterschiedlichsten Gestalten, deren Varianten oft überraschende Kontraste bilden und dramaturgischen Überraschungen heraufbeschwören.

Motivische Verwandtschaften 1. Satz, 2. Satz und Finale

DAS SUBJEKTIVISTISCHE SPÄTWERK

Quartett in G-Dur op. 106

  • Allegro moderato
  • Adagio ma non troppo –
  • Molto vivace
  • Finale. Andante sostenuto – Allegro con fuoco

Das G-Dur-Quartett ist das letzte Streichquartett, das Antonín Dvořák veröfentlicht hat. Er hat die Arbeit daran später begonnen als jene am Schwesterstück in As-Dur (op. 105) dessen erste Skizzierung noch vor der Heimreise aus den USA stattfand. Doch war die Komposition von op. 106 früher beendet. Die Reihenfolge, die von den Opuszahlen suggeriert wird, ist trügerisch.

Der erste Satz des G-Dur-Quartetts entstand in der ersten Novemberwoche 1895. In der Folge skizzierte Dvořák den zweiten Satz (20. November) und das Scherzo (25.). Während er diese beiden Sätze in Partitur setzte, entwarf er offenbar auch das Finale, hinter dessen Reinschrift er am 9. Dezember 1895 den Schlußstrich zog, ehe er am zuvor begonnenen As-Dur-Quartett weiterarbeitete.

Die beiden Werke gehören jedenfalls eng zusammen und ziehen die Summe der kammermusikalischen Beschäftigung des Komponisten, weit und symphonisch geatmet, dabei ungemein konzentriert in der motivisch-thematischen Arbeit. Formale Fragen stellen sich für Dvořák längst nicht mehr, vielmehr läßt er dem verspielten Klassizismus des »Amerikanischen Quartetts« (op. 96) nun zwei balladeske musikalische Erzählungen folgen, die klassische Formen nur noch als architektonische Raster nutzen. Der Meister der symphonischen Dichtung kündigt sich an. Die Tendenz war in der Neunten Symphonie (»Aus der Neuen Welt«) schon vorgegeben.

Schon der Kopfsatz des G-Dur-Quartetts verrät die mühelose Verschmelzung von Aussage und Formschema: Der fröhlichen ersten Themengruppe steht ein »Seitensatz« in B-Dur gegenüber, der bereits durchführungsartig Elemente der Begleitfiguren des Hauptthemas verarbeitet und fließend in die Durchführung überleitet, die den kontinuierlichen Verwandlungsprozeß in einem natürlichen musikalischen Fluß weiterführt.

Ganz unorthodox auch der Aufbau des langsamen Satzes. Dieses Adagio ma non troppo (Es-Dur) ist zwar ein Variationssatz, doch verschleiert Dvořák die formalen Nahtstellen auch hier. Für den Hörer finden hier zwei große emotionsgeladene Steigerungswellen statt, die harmonisch weit ausgreifen (Episoden in fis-Moll und C-Dur) und sich schließlich in einem »Grandioso«-Höhepunkt entladen. Diese beiden großen Bögen entwickeln sich eigenständig über die Grenzen der einzelnen Variationen hinweg. Wobei sich wiederum Elemente wie die Begleitformel des Cellos aus Variation I im weiteren Verlauf selbständig machen und zu besimmenden thematischen Elementen werden. Wiederum dient – wie im ersten Satz die »Sonatenform« – das Formmodell Variation nur als grundlegender Raster, über dem sich frei die inhatliche Aussage der Musik entfaltet.

Nur scheinbar simpel nachzuvollziehen ist der Aufbau des Scherzos (h-Moll) mit seinem schwingenden As-Dur-Mitteltel im Scherzo-Teil, der den Charakter eines Seitenthemas in einem Sonatenschema annimmt. Ähnlich hat Dvořák etwa auch den dritte Satz seiner Neunten Symphonie aufgebaut. Auch rhythmisch gewinnt der Satz immer wieder verwirrende Vielfalt, verwandt dem von Dvořák so häufig verwendeten Furiant mit dessen charakteristischen Wechselrhythmen (zweizeitiger 6/8 gegen dreizeitigem 3/4-Takt). Beruhigt-beruhigend der wie von Dudelsack-Bässen begleitete Trio-Abschnitt, der sich gegen Ende zu aber auch auflöst und eloquent zur Scherzo-Reprise führt.

Das Finale ist ein Rondo, in dessen »Couplets« das Seitenthema des Kopfsatzes noch einmal variiert anklingt und in Konfrontation mit dem neuen Material des Finalsatzes gerät. Dadurch spitzt sich das Geschehen dramatisch zu. Das ist Dvořáks Kunstfertigkeit: Die Wiederaufnahme von Elementen des Kopfsatzes schafft thematische Einheit und spant einen formalen Bogen zum Beginn des Quartetts, sorgt aber andererseits für inhaltliche Konflikte und emotionale Aufwallungen, denen erst das entschiedene – und entscheidende – Wieder-Auftreten des Rondothemas ein Ende setzt. Das Werk klingt so fröhlich und scheinbar unbeschwert aus, wie es begonnen hat.

Anläßlich der Wiener Erstaufführung durch das Böhmische Streichquartett im Dezember 1896 befand der strenge Rezensent der Neuen Freien Presse, Eduard Hanslick:

Mir will das As-Dur-Quartett noch einheitlicher, noch frischer und origineller erscheinen; Andere ziehen das in G-Dur vor. An beiden besitzen wir Perlen der neueren Kammermusik.

Quartett in As-Dur op. 105

  • Adagio ma non troppo – Allegro appassionato
  • Molto vivace
  • Lento e molto cantabile
  • Allegro non tanto

Das Streichquartett in As-Dur entstand nahezu gleichzeitig mit dem G-Dr-Quartett (op. 106) nach der Rückkehr des Komponisten aus Amerika im Jahr 1895. Simrock veröffentlichte beide Werke schon wenige Monate später, 1896.

Das As-Dur-Werk basiert noch auf Entwürfen, die Dvořáks noch in den USA zu Papier gebracht hatte. Den Schlußstrich hinter die Partitur zog er am 30. Dezember 1895, nach Vollendung des später begonnenen G-Dur-Quartetts.

In diesen beiden Werken gebietet der Komponist mühelos über die viersätzige klassische Form und paßt sie auf jeweils originelle Art seinem Ausdrucksbedürfnis an. Der zweite Satz ist wiederum ein tschechischer Furiant, dessen Trio ganz offenkundig motivisch mit der Einleitung zum ersten Satz verwandt ist. Der langsame Satz gehört zu den großen, ausdrucksvollen Instrumentalgesängen in Dvořáks Spätwerk und ist harmonisch von höchster Innenspannung. Originell und ungewöhnlich auch das Finale, in dem Dvořák ein unewartet auftretendes Thema in Ges-Dur einführt, das im weiteren nie mehr wiederkehrt – ein formaler Coup, der sich ähnlich auch im ersten Satz des berühmten Cellokonzerts findet. Im Tonfall ist die Musik durchwegs den Klängen von Dvořáks böhmischer Heimat verpflichtet, in die er trotz seinen amerikanischen Erfolgen dankbar zurückgekehrt war. Er stand am Beginn einer musikalischen Phase, die ihn noch zu erstaunlichen kompositorischen Abenteuern führen sollte, in denen er alle klassischen Form-Bemühungen hinter sich ließ. Nach Symphonien und Streichquartetten schrieb er fürderhin programmatische Tondichtungen und wandte sich schließlich ganz dem Musiktheater zu.

Das As-Dur-Quartett erlebte seine Uraufführung durch das Rosé-Quartett in Wien am 10. November 1896. Es erklang kurz danach auch in den Konzerten des Hellmesberger-Quartetts. Das Rosé-Quartett stellte in jenen Tagen auch das G-Dur-Quartett (op. 106) erstmals in Wien vor, und zwar nur zwei Tage, nachdem die Philharmoniker in ihren Abonnementkonzerten unter Hans Richter erstmals Dvořáks Tondichtung »Der Wassermann« präsentiert hatten.

Das As-Dur-Quartett fand bei seiner Uraufführung freundliche Aufnahme, aber nicht durchwegs begeisterte Aufnahme. Richard Kralik befand, das sei

Musik von halber Energie und daher nur von halber Wirkung.

Sie stieß bei den deutschnationalen Teilen der Presse vor allem wegen es unverkennbar böhmischen Tonfalls auf Kritik, eines Tonfalls, der sich, so einer der Rezensenten

sorglos dem nationalen Fahrwassser überläßt, das sehr klar, aber auch sehr seicht ist.

Kritiker-Papst Eduard Hanslick hingegen befand in der Neuen Freien Presse Genugtuung darüber, daß der Komponist sich in der alten Heimat nach seinem Ausflug in die Neue Welt wieder eingefunden hatte und nun seiner Fantasie offenbar freien Lauf ließ. Auch, so befand der Kritiker,

von den czechischen Motiven scheint sich der Komponist emanzipiert zu haben.

Das Quartett hätte, so Hanslick

ungemein gefallen und wird es noch mehr, wenn einmal Spieler und Hörer sich darin vollkommen heimisch fühlen.