Quartett F-Dur op. 59/1

  Ludwig van Beethoven    

»Rasumowsky-Quartette«
1804-1806


Von Beethovens neuer Streichquartett-Serie erfuhr die Wiener Öffentlichkeit spätestens 1807. Die Werke waren zuvor bereits in Beethovens Wohnung in der Wollzeile oder im Palais des Auftragsgebers – vermutlich durch das Schuppanzigh-Quartett – erstmals gespielt worden. Fürst Rasumowsky war der russische Gesandte in Wien und ein großer Kunst-Mäzen, der als Amateur-Geiger schon ab den späten Neunzigerjahren zu Beethovens Förderern gehörte.

Die drei Werke gehören zu jenen Kompositionen, mit denen sich Beethoven die völlige Freiheit von allen formalen Vorgaben »erschrieben« hat. Sie gehören in ihrer Ausdrucksvielfalt und Subjektivität bis heute zu den großen Herausforderungen der klassischen Literatur – für die Zeitgenossen waren sie schlicht unverständlich.

Flickwerk eines Wahnsinnigen,

urteilte ein Rezensent über das Scherzo aus dem F-Dur-Quartett, dessen langsamer Satz ein ergreifender Klagegesang auf Beethovens toten Bruder wurde, eine der abgründigsten musikalischen Elegien, die im XIX. Jahrhundert gewagt wurden.

Die Leipziger Allgemeine musikalische Zeitung urteilte 1811:

er Verfasser hat sich hier ohne Rücksicht den wunderbarsten und fremdartigsten Einfällen seiner originellen Phantasie hingegeben, das Unähnlichste phantastisch verbunden, und fast alles mit einer so tiefen und schweren Kunst behandelt, daß in dem düstern Geist des Ganzen auch das Leichte und Gefällige des Einzelnen schier untergegangen ist.

Nicht von ungefähr haben spätere Kommentatoren und Komponisten aus diesen Werken reiche Inspiration geschöpft. Arnold Schering verglich die drei »Rasumowksy-Quartette« mit musikalischen »Romanen«, die er den literarischen Gipfelwerken von Cervantes, Geothe und Jean Paul an die Seite stellte. Romain Rolland meinte, die drei Stücke seien in Wahrheit verkappte Symphonien.

Streichquartett Nr. 7, F-Dur

  • Allegro
  • Allegretto vivace e sempre scherzando
  • Adagio molto e mesto
  • Thème russe: Allegro

Schon mit dem ohne Vorbereitung und auftaktlos eintretenden Hauptthema beschreitet Beethoven hier völlig neues Terrain. Für ihn völlig ungewöhnlich, präsentiert er nicht Motive, die er in beständiger Durchführungsarbeit ausbaut und weiterführt, sondern ein 16-taktiges melodisches Thema, das er durch alle Register des Quartett-Ensembles und dreieinhalb Oktaven führt. Die scheinbar vegetativ sich entwickelnde Struktur der Musik läßt auch keine Wiederholung der Exposition zu. Der Strang wird bruchlos weitergeführt.

Den Gegensatz zu dieser formalen Überlegung formuliert Beethoven mit dem Kopfsatz des folgenden e-Moll-Quartetts, das nach dem für ihn sonst kaum je bindenden klassischen Sonaten-Schema nach einer Wiederholung beider Formteile, also Exposition und Durchführung/Reprise verlangt!

Eine für die Zeitgenossen gewiß »verrückte« Idee stellte das ausschließlich rhythmische Cello-Thema dar, mit dem der Scherzo-Satz beginnt und das nicht bloß eine originelle Einleitung zum tänzelnden Violinthema darstellt, sondern in der Folge tatsächlich wie ein Thema behandelt und »durchgeführt« wird.

Einen unverhohlenen Trauergesang stellt das Adagio dar. Er wolle

einen Trauerweiden- oder Akazienbaum auf das Grab meines Bruder

heißt es in Beethovens Skizzen.

Das »russische Thema«, das Beethoven als Verbeugung vor dem Auftraggeber, dem russischen Gesandten in Wien verarbeitet, ist ein Soldatenlied über den harten Militärdienst, aus dem – so behaupten zumindest etliche musikwissenschaftliche Untersuchungen – motivisches Material für das gesamte Quartett abgeleitet worden sein soll. Jedenfalls unterzieht es Beethoven einer ehrgeizigen Durchführungsarbeit und setzt aus diesem Grund auch diesen Finalsatz nicht in der üblichen Rondo-, sondern in Sonatensatzform.

Streichquartett Nr. 8, e-Moll

Streichquartett Nr. 9, C-Dur