Georg Friedrich HÄNDEL

1685 - 1759

An der Wiege des Welterfolgs standen bei Georg Friedrich Händel, dem Barbiers-Sohn aus Halle/Saale manch kuriose Abenteuer.

....so ein Duell in Hamburg, 1704

Ein Metallknopf am Rock Georg Friedrich Händels hat die Musikgeschichte nachhaltig beeinflußt: An ihm zersprang die Klinge des Degens von Johann Mattheson anläßlich eines Duells der beiden Komponisten in Hamburg.
Anlaß des Streits war, kurios genug, die Tatsache, daß Händel eine Vorstellung von Matthesons Cleopatra zu Ende dirigieren wollte, obwohl der Mattheson selbst im Orchestergraben erschien, um seinen Platz am Cembalo einzunehmen.
Wie auch immer: Mattheson blieb Händel gegenüber ab diesem Zeitpunkt reserviert. Als einer der wichtigsten Chronisten jener Epoche hätte er jedem anderen Kollegen damit sehr schaden können. Händel nicht. Dessen künstlerische Persönlichkeit war überwältigend genug, daß sie sich gegen jeden Widerstad bahn brach.
Dabei waren sich die beiden Kontrahenten bis dahin in der Regel über alle Dinge einig gewesen.

... oder eine häßliche Jungfrau

Über die Tatsache, daß man es nicht übers Herz bringen konnte, die Nachfolge des großen Dietrich Buxtehude in Lübeck anzutreten, waren sich sämtliche jungen Musikertalente in Deutschland einig. Die Position des dortigen Domorganisten wäre zwar auch finanziell höchst attraktiv gewesen. Allein, der Nachfolger hätte Buxtehudes älteste Tochter ehelichen müssen. Die „Jungfer Sauerampfer“ wollte keiner von beiden haben.
Auch das war eine musikhistorische Weichenstellung, denn Händel war - wiewohl zunächst autodidaktisch ausgebildet - ein vorzüglicher Organist und Cembalist. .

Viele Kenner meinten damals, Händel sei nicht nur ein großartiger, sondern sogar der weltbeste Organist und Cembalist. Jedenfalls soll der Legende nach der Herzog von Sachsen-Weißenfels dem noch nicht einmal zehnjährigen Buben eine Hand voll Goldmünzen in die Tasche gesteckt haben, um ihm ein Musikstudium zu finanzieren. Erst das soll die Opposition des Vaters, Georg Händel, der aus seinem Sohn einen Juristen machen wollte, gebrochen haben.
Der Ruhm des jugendlichen Genies verbreitete sich rasch. Georg Philipp Telemann besuchte schon den Teenager Händel in Halle, um sich mit ihm auszutauschen. Ein Dialog, der danach jahrzehntelang schriftlich gepflegt wurde.
Zur prägenden Gestalt für den jungen Händel wurde Hamburgs Opern-Intendant Reinhard Keiser. Er war der führende Opernkomponist Deutschlands und übte enormen Einfluß auf den Musikdramatiker Händel aus, der 1705 im Hamburger Gänsemarkt-Theater (als Einspringer für den vor seinen Gläubigern kurzfristig geflohenen Keiser) sein Erstlingswerk Almira herausbrachte.

Von Hamburg aus brach Händel zu der für einen Komponisten damals unverzichtbaren Studienreise auf:

Die Studienreise nach Italien

Händels Ruhm war längst in den Süden gedrungen. Adelige Gönner hatten ihm immer wieder Einladungen unterbreitet.
Nun folgte er seinem Instinkt und machte zwischen 1707 und 1710 Station in Rom, Florenz, Venedig und Neapel. Wo immer er erschien, wurde er bestaunt und beklatscht. College Domenico Scarlatti soll, als Händel während des venezianischen Karnevals maskiert musizierte, ausgerufen haben:


Das ist entweder der Teufel, oder der Sachse.

Jedenfalls kam es in jenen Jahren zur Begegnung nicht nur mit Alessandro und Domenico Scarlatte, sondern auch mit Arcangelo Corelli, dem anerkannten Meister von Sonate und Konzert. In Rom schrieb Händel seine ersten Oratorien - aus Not, weil aufgrund politischer Umstände Theateraufführungen verboten waren:

  • Il trionfo del Tempo e del Disinganno (1707)

  • und
  • La Resurrezione (1708).
  • Vor allem Il trionfo stellte sich als dauerhafter Erfolg heraus, dessen Musik Händel bei verschiedenen Gelegenheiten wieder verwertet hat.
    Im übrigen legte der Komponist mit großangelegten geistlichen Werken - allen voran die Psalmvertonung Dixit Dominus und unzähligen Kantaten die Grundlagen seines Ruhms.

    Als Opernkomponist trat Händel vor allem in Venedig hervor. Seine Agrippina (1709) wurde ein Sensationserfolg. Man riß sich in halb Europa um den gerade einmal 24jährigen Meisterkomponisten. Deutschland wollte ihn zurück. Aber auch London streckte seine Fühle aus.
    Das führte zu einem Interessenskonflikt, der bald in Händels Biographie eine gefährliche Situation heraufbeschwor.

    zwischen deutschland und england

    Zweimal begehrte der Komponist von seinem neuen Dienstherrn, dem Kurfürsten Georg Ludwig von Hannover, Urlaub, um das Musikleben Englands kennenlernen zu können. Der Urlaub wurde zwar willig gewährt, aber stets mit der Auflage

    sich nach einer geziemenden Zeit wieder einzustellen.

    Doch nach seinen Erfolgen in London - schon Rinaldo (1711) galt als Sensation - dachte Händel beim zweiten Mal gar nicht, je wieder zurückzukehren.
    Das führte zu einer peinlichen Wiederbegegnung. Denn als am 1. August 1714 Königin Anne starb, war laut englischem Erbfolgegesetz die Regentschaft der Stuarts beendet. Nächster König von England wurde - Händels Hannoveranischer Dienstherr: Im Oktober 1714 wurde der Kurfürst in Westminster Abbey zum König Georg I. gekrönt.
    Der neue Herrscher dachte freilich nicht daran, sich für die Unbotmäßigkeit seines abtrünnigen Hofkomponisten zu rächen. Im Gegenteil: Er verdoppelte Händels Appanage - Queen Ann hatte ihm 200 Pfund jährlich gewährt - und steht als Auftraggeber auch hinter einem der populärsten Stücke des Komponisten: Die Wassermusik begleitete 1717 eine legendäre Bootsfahrt des Hofstaates auf der Themse.

    Idealisierte Darstellung im XIX. Jahrhundert
    Edouard Hammanns "Fahrt auf der Themse"

    London gewann den Kampf um Händel klar. Von einigen Reisen abgesehen, verbrachte der Komponist ab 1712 sein ganzes restlichen Leben in England.

    Hauskomponist des Duke of Chandos

    Von 1717 bis 1719 war er Hauskomponist des nachmaligen Herzogs von Chandos in Edgware. Dort entstanden neben den zwölf Chandos Anthems unter anderem auch eine Reihe von Cembalosuiten. Vor allem aber gab es zu einer Feierlichkeit den ersten Versuch mit einer Form, die später Händels Ruhm noch festigen sollte: Mit Esther entstand Händels erstes Oratorium; oder zumindest eine Mixtur aus Oratorium und »Masque«

    Eine Reise nach Dresden zur Rekrutierung erstklassiger Sänger, vor allem des weltberühmten Kastraten Senesino, bereitete Händels erstes Opernunternehmen vor, das im King’s Theatre für 1719 avisiert wurde.

    Das erste Opernunternehmen

    Die erste Stagione von Händels „Academy of Music“ begann mit der Uraufführung von Radamistoim April 1720.
    Bis 1728 dauerten die Aufführungsserien im King’s Theatre. Wobei nicht nur Opern aus Händels Feder gegegeben wurden, sondern auch solche von Bononcini, der anfangs sogar erfolgreicher war als Händel selbst.
    John Byron machte sich zum Gaudium der Londoner Connaisseurs einen Reim auf die künstlerische Gegnerschaft:

    Some say, compared to Bononcini
    That Mynheer Handel’s but a ninny.
    Others aver that he to Handel
    Is scarcely fit to hold a candle.
    Strange all this difference should be
    »Twixt tweedledum and tweedledee«.
    Legendär ist der „Zickenkrieg“ zwischen den Primadonnen Francesca Cuzzoni und Faustina Bordoni, der zahlreiche Anekdoten hervorbrachte.

    Sicher ist, daß ein nicht geringer Teil von Händels Kammermusik, allen voran die Violinsonaten op. 1 nicht fürs häusliche Musizieren gedacht war, sondern für Konzert-Darbietungen der Operntruppen, bei denen neben den Sänger-Stars auch die Solisten von Händels Orchester - begleitet vom Meister selbst am Cembalo - brillieren konnten.

    Doch Händels Opern-Unternehmen war trotz allen künstlerischen Erfolgen finanziell immer wieder gefährdet, zuletzt desaströs überschuldet.

    Außerdem
    wurden in London englischsprachige, locker-parodistische musikalische Komödien Mode. Es war schick, sie der italienischen großen Oper vorzuziehen. Der Sensationserfolg von John Gays und Johann Christoph Pepuschs Beggar’s Opera, die sich unverhohlen über Händels Opern-Stil lustig machte - und später von Bert Brecht und Kurt Weill in die ebenso erfolgreiche Dreigroschenoper verwandelt wurde - beschleunigte den finanziellen Zusammenbruch von Händels »Academy«.
    mehr zur »Beggar's Opera«

    Das zweite Opernunternehmen
    Aber schon ein Jahr später eröffnete Händel im Verein mit Johann Jacob Heidegger ein neues Opernunternehmen, für das erneut das King’s Theatre angemietet wurde, der Bestand an Kulissen und Kostümen aus dem zuletzt gescheiterten Projekt inbegriffen.
    Während der Zeit des zweiten Opernprojekts wandete sich Händel schon des öfteren wieder dem Oratorium zu, das er in Rom gepflegt hatte. Aber erst die Etablierung eines Konkurrenzunternehmens, der »Opera of Nobility«, gefördert vom Kronprinzen und mit dem jungen Kastraten Farinelli als Attraktion, brachte 1733 das Ende für die Händelsche Oper II. Viele von Händels Künstlern wechselten zur Konkurrenz, die bald im »King's Theatre« aufspielen durfte.

    Doch
    der Komponist machte sich auf die Suche nach einem neuen Domizil und wurde fündig: Ein Umzug nach Covent Garden, wo heute noch Londons wichtigstes Opernhaus beheimatet ist, führte zur Opern-Unterehmung Nr. 3.

    Das dritte Opernunternehmen

    Seit seinem Triumph mit Rinaldo im Jahr 1711 war dem Komponisten das »King's Theatre« offengestanden. Die Aktivitäten des Kronprinzen machten ihm nun einen Strich durch die Rechnung. Daß er ausgerechnet in »Covent Garden« fündig wurde, wo die Mönche von Westminster seit langem ihre Verstorbenen zur Ruhe betteten (daher der Name), ist einer der Treppenwitze der Musikgeschichte: Das neue, damals modernste Theater Londons hatte an dieser Stelle ein Mann mit dem bezeichnenden Namen John Rich errichtenlassen - und dieser John Rich war der Impresario, der Anno 1728 das Duo Gay & Peppusch zur Beggar's Opea animiert hatte. Es war die Aufführungsserie dieses Werks in Rich's damaligem Theater gewesen, die Händels erste Opernunternehmung in den Ruin getrieben hatte.

    Nun
    engagierte derselbe Mann Händel für das neu errichtete Theater am Covent Garden und zeichnete damit verantwortlich für eine letzte Hochblüte der großen Barock-Oper. Die konnte ihre Prachtliebe im neuen, großen Haus ausspielen wie nie zuvor: Sogar ein eigener Chor konnte auftreten - die Aufgabe hatten früher und daher immer nur in kleinsten Dosen die Solisten übernommen, wo es notwendig war. Unter den idealen Bedingungen entstanden Werke von der Qualität des seit der Wiederbesinnung auf das barocke Repertoire populären Ariodante und der Alcina. Und weil seit der Ankunft der beliebten Ballerina Marie Sallé aus Paris auch eine zugkräftige Tanz-Choryphée zur Verfügung stand, erweiterte Händel zur Eröffnung seiner neuen Saison, 1734, ältere Stücke wie Il pastor fido und die zuletzt noch im King's Theatre uraufgeführte Arianna in Creta um einige repräsentative Ballett-Szenen.

    Mit Ariodante und Alcina landete er im Winter 1735 dann Serien-Erfolge, die seinen Ruhm als führender Opernmeister neu begründeten und den Herbst seiner Musiktheater-Tätigkeit einbegleiteten.


    Aber nach vier Jahren brach auch dieses Projekt zusammen. Das Genre Oper war nicht mehr schick. Und der von Rheumatismus geplagte Händel erlitt einen Schlaganfall - und begann umzudenken.

    Siegeszug des Oratoriums

    In der Not besann sich der Komponist auf seine ersten Erfolge in der Gattung des Oratoriums in Rom. Er adaptierte die Gattung für seine Zwecke, schuf ab sofort opernhafte Vertonungen biblischer Geschichten, die ohne Szenerie auskommen konnten, aber dem Publikum dasselbe musikalische Vergnügen bereiteten.

    Dergleichen ward noch nicht gehört - und begründete eine in England zuvor völlig unbekannte Oratorien-Tradition, die bis weit ins XX. Jahrhundert hinein der Stolz des englischen Musikleben bleiben sollte.
    Der unverwüstliche Sachse hatte sich kraft seiner Originalität und Erfindungsgabe wieder einmal beim eigenen Schopf aus dem Sumpf gezogen - und war damit stilbildend geworden.
    Aus der Bahn werfen konnte ihn in der Folge keine künstlerische Krise mehr. Das Schicksal schlug zu - wie einige Jahre zuvor bei seinem (aus heutiger Sicht) einzig ebenbürtigen „Konkurrenten“ Johann Sebastian Bach: Händel erblindete. Daß ihn derselbe Kurpfuscher operierte, der auch in Bachs letzten Lebenstagen einen Eingriff vorgenommen hatte, war wenig förderlich.
    Seine Auftritte als Organist und Ensembleleiter setzte er so lang als möglich fort. Er starb als vielleicht berühmtester Komponist seiner Epoche 1759 und erhielt ein Begräbnis, wie es einem Vorzeigekünstler der englischen Nation zustand: Auf seiner Statue über dem Sarg in Westminster Abbey stehen die Worte aus dem Messias: „Ich weiß, daß mein Erlöser lebt.“