Konzertarien und Lieder
Arien und Szenen für Singstimme mit Orchesterbegleitung komponiert schon das Wunderkind, mehrheitlich nach Texten des kaiserlichen Hofpoeten Pietro Metastasio und unter kritischer Anleitung des Vaters, was aus den zahllosen Korrekturen in den Manuskripten hervorgeht. Hin und wieder sind es Auftragsstücke, die fremden Opern als »Licenza« zur Würdigung des Auftraggebers oder des bei der Aufführung anwesenden Fürsten in barocker Manier als Finale hinzugefügt werden.
Ein neuer Ton
Mit der im Oktober 1775 komponierten Sopran-Arie »Voi avete un cor fedele« macht sich ein neuer, differenzierter Ton bemerkbar, der spätere Charakterporträts bereits ahnen läßt. Hier ist es ein spöttischer, immer wieder zwischen Andantino grazioso und Allegro pendelnder Dialog (nach Goldoni), den eine Kammerzofe mit ihrem Liebhaber führt. Das Stücklein ist als Einlage für Baldassare Galuppis »Nozze di Dorina« gedacht, während mit Mozarts einziger Alt-Arie, »Ombra felice« (KV 255), 1776 die Reihe der für den Konzertgebrauch bestimmen Arienkompositionen beginnt.
Für den Kastraten Francesco Fortini paraphrasiert Mozart hier eine Komposition des bewunderten Johann Christian Bach. Mit dieser typisch spätbarocken Form der Ombra-Szene – ein Mann nimmt Abschied von seiner Geliebten – zollt Mozart auf seine Weise, wie in den meisten folgenden Konzertarien, der Formenwelt der Opera seria Tribut.
Musik für Aloysia
Zeitlebens komponiert Mozart Arien, die jeweils auf das Können bestimmter Sängerpersönlichkeiten zugeschnitten sind. Zum Konzertgebrauch oder als Einlagenummern in fremden Opern. Besonders liebevoll gestaltet sind die Stücke für die angebetete Aloysia Weber.
Das Vorbild J. C. Bach führt Mozart dazu, »Alcandro, lo confesso – Non so, d’onde viene« (KV 294) in bewußtem Gegensatz zu dessen Komposition derselben Szene zu gestalten. »Es sieht ihr auch gar nicht, gar nicht gleich«, berichtet Mozart 1778 an den Vater, dies schon deshalb, weil Mozart während des Komponierens dieser Szene des Königs Clistene aus Metastasios »Olimpiade« beschließt, das Stück nicht für Tenor, sondern für die von ihm so verehrte Aloysia Weber zu setzen. Er nimmt lediglich einige Textretuschen vor und setzt der geliebten Sängerin sogar die Verzierungen akribisch aus.
Wenig später schreibt er für Aloysia auch die ausdrucksvolle Szene »Popoli di Tessaglia«, in der alle Register gezogen werden können, von der verhaltenen Klage bis zu atemberaubenden Koloraturen, die den Sopran bis zum dreigestrichenen g führen. Das Stück ist als Einlage zu Glucks »Alceste« gedacht, an jener Stelle, da die Titelheldin den bevorstehenden Tod ihres Gatten beklagt.
Musik für die Stars
Jede von Mozarts Arien sucht die Fähigkeiten des jeweiligen Interpreten ins rechte Licht zu stellen. So entsteht für Josepha Duschek »Ah, lo previdi« (KV 272), eine vielgestaltige Schmerzensszene der Andromeda, an Koloraturen und expressiven Phrasen reich, gekrönt von einem verhaltenen, von den gedämpften Streichern und einer Solo-Oboe begleiteten Cavatina.
Aufschlußreich ist der Vergleich mit der genau zehn Jahre späteren, für dieselbe Interpretin komponierten Szene »Bella mia fiamma – Resta, o cara« (KV 528), in der ähnlich schmerzliche Gefühle zu einem effektvollen zweiteiligen Virtuosenstück verdichtet werden, besonders charakteristisch durch die raffiniert ausgereizten Möglichkeiten reicher Chromatik.
Für den »berühmtesten Tenor der Welt«, den schon betagten Anton Raaff, seinen ersten Idomeneo, der in seiner Jugend Bühnenpartner des Bassisten Beethoven – Ludwigs Großvater! – gewesen war, kürzt Mozart sogar im letzten Moment die ausführlichen Unschuldsbeteuerungen in der tatsächlich überlangen Arie »Se al labbro mio – Il cor dolente« (KV 295).
Wohingegen die Ilia der »Idomeneo«-Premiere, Dorothea Wendling, mit »Basta, vincesti – Ah, non lasciarmi« (KV 295a) ein überaus apartes Solostück zugeeignet bekommt. Erstaunlich der chromatisch kühn gefärbte Arienbeginn, aber auch die klangliche Raffinesse, die von einem Wechsel zwischen gedämpften (vom Fagottklang dunkel gefärbten) und ohne Dämpfer spielenden Streichern geprägt ist. Es ist, als wollte das Schicksal mit der Ballung von Arien, die im Februar 1778 innerhalb weniger Wochen entstehen, eine Art Generalprobe für den »Idomeneo« veranstalten – mit den späteren (übrigens keineswegs idealen) Protagonisten der Uraufführung.
»Akademie« im Burgtheater
Aloysia Weber, damals schon verehelichte Lange, ist vermutlich die Interpretin der Huldigungsarie »Nehmt meinen Dank« (KV 383), die unter den Arien der frühen achtziger Jahre nicht nur durch die deutsche Sprache heraussticht, sondern auch dank des lichten Singspieltons, der auch melodisch deutlich an das Quartett »Liebes Blondchen« aus der »Entführung aus dem Serail« anknüpft, während die Streicher im Pizzicato Lautenbegleitung imitieren, wie wir sie in Pedrillos Serenade in derselben Oper wiederfinden. Sicher ist, daß Aloysia in Mozarts Wiener Akademie vom 23. März 1783 mitwirkt, die im Burgtheater stattfindet und als Zentralstück das neukomponierte Rezitativ und Rondo »Mia speranza adorata – Ah, non sai« (KV 416) präsentiert, ein aus verzweifelter Abschiedsstimmung mehr und mehr zu rasantem Aufbegehren gesteigertes Virtuosenstück, das in exzessive Koloraturkaskaden mündet, wie wir sie später in der ebenfalls für Aloysia komponierten »Ah se in ciel« (KV 538) wiederfinden, die – als letzter musikalischer Liebesdienst für diese Künstlerin – ganz auf virtuose Prachtentfaltung zugeschnitten ist. Einlagen für fremde Opern.
Theaterpraxis
Einblick in die Theaterpraxis gibt uns die Folge von Einlagearien, die Mozart für Pasquale Anfossis »Curioso indiscreto« schreibt. Zwei der Stücke sind gedacht, Aloisias Sopran perfekt zur Geltung zu bringen, zart die aufblühende Liebe besingend die A-DurArie »Vorrei spiegarvi – Ah, conte, partite« (KV 418), voll Entrüstung ob falscher Verdächtigungen die auffahrende, von Pauken und Trompeten angetriebene »No, no, che non sei capace« (KV 419).
Wie vorteilhaft solch punktgenau auf Sängercharaktere und stimmliche Potenz zugeschnittene Maßarbeit sein kann, lesen wir aus Mozarts höhnischem Kommentar heraus, den er dem Tenor Valentin Adamberger, seinem ersten Belmonte, widmet: Auch ihm hat er für die Anfossi-Premiere eine neue Arie komponiert, doch greift Adamberger lieber auf Anfossis Originalkomposition zurück – »Was war der Erfolg davon«, fragt Mozart, »daß er gar nicht gefiel«. Mit Mozarts effektvollem »Per pietà« (KV 420), einer Eifersuchtsszene, deren Wutausbrüche gut und gern mit der Arie des Grafen aus dem »Figaro« konkurrieren können, wäre das wohl kaum passiert.
Dem Tenor widmet der Komponist späterhin noch die fesselnde, unruhig pulsierende »Ombra«-Szene »Misero! – Aura, che intorno« (KV 431), wieder eine Geisterbeschwörung barocken Zuschnitts, die Mozart freilich hochmodern, mit frei konzertierenden Bläserinstrumenten in Töne setzt.
Mit dem düster drohenden f-Moll von »Così dunque tradisci« (KV 432), das den Vertrauten des Xerxes charakterisiert, der über den Verrat seines Königs an dessen Geliebter aufgebracht ist, beginnt die Reihe der Soloszenen für Baß und Orchester, die mit »Alcandro, lo confesso – Non so, d’onde viene« (KV 512) fortgesetzt wird, wo dem Bassisten erstaunliche Koloraturgewandtheit abverlangt wird. Einfacher zu singen, doch von großer musikalischer Schönheit sind die schlichte, für Gottfried von Jacquin komponierte Konzertarie »Mentre ti lascio, o figlia« (KV 512) und die Einlage »Un bacio di mano« (KV 541) für Anfossis »Gelosie fortunate«, in deren schlichter Liedhaftigkeit ein Thema auftaucht, das Mozart wenig später in seiner »Jupiter-Symphonie« noch einmal verarbeiten wird.
Ein Kontrabaß-Solo
Die letzte der Baßarien, die er schreibt, entsteht für den ersten Sarastro, Franz Xaver Gerl, dem er ein ungewöhnliches Instrumentalsolo zur Seite gesellt: »Per questa bella mano« (KV 612) enhält einen hochvirtuosen Part für Kontrabaß, der ein Unikum in der Literatur darstellt und dieser Liebesszene Züge verleiht.
Musik für die »Figaro«-Susanna
Der ersten »Figaro«-Susanna, Nancy Storace, widmet Mozart im Dezember 1786 eine bemerkenswerte Szene aus »Idomeneo«, die er für den Konzertgebrauch neu komponiert und mit einem Part für konzertierendes Soloklavier versieht, den er anläßlich der Uraufführung wohl selbst spielt: »Ch’io mi scordi – Non temer, amato bene« (KV 505) schildert in kunstvollem Mitund Gegeneinander von Orchester, Instrumentalund Vokalsolo die Überredungskunst, mit der Idamantes Ilia von seiner Treue überzeugt.
In Nachbarschaft zu »Così«
Drei Arien enstehen in unmittelbarer Nachbarschaft zu »Così fan tutte« und sind sämtlich der Darstellerin der Dorabella, Louise Villeneuve, zugedacht, deren Ausdruckskraft auch in der Oper zwei völlig unterschiedliche Solonummern inspiriert: Wie in der sogenannten »Eumeniden«-Arie der Oper findet sich auch in »Alma grande« (KV 578) die ironische Brechung wütender Temperamentsausbrüche, während das melancholische »Chi sà, qual sia« (KV 582) mit seinen zarten Holzbläserfigurationen und das rasch beginnende, bald aber in geruhsamen Menuett-Rhythmus gleitende »Vado, ma dove« (KV 583) sanftere Charakterzüge deutlich werden lassen.
Lieder
Den großen Opernszenen stehen im Werkkatalog Lieder und Arietten für Singstimme mit Klavierbegleitung gegenüber, Gelegenheits- stücke, zunächst noch am barocken Generalbaßstil orientiert, später in der Regel simple, freilich oft melodisch feinziselierte Strophenlieder. Hier gibt es Ausnahmen, vor allem das berühmte »Veilchen«, Mozarts einzige Goethe-Vertonung, vom Dichter, dem großen Verehrer des Komponisten, bezeichnenderweise nie erwähnt, denn Mozart bricht ausgerechnet hier die poetische Strophenform auf, um die Inhalte der einzelnen Abschnitte subtiler ausdeuten zu können. Weiß man, wie wenig Goethe solch kompositorische Freizügigkeiten (etwa bei Schubert) ästimiert, ist das eine amüsante historische Pointe.