M O Z A R T

Die Wiener Klavierkonzerte

Das Leben als freischaffender Künstler, wie Mozart es in seinen Wiener Jahren führt – vielleicht nicht so freiwillig, wie spätere Generationen das wahrhaben möchten –, ruht auf dem zwar schon brüchigen, doch nach wie vor einzig sicheren Fundament des spätfeudalen Lebens in der Kaiserstadt. Ein Blick auf die Subskriptionslisten von Mozarts Konzertauftritten lehrt, daß sein Publikum sich zu mehr als der Hälfte aus Persönlichkeiten des Hochadels, zu beinah einem Drittel aus Vertretern des Kleinadels und nur zu weniger als zehn Prozent aus →Bürgerlichen« bestand. Namen wie Esterházy, Braun, Gallizin, Fries, Harrach, Lichnowsky oder Lobkowitz kennt man bis heute nicht zuletzt wegen ihrer Mäzenatentätigkeit, die noch nach 1800 auch für Ludwig van Beethoven bedeutend bleiben wird.

Vor illustrem Publikum absolviert Mozart also in den Jahren nach 1781 zahllose Konzerte, vor allem sogenannte Akademien in der theaterfreien Fastenzeit, die in der Regel in Privathäusern stattfinden und das neugierige, freilich aus Kennern bestehende Auditorium mit den jüngsten Kompositionen des vor allem als Pianisten hochgeschätzten Meisters vertraut machen. Im Mittelpunkt des Interesses stehen dabei bald die Klavierkonzerte, die Mozart selbst vom Flügel aus leitet.

Leopold Mozart berichtet Tochter Nannerl am 12. März 1785 stolz von den Erfolgen ihres Bruders in Wien. Eine Akademie erbrachte, wie der Vater schreibt, 559 Gulden.


So schreibt Mozart zwischen 1782 und 1786 die stattliche Anzahl von zwölf neuen Werken dieses Genres, das er zuvor nur kursorisch – nach Bearbeitungen fremder Stücke in der Kindheit – bedacht hatte; nach 1786, als die Engagements im Zeichen der kriegerischen Auseinandersetzungen mit der Türkei und der revolutionären Umtriebe in den österreichischen Niederlanden bedenklich zurückgehen, entstehen nur noch zwei Stücke (das sogenannte Krönungskonzert und das → B-Dur-Konzert KV 595).

Die Konzerte KV 413 - 415

Die reifen Wiener Konzerte gelten nicht von ungefähr als eine der wichtigsten, repräsentativsten Werkgruppen im Mozartschen Œuvrekatalog. Die gesamte Bandbreite der Ausdruckskraft und der technischen Meisterschaft seiner Kompositionskunst breitet er hier vor dem Hörer aus.
Die Concerten sind eben das Mittelding zwischen zu schwer und zu leicht – sind sehr Brilant – angenehm in die ohren – Natürlich, ohne in das leere zu fallen – hie und da – können auch kenner allein satisfaction erhalten.
So charakterisiert der Komponist selbst die ersten drei der Wiener Konzerte (KV 413–415).

Die »Kenner« mögen die Konzerte in → F-Dur und → A-Dur a quatro, also mit Solostreichern, als Kammermusik spielen. Wobei sich das erste besonders galant gibt und mit seinem Final-Menuett beinah höfische Eleganz ausstrahlt, während sich ins A-Dur-Konzert nicht nur im Larghetto geheimnisvolle Töne mischen. Das Finale durchzieht ein gleich nach dem frisch-fröhlichen Beginn unisono zitierter Gedanke in fast bedrohlicher Monomanie. Hingegen trumpft das C-Dur-Konzert (KV 415) mit Pauken und Trompeten auf, kontrapunktisch gearbeitet bereits die Präsentation der Themen im Stirnsatz, von schönen Bläserfarben harmonisiert der Mittelsatz. Im Finale kontrastiert ein Moll-Adagio zweimal das elegant wiegende Hauptthema – und zuletzt scheinen sich als Überraschungseffekt die frechen Triller selbständig zu machen und bringen mit immer neuen Varianten des Kopfmotivs im Klavier das Werk in verschmitztem Pianissimo zu Ende.

Die Entstehung der ersten drei Wiener Konzerte zeigt Mozart übrigens durchaus als akribischen Arbeiter, dem die Dinge nicht, wie die Legende gern möchte, ohne viel Federlesens in den Schoß gefallen sind. Im Manuskript des A-Dur-Konzerts finden sich Spuren des Entstehungsprozesses, unter anderem sogar ein alternativer Beginn für das C-Dur-Konzert, vor allem aber Skizzen zu heiklen Übergangspassagen aus KV 414.

Die Konzerte KV 449 - 451

Derartige Überraschungseffekte liebt Mozart, kostet sie vor allem in seinen Klavierkonzerten aus, die ihn dialogisch in amüsant-hintergründige Interaktion mit den Orchestermusikern einerseits und mit dem Publikum andererseits bringen. Ungeahnte Abgründe tun sich in der Musik des öfteren auf. Im Es-Dur-Konzert (→ KV 449), dem ersten Werk, das Mozart (am 9. Februar 1784) in sein eigenhändiges »Verzeichnüß« seiner Werke einträgt, sind es die unvermittelten Moll-Rückungen. Einen Monat später komponiert Mozart das Konzert in B-Dur (→ KV 450), in dem sich erstmals die für beinah alle nachfolgenden Stücke so charakteristische Selbständigkeit der Bläserstimmen bemerkbar macht. Die Oboen übernehmen etwa in einer der Variationen des Mittelsatzes die melodische Führung: Mit den Pizzicati der Streicher und den Klaviergirlanden ergibt das betörend schöne Klangmischungen, die sich auch im Mittelsatz des folgenden D-Dur-Konzerts (→ KV 451) finden, das der lyrischen Stimmung weitaus brillantere, prächtig ausregistrierte Ecksätze entgegensetzt.

Das G-Dur-Konzert, KV 453

Geradezu opernhaft gibt sich das Konzert in G-Dur (→ KV 453), in dem sich im C-Dur-Andante ungeahnte Seelenwelten aufzutun scheinen. Der harmonische Reichtum der Erfindung führt uns, einem geheimnisvollen Ariadnefaden folgend, in entlegenste Bezirke und zu manch grüblerisch-versonnenem Klaviersolo. Der locker hingestreuten Variationenkette des abschließenden Allegrettos fügt Mozart als Überraschungseffekt noch ein ausdrücklich als finale presto bezeichnetes Anhängsel an, dem das Hauptthema nur noch kurz vorüberhuschend adieu sagt.

Die Konzerte KV 456 und 459

Im B-Dur-Konzert (→ KV 456) ist es vor allem das Andante in g-Moll, das aufhorchen läßt. Die Stimmung ist melancholisch, wird aber mit auffahrenden Gesten von Variation zu Variation dramatischer, zuletzt drohen chromatische Rückungen dem Hörer beinah den Boden unter den Füßen wegzuziehen.

Wie ein Leitmotiv durchzieht die drei letztgenannten Werke der anfängliche Marschrhythmus, der jedesmal neu weitergeführt und verarbeitet wird, im folgenden Konzert (F-Dur, → KV 459) aber thematisch den gesamten ersten Satz bestimmt, ohne daß dieser besonders martialischen Charakter erhielte. Ein Kunstgriff, der dem Stück besonders reizvollen rhythmischen Elan verleiht. Der Allegretto-Mittelsatz dieses Konzerts, das Mozart neben dem D-Dur-Konzert (KV 537) anläßlich der Krönung Leopolds II. 1790 in Frankfurt gespielt haben soll, nimmt mit seinen imitatorischen Holzbläserfiguren schon den charmant-entrückten Ton von Susannas Rosenarie aus dem Figaro vorweg. Das Finale tönt dann eher wie ein Vorecho der kontrapunktischen, aber nie gelehrsam wirkenden Meisterschaft der Jupiter-Symphonie.

Zwei Konzerte in Moll

Schon im Februar 1785 bringt Mozart sein d-Moll-Konzert (→ KV 466) heraus, das im Verein mit dem ein Jahr später entstandenen anderen großen Moll-Konzert (c-Moll, KV 491) zu den Lieblingsstücken der romantischen Mozart-Deutung zählt. Beethoven hat beide Werke besonders geschätzt, das c-Moll-Stück in seinem eigenen dritten Klavierkonzert sozusagen als Vorlage, zumindest als Inspirationsquelle benutzt und für das d-Moll-Stück auch eigene Kadenzen komponiert.

Doch heißt es, Mozarts Persönlichkeit falsch taxieren, die beiden Moll-Konzerte quasi als eigene Werkgruppe zu sehen. Die vielen Moll-Wendungen in den vorangegangenen Stücken des Genres weisen schon auf die expressiven Möglichkeiten voraus, die der Komponist hier zur Hauptsache macht. Wobei die beinahe ausgelassene Dur-Wendung, in der das hochfahrende, zerklüftete Finale von KV 466 mündet, im späteren Werk ein bitteres Gegenstück findet: Hier verweigert Mozart ein lieto fine, verharrt nach einigen durchaus lichteren Variationen des von Alfred Einstein als „unheimlicher Geschwindmarsch“ charakterisierten Themas in starrem c-Moll, der Grundtonart, die insistierend auch in das lyrische Es-Dur-Larghetto des Mittelsatzes hineingetragen wird. Schon im d-Moll-Konzert zerreißt ein geradezu hysterisch auffahrendes g-Moll-Intermezzo die abgeklärte Grundstimmung der zentralen B-Dur-Romanze: Die versonnene Ruhestimmung ist trügerisch.

Das C-Dur-Konzert, KV 467

Mit derlei jähen Kontrasten spielt Mozart immer wieder, auch im so leuchtend der d-Moll-Welt des Vorgängerstücks entgegengesetzten C-Dur-Konzert (KV 467), dessen Mittelsatz, später viel geschunden als Hintergrundmusik, zu den herrlichsten lyrischen Episoden im Œuvrekatalog des Komponisten gehört. Hier bricht unversehens in die von erfrischendem Erfindungsreichtum gekennzeichnete Welt des Kopfsatzes eine g-Moll-Passage ein, die – ganz unklassisch – völlig ohne Folgen bleibt: Die Durchführung bedient sich ganz anderen Materials aus der hier so eloquent ausgebreiteten Themenfülle.

Konzert in Es-Dur, KV 482

Parallel zu Figaros Hochzeit entsteht dann im Dezember 1785 für eine der Fasten-Akademien das Konzert in Es-Dur (KV 482), komponiert in höchster Eile, was man ihm nicht anhört, aber dem Manuskript ansieht: Einige Passagen der Solostimme hat Mozart nur mit knappen Strichen skizziert, um sie bei der Uraufführung dann offenkudnig zu improvisieren. Dieses Es-Dur-Konzert ist das erste, in dem die Klarinetten zu Wort kommen, die Mozart in diesem Fall anstelle der Oboen verwendet, um sie ab sofort zu wichtigen Farben seiner raffinierten Klangpalette zu machen. Der c-Moll-Mittelsatz bezaubert mit seiner eigenwilligen Mischung aus Variationen- und Rondoform das Publikum der Uraufführung so, daß es eine spontane Wiederholung erklatscht. Mozarts Vater berichtet von dieser Seltenheit stolz an seine Tochter Nannerl nach Salzburg.

Konzert in A-Dur, KV 488

Was die Hörer von der unverhohlenen Traurigkeit des fis-Moll-Adagios im folgenden Konzert (KV 488) gehalten haben, ist nicht überliefert. Dieses Stück kommt ohne die zauberhaft serenadenhaften Aufhellungen des c-Moll-Andantes von KV 482 aus und gehört zu den introvertiert-ariosen Momenten subtilster Spielart. Der Kopfsatz dieses Werks ist formal besonders originell, weil Mozart hier alle gelehrigen Formvorstellungen über den Haufen wirft und eine Fantasie über die »Sonatenform« schreibt.
Umso dankbarer dürfen wir sein daß Mozart ausgerechnet für diesen Satz, ungewöhnlich genug, die Kadenz - als ein apartes Resüme alles Vorangegangenen - feinsäuberlich in die handschriftliche Partitur eingetragen hat. Ein unschätzbares Dokument zur Beantwortung von Fragen der Aufführungspraxis!

Nicht minder geistvoll erweist sich der Komponist auch im Finale als Geschichtenerzähler, der Pointe an Pointe reiht, sogar eine Erinnerung an die verhangen-melancholische Welt des Mittelsatzes hereinnimmt, um am Ende doch - und nicht ohne ironische Brechnung! - souverän das Geschehen abzurunden.

Das C-Dur-Konzert, KV 503

Das C-Dur-Konzert (KV 503) ist das letzte der geschlossenen Reihe der Wiener Kompositionen für den eigenen Gebrauch und stellt ein Paradoxon von geradezu verwirrender Ökonomie dar, aus der höchster Reichtum entsteht. Fesselnd, wie nach dem C-Dur-Gepränge des Beginns, der mit Pauken und Trompeten festlich daherkommt, sogleich trübe Moll-Schatten über die Szenerie fallen. Das wie aus heiterem Himmel hereinbrechende Hell-dunkel-Spiel dominiert die Musik ebenso wie das aus Tonrepetitionen gefügte Klopfmotiv, das sich bald einstellt und dann wie ein Vorbote des „Schicksals“-Motivs aus Beethovens Fünfter Symphonie geradezu monomanisch den ersten Satz durchzieht.

Ein Wunderwerk an Integration sämtlicher Orchesterstimmen und des Soloklaviers ist das F-Dur-Andante, während das Final-Rondo von seinem geradezu naiv anmutenden Hauptthema aus zu erstaunlichen Abenteuern aufbricht. Vor allem im Hinblick auf Modulationen und harmonische Abenteuer wird Mozarts Tonsprache reicher in jener Zeit, in der er von den bisher zu zahlreichen öffentlichen Auftritten Abschied nehmen muß. Das C-Dur-Konzert kommt in einer Advent-Akademie im Dezember des Figaro-Jahrs 1786 zur Uraufführung. Es ist das letzte derartige Konzert, das Mozart gibt.

Das »Krönungskonzert«, KV 537

Das raffinierte Spiel mit harmonischen Überraschungen wiederholt sich im Finale des nächstfolgenden Klavierkonzerts (KV 537), das Mozart nach zweijähriger Pause 1788 schreibt, aber erst auf seiner Deutschlandreise 1789 und danach anläßlich der Krönung Leopolds II. in Frankfurt, 1790, zur Aufführung bringen wird. Dem virtuosen Ton, der in diesem D-Dur-Konzert herrscht, stellt Mozart in seinem Todesjahr noch ein intimes B-Dur-Konzert zur Seite, einen Gegenpol. Hier wirkt das verträumte zentrale Es-Dur-Larghetto wie die Keimzelle des ganzen, introvertiert beseelten Werks. Nicht einmal die Fröhlichkeit des Finalsatzes schlägt – wie früher in den Konzerten zuweilen – über die Stränge.


↑DA CAPO