Deborah
1733
Das zweite englische Oratorium Händels entstand viele Jahre nach dem ersten Esther (1718) für das Londoner Publikum und ist eine der ehrgeizigsten Chor-Partituren des Komponisten. Immerhin ging es um die Wiederherstellung seiner Reputation als führender Komponist seiner Zeit - die Opern-Projekte hatten sich nach vielen Jahren glänzender Erfolge in Ladenhüter verwandelt. Die Konkurrenz hatte nicht geschlafen und punktete sogar mit eindeutigen Plagiaten: 1732 brachte The English Opera eine eigene Version von Händels Acis und Galathea heraus - und verdiente mehr Geld damit als Händel mit seinen Novitäten, die nach altem Brauch italienisch gesungen wurden, während Londons Publikum nach englischsprachigem Musiktheater fragte.Aaron Hill, Partner des Komponisten, bat händeringend:
Erlöse uns von den italienischen Fesseln. Führe doch den Beweis, daß Englisch flexibel genug ist, um gesungen zu werden, wenn nur rechte Poeten am Werk sind!Händel wird zwawr geahnt haben, daß er mit seinem Alessandro - mit dem prominenten Kasstraten Senesino in der Titelpartie - und vor allem mit Orlando 1732 einen Gipfel erreicht hatte, doch er reagierte. Er »erfand« eine neue Gattung. Zwar hatte er schon Jahrzehnte früher in Rom erste Oratorien komponiert, doch nun galt es, einem verwöhnte Publikum neue Sensationen zu bieten.
Die Wiederaufführung einer überarbeiteten Fassung von Esther, am 47. Geburtstag des Komponisten in London gab den Startschuß. Englisch gesungene Oratorien kamen in Mode. Händels Klavierschülerin, Prinzessin Anne, verlangte nach einer Aufführung der Esther im King's Theatre. Sechs Vorstellungen wurden gegeben. Schon nach der dritten konnte Händel 700 Pfund in Aktien anlegen. Geschäftsmann, der er war, avisierte er sogleich ein weiteres Oratorium - und begründete damit eine jahrhundertelange Tradition. Deborah war das erste Werk, das eigens für diese unvergleichliche Erfolgsserie komponiert wurde. Wie im Vorgänger-Werk, Esther, schlachtet Händel auch für Deborah noch einmal Fragmente aus seiner Brockes-Passion aus und verwendet auch Stücke aus anderen Werken, den Chandos und Coronation Anthems oder der Geburtstags-Ode für Queen Anne und sogar dem Dixit Dominus. Diese paßte er in großer Eile - nicht einmal eine eigene Ouvertüre bekam sein Werk! - an den neuen Text nach dem Vierten Kapitel des »Buchs der Richter« an. Bis zu achtstimmig führt er den Männerchor und differenziert raffiniert zwischen den beiden Parteien, die einander hier gegenüberstehen: Die Kanaaniter singen vergleichsweise liedhaft schlichte, homophone Chöre, oft von schwungvollen Tanzrhythmen vorangetrieben. Die Israeliten hingegen singen in moderner Harmonik, chromatisch geschärft, exotisiert, wenn man so will und in kunstvoller Vielstimmigkeit.
Robert King hat mit seinem King's Concert und dem College Choir Oxford eine exzellente Aufnahme von Deborah vorgelegt, fein differenziert in den vielstimmigen Passagen mit einem von Yvonne Kenny (in der Titelpartie) nuancenreich, Susann Gritton (Yael) vorzüglich und James Bowman (als Barak) eher bläßlich angeführten Solisten-Ensemble. Als Ouvertüre verwendet King zwei Sätze aus dem Vorspiel zum sogenannten Occasional Oratorio Händels. (Hyperion)