Die Theaterwelt aus der Sicht dessen, der die Arbeit macht
Ein Buch enthüllt Geheimnisse der alten Wiener Opernwelt.
Operngeschichte haben hierzulande vorrangig große Dirigenten geschrieben. Wer über die einstige Hof- und heutige Staatsoper spricht, der weiß, daß Gustav Mahler und Richard Strauss hier Direktoren waren, Bruno Walter und Clemens Krauss als Interpreten Maßstäbe gesetzt und nach dem Zweiten Weltkrieg Herbert von Karajan oder Lorin Maazel Weichen gestellt haben.
Vor allem die Ära Mahler ist glänzend aufgearbeitet. Die ästhetische Neuausrichtung ebenso wie die Repertoirepolitik des genialen Mannes sind exzellent dokumentiert. Nun ist aber ein Buch erschienen, das den Opernbetrieb aus der Sicht eines Mannes beleuchtet, der nie wirklich im grellen Scheinwerferlicht gestanden ist, aber lange Zeit sozusagen die ganze Arbeit gemacht hat.
Die Wiener Musikwissenschaftlerin Teresa Hrdlicka hat die Geschichte ihres Großvaters Hugo Reichenberger geschrieben. Er führte akribisch Buch über die Vorstellungen, die er als Kapellmeister betreute. 2000 Abende in drei Jahrzehnten, davon Ur- und Erstaufführungen von Stücken, die bis heute zum Fixbestand des Spielplans gehören. Allen voran Janáčeks „Jenufa“, an deren Wiener Premiere und der bis vor kurzem gesungenen deutschen Übersetzung Reichenberger regen Anteil hatte.
Wie ein Kapellmeister in jener Ära sein Repertoire erarbeitete (von Breslau über Stuttgart und München bis nach Wien), wie er mit Komponisten Umgang pflegte, wie mit Direktoren und Kulturpolitikern (und den unvermeidlichen Rückschlägen und Intrigen) umzugehen war, wie Sänger und Orchestermusiker zu behandeln waren (und wohl noch sind), all das lernt man aus dem akribisch recherchierten und lebendig geschriebenen Band. Schlagzeilentaugliche sozialpolitische Zeitstudien fehlen nicht, Leid am Sittencodex und Eifersuchtsmord inklusive.
(Teresa Hrdlicka: „Hugo Reichenberger. Kapellmeister der Wiener Oper.“ Edition Steinbauer, 264 S., 22,50 €.)