Divertimenti und Serenaden
Mozarts "Unterhaltungsmusik"
Die Unterscheidung, die spätere Generationen zwischen "ernster" und "unterhaltender" Musik getroffen haben, hätte Mozart mit Sicherheit amüsiert. Er wäre nie auf die Idee gekommen, daß seine Musik nicht "unterhalten" könnte.
Immerhin hat er manche seiner Werke ganz ausdrücklich dem "unterhaltenden" Genre zugeordnet. Das Wort Divertimento macht das offensichtlich. Serenaden, Cassationen und wie sie heißen mögen, Tänze und
Märsche gehören in diese Kategorie.
Musizieren im Freien
Sie werden im Freien oder auf Festen musiziert. Mozart bedenkt dieses Genre reich mit herrlicher Musik, die oft artifiziell ganz auf der Höhe seiner für konzentrierte Hörer gedachten Kompositionen, der Symphonien oder Sonaten, steht.
Das eine oder andere Mal wandelt Mozart auch Serenaden durch Weglassung einiger Sätze von der üblichen Sechs- bis Achtsätzigkeit zur viersätzigen Symphonie. Im Falle der sogenannten „Haffnerserenade“ (KV 250) war das so ...
Die spätere „Haffnersymphonie“, ebenfalls für die Familie des Salzburger Händlers und Bürgermeisters Sigismund Haffner komponiert, war 1782 ebenfalls eine achtsätzige Serenade, von der jedoch nur die zur Symphonie reduzierte Form überliefert ist, die Mozart für eine Wiener Akademie vom März 1783 erstellt.
Frühe "Finalmusiken"
Die frühesten Werke der Gattung, die uns aus Mozarts Feder überliefert sind:
stellen die Cassationen in G-Dur (KV 63) und B-Dur (KV 99) sowie die ähnlich gebaute Serenade in D-Dur (KV 100) dar, 1769 als sogenannte „Finalmusiken“ entstanden, wie sie die Salzburger Studenten traditionsgemäß zum Abschluß ihres Studienjahres in Auftrag geben. Acht Sätze jeweils, wobei kraftvolle Allegros zwei bis drei Menuette und Andantebeziehungsweise Adagiosätze umrahmen.
Schon in diesen ersten Werken findet sich in den langsamen Partien die konzertierende Solovioline, deren Herrschaft sich in späteren Serenaden oft auf zwei bis drei Sätze ausdehnt, sodaß inmitten der Werke kleine Violinkonzerte zu stehen kommen. Das geschieht erstmals in der
D-Dur-Serenade (KV 185) von 1773, ein Werk, das nicht zuletzt mit der tiefsinnigen Adagio-Introduktion zum quirligen Finale aufhorchen läßt. Für die Überraschung der Zuhörer sorgt Mozart, wie stets, indem er mit Hörerwartungen und Traditionen spielt.
Violinsolokonzerteinlagen enthalten auch die
Finalmusiken der Jahre 1774 und 1775 (KV 203 und 204), deren letztere durch ein besonders weich und subtil abgetöntes Andante Aufmerksamkeit erregt, indem die Streicher mit Dämpfern spielen.
Alle diese Stücke heben mit einem jeweils getrennt publizierten Marsch an, zu dessen Klängen die Musiker jeweils einund zuletzt wieder ausziehen.
Haffnerserenade
Die Haffnerserenade, die bei der Uraufführung vermutlich mit dem Marsch KV 249 erklingt, spielt mit dieser Tradition, indem auch der erste Satz des Hauptwerks (KV 250) allegro maestoso mit Marschklängen beginnt, ehe das Hauptthema allegro molto einsetzt. Dem gegenüber hebt das Finale wieder mit einer Adagio-Einleitung an und holt dann – ein typisch mozartscher Überraschungseffekt – mit beschleunigenden Tonrepetitionen Schwung für das rasante Allegro assai.
Auch in der „Haffnerserenade“ bilden die Sätze zwei bis vier ein Violinkonzert. Unter Weglassung dieses Concertos und eines der verbleibenden Menuette kann aus der Serenade eine Symphonie für den Konzertgebrauch werden.
Posthornserenade
So dürfen wir uns die Urfassung der heutigen Haffnersymphonie ähnlich vorstellen wie die gleichnamige Serenade, der Mozart 1779 noch ein prachtvolles Schwesterstück (KV 320) in D-Dur hinzugesellt, das dank des Posthornsolos in einem der Trios des zweiten Menuett-Satzes Posthorn-Serenade genannt wird.
Das Werk ist besonders anspruchsvoll, symphonisch im späteren Sinn des Wortes, vor allem dank der dramatischen Ecksätze und des ungewöhnlich expressiven d-Moll-Andantinos, das als Intermezzo voll erregter Innenspannung zwischen den Menuetten placiert ist.
Zur selben Werkgruppe gehören auch die sogenannten Divertimenti und das singuläre Notturno KV 286, in dem vier Orchester mit Echowirkungen konkurrieren.
Divertimeti
Unter den Divertimenti ragt die zweite Lodronsche Nachtmusik (KV 287) heraus, die wie ihre ebenfalls zum Namenstag der Gräfin Lodron komponierte Vorgängerin (KV 247) für Streicher und Hörner gesetzt ist.
In diesem Werk vearbeitetMozart zwei Volkslieder:
* „Heißa, hurtig, ich bin Hans“ als Variationsthema im Andante grazioso und – ironisch-dramatisch vorbereitet durch eine theatralische Einleitung –
* Die Bäuerin hat die Katz verlor’n“ im Finale, ein Thema, über das übrigens auch Joseph Haydn Variationen schrieb).
Überdies setzt Mozart hier besonders kunstvolle, kammermusikalisch-feinsinnige Nuancen, etwa das g-Moll-Trio im ungewöhnlich chromatisierten Menuett, oder manch eloquente Finesse in der Stimmführung.
Das ist Musik für Kenner, gewiß nicht unter freiem Himmel musiziert, anders als die diversen Bläser-Divertimenti (KV 166, 186, 213, 240, 252, 253 und 270), deren Klangfülle und aufgeräumter Charakter nicht darüber hinwegtäuschen kann, daß der Komponist auch hier nie die Lust an feinsinnig differenzierter Satzkunst verliert.
Gran Partita
Nur der äußere Umfang unterscheidet die meisten dieser Kleinodien von der grandiosen sogenannten „Gran Partita“ (KV 361), die vermutlich 1781 für jeweils zwei Oboen, Klarinetten, Bassetthörner und Fagotte, vier Hörner und Kontrabaß entsteht und in ihrer Kunst der Klangregistrierung mit immer neuen Klangwundern aufwartet, weshalb sie rasch als Meisterwerk erkannt wird.
Vom tiefempfundenen Adagio mit dem erstaunlichen c-Moll-Allegretto inmitten bis zum entfernt an den „Türkischen Marsch“ der A-Dur-Klaviersonate erinnernden Finale finden sich hier die unterschiedlichsten musikalischen Überraschungseffekte.
Eine Serenade in Moll
Zu den geradezu befremdlichen Momenten in Mozarts Œuvrekatalog zählt die c-Moll-Serenade KV 388, die dem Komponisten sehr am Herzen liegt, denn er arrangiert sie (KV 406) auch für Streichquintett, wobei die ungewöhliche und tatsächlich alles andere denn „unterhaltende“ Herbheit durch den Klang des Bläserensembles besonders unterstrichen wird.
Hier ist alles hochartifizielle Kunstmusik, beinah tragisch im Ton, streng kontrapunktisch sogar im Menuett, das mit komplizierten Kanonformen spielt und nur in wenigen Momenten, dem tatsächlich serenadenhaften Seitenthema des ersten Allegros vielleicht und im affirmativ nach Dur gewendeten Schluß, helle Färbungen zuläßt.
Gegenstücke dazu bilden die nur für Streicher gesetzten Serenaden von 1776 Serenata notturna KV 239, mit Pauken - und die vielgespielte Kleine Nachtmusik (KV 525), deren eminente Kunstfertigkeit durch Spielwitz sozusagen maskiert wird.
Ein Spaß und der Tod
Eine Sonderstellung unter den unterhaltenden Werken Mozarts nimmt das sogenannte „Dorfmusikanten-Sextett“ (KV 522) ein, vom Komponisten selbst im Werkverzeichnis Musikalischer Spaß genannt.
Es ist oft kommentiert worden, daß Mozart dieses Werk zu Papier bringt, unmittelbar nachdem ihn die Nachricht vom Tod seines Vaters (28. Mai 1787) erreicht hat. Ein „musikalischer Spaß also nach Leopolds Hinscheiden, während zur nämlichen Zeit ein tränenerfülltes Gedicht auf den Tod eines Vogels entsteht, eines Stars, der drei Jahre lang Mozarts Haustier war – und sogar eine Melodie aus seinem G-Dur-Klavierkonzert pfeifen konnte!
Was es mit dem Spaß im Sextett zu schaffen hat, müßte eigens untersucht werden. Von den Dorfmusikanten spricht man in diesem Zusammenhang, weil man Mozarts bewußt einkomponierte falsche Einsätze und sonstige Fehlleistungen für eine Karikatur ländlicher Amateurmusiker gehalten hat.
Doch ist das Sextett von Laien kaum aufführbar, denn es enthält Partien in extremen Lagen – sowohl für die Hörner als auch für die Geiger. Viel eher als Dorfmusikanten können wohl professionelle Musiker sich hier karikiert fühlen – und gewiß auch mittelmäßige Komponisten, deren Ungeschicklichkeiten gleich mitgemeint sein dürften.
Selbsttherapie?
Nie wird geklärt werden, was Mozart zu diesem eigenwilligen, zynischen Werk wirklich inspiriert hat. Die Koinzidenz mit Leopolds Tod ist zumindest merkwürdig, wenn nicht makaber. Vielleicht aber geht es hier um einen simplen, möglicherweise längst vereinbarten Scherz für eine private Gesellschaft. Mozart stellt eigenhändig die Stimmen für die Aufführung her, was er nicht getan hätte, wenn es lediglich um ein spontan inspiriertes Werk ginge, gar eines zu „selbsttherapeutischem“ Zweck, wie manche Biographen mutmaßen.
Kleine Nachtmusik
Sicher ist, daß Mozart in jener Zeit von der Unterhaltungsmusik sui generis Abschied nimmt. Seine letzte Serenade, Eine kleine Nachtmusik, wird zwar eines der populärsten Stücke klassischer Musik überhaupt, ist in ihrer Faktur bei aller bewußten Bescheidenheit des Umfangs doch durch und durch symphonisch gehalten, wenn auch serenadenhaft ursprünglich mit zwei Menuetten, also fünfsätzig angelegt.
Zumindest verheißt das eigenhändige Werkverzeichnis zwei Menuette mit Trios für diese „Nacht-Musick“.
So steht ursprünglich die zauberhafte „Romance“ im Mittelpunkt des Geschehens, ein langsamer Satz gesanglicher Prägung. Das Thema, von Ferne an Belmontes B-Dur-Arie („Wenn der Freude Tränen“) aus der Entführung aus dem Serail erinnernd, wird von zwei kontrastierenden Episoden abgelöst; die zweite ist – wie im vergleichbar angelegten Mittelsatz des d-Moll-Klavierkonzerts – ein unheimlich pulsierender Moll-Abschnitt.
Bei aller Leichtigkeit des Serenaden-Tonfalls bleibt doch spürbar, daß die Nachtmusik, das letzte Werk ihres Genres, zur selben Zeit entsteht wie der Don Giovanni.
Das grandiose Streichtrio
Am 27. September 1788 setzt der Komponist dann den Schlußpunkt hinter ein ausdrücklich Divertimento genanntes Werk für Geige, Bratsche und Cello (KV 563), das doch eine beinah unheimliche Verquickung disparatester Stilebenen zu einem vollkommen harmonischen Ganzen darstellt.
An die früheren Divertimenti erinnern die Satzfolge – mit zwei langsamen Sätzen und zwei Menuetten – und manch charmantes tänzerisches Apercu wie etwa das ländlerhafte zweite der Trios im Menuett II.
Menuett I hingegen spielt wieder mit rhythmisch-metrischen Schwerkraftverschiebungen und rückt so die Musik vom unterhaltenden in den geistvoll-hintergründigen Ausdrucks-Bezirk, dem vor allem die Ecksätze und das tiefgründige As-Dur-Adagio verpflichtet sind.
Die Mixtur ist staunenerregend, vor allem deshalb, weil sie so selbstverständlich wirkt.
Frivole Kanons
In den Bereich der Unterhaltungsmusik gehören jedenfalls manche Vokalwerke, vor allem die verschiedenen Kanons, in denen Mozart sich in strenger Satzform übt – wie die Skizzen zeigen, oft gar nicht mit jener leichten Hand, die ihm notorisch auch für heikle Aufgaben zugebilligt wird.
Vielen dieser textlos überlieferten Stücke unterlegt man später zum praktischen Gebrauch Worte.
Wo Mozart sie selbst schreibt, künden sie des öfteren von seinem zotigen Humor, der sich vor allem in einem Sprachwitz äußert, der den ohnehin forschen Umgangston der Familie Mozart auf virtuose Weise ins Bizarre drängt.
Viel gesungen wird späterhin noch das Bona nox (KV 561), auf das sich „bist a rechter Ochs“ hübsch reimt; bei Mozart heißt es freilich Gute Nacht! Scheiß ins Bett, daß’ kracht, durchaus in Anlehnung an mütterliche Gute-Nacht-Wünsche, die Mozart seit seiner Kindheit vertraut sind – von ängstlichen Verlegern wird all das bis zur Unkenntlichkeit camoufliert. Beliebt bleibt auch das Pasticcio aus den sinnlos zusammengestellten Lateinvokabeln Difficile lectu mihi mars (KV 559), das, gesungen, bald wie ein fortwährendes Götzzitat tönt.
Komponiertes Götz-Zitat
Selbiges setzt Mozart übrigens gleich zweimal auch ganz ungeschminkt in Töne (KV 231 und 233)! Demgegenüber stehen streng kanonische Vertonungen geistlicher Texte wie ein „Alleluja“ (KV 553) und ein „Ave Maria“ (KV 554), Stücke, die in den weltlichen, traurig getönten Liebesklagen „Lacrimoso son’io“ und „Nasconso è il mio sol“ (KV 555 und 557) ein Nachspiel finden.
Tänze
Wirklich Unterhaltungsmusik im später üblichen Wortsinn stellen die Tänze dar, die Mozart für Orchester komponiert. Sie entstehen in allen Schaffensperioden, von den sieben Menuetten KV 65a an, doch besonders geballt in der Zeit der großen Wiener Opern, als Mozart immer neue Sechser- und Zwölferserien von Menuetten, Deutschen und Kontretänzen zu liefern hat, was er gern tut, denn er tanzt selbst mit Leidenschaft und läßt in keinem seiner Stücke Nachlässigkeit erkennen.
Freilich beschränkt er sich aus Gründen der Praktikabilität auf verhältnismäßig simple Vier- und Achttakter, doch instrumentiert er mit dem für ihn charakteristischen Feinsinn. Manchen Kontretänzen gibt er programmatische Namen und schreibt aparte Spielweisen vor, um spezielle theatralische Effekte zu erzielen, die den Überschriften – etwa Das Donnerwetter oder La Bataille – lautmalerisch gerecht werden. KV 609 beginnt übrigens mit einem Selbstzitat: Der erste der Kontretänze ist ein Arrangement von Figaros Non piu andrai.