Die späten Symphonien
Paris, Prag, Linz, Wien
Symphonien haben Mozarts musikalische Karriere von Anbeginn begleitet. Doch ist nach 1774 eine Pause eingetreten.
Die letzten Salzburger Werke
Das g-Moll-Werk vom Jahr davor war in seinem Sturm-und-Drang-Gestus kaum zu überbieten. Mozart setzte eine milde, behutsam getönte Symphonie entgegen:
Die A-Dur-Symphonie (KV 201) trumpft zwar mit einem quirligen Finalsatz auf, doch ihre intensivsten Momente wohl im D-Dur-Andante findet. Hier liegt der sanfte Schleier der gedämpften Streicherklänge über der Musik; doch leistet sich Mozart ganz zuletzt einen einzigartigen Effekt: Nach den kraftvollen Einwürfen der Bläser nehmen die Streicher die Dämpfer ab und verleihen der Schlußgeste damit plötzlich überraschende Strahlkraft.
Demgegenüber klingt die wenig später komponierte D-Dur-Symphonie (KV 202) gezähmter, wie eine letzte Hommage an das Vorbild Haydn.
Die → Pariser Symphonie
Erst auf der Reise nach Paris präsentiert Mozart – vier Jahre später – seine nächste symphonische Arbeit. Nicht nur Arien schneidert er auf die Bedürfnisse der Sänger zu, auch Symphonien auf den Geschmack des Publikums.
Viel zitiert wird der Brief, mit dem der Komponist stolz berichtet, wie es ihm gelang, die Pariser Musikfreunde an der Nase herumzuführen.
Den ersten Satz beginnt er noch, wie es Brauch ist, im kraftvollen Forte. Das Finale aber setzt völlig gegen die Konvention im Pianissimo ein:
Mithin machten die zuhörer sch – dann kam gleich das Forte – sie das fort hören, und in die hände zu klatschen war eins.
Das Publikum meldet sich in jener Zeit auch während der musikalischen Darbietung zu Wort, wenn etwas gefällt oder mißfällt. Wie man auf die kontrapunktischen Finessen in dem sportiven Allegro-Finale reagiert, ist nicht überliefert.
Sicher ist, daß die Erstfassung des langsamen Mittelsatzes als zu kompliziert für den Zeitgeschmack empfunden wird. Mozart tauscht ihn aus; doch können spätere Generationen nur mutmaßen, welches das originale, welches das neukomponierte Andante ist.
Seine → Pariser Symphonie schätzt Mozart jedenfalls sehr. Er führt sie auch im Rahmen seines ersten öffentlichen Auftritts seit seinem Kindheitsgastspiel in Wien auf. Bezeichnend – und von späteren Vorreitern historisch getreulicher Aufführungspraktiken geflissentlich übersehen – die begeisterte Schilderung der Größe des Orchesters, wie sie der Komponist in einem Brief an den Vater gibt:
Vierzig Violinen spielen in jener Akademie am 1. April 1781, zehn Kontrabässe und sechs Fagotte, eine Anzahl, die im angehenden 21. Jahrhundert nicht einmal in riesigen Konzertsälen erreicht wird.
Die Salzburger Jahre beendet Mozart mit drei dreisätzigen Symphonien, deren erste, KV 318, eine verkappte Opernouvertüre ist, knapp, in Bogenform gestaltet, mit einem zarten Andante-Intermezzo inmitten.
Die C-Dur-Symphonie, KV 338
KV 338 ist hingegen eine ausgewachsene Symphonie, deren erster Satz von überbordendem Erfindungsreichtum getragen ist: Exposition und Durchführung wirken wie eine unablässig strömende Einheit, in der erstaunliche, oft drastische Kontrastwirkungen erzielt werden. Mozart streicht in diesem Werk das an zweiter Stelle stehende Menuett.
In die
B-Dur-Symphonie (KV 319) fügt er hingegen ein Menuett ein und ergänzt das intime, doch reichhaltige Werk zur Viersätzigkeit.
Haffner-Symphonie
Die nächste Symphonie sendet Mozart bereits als Gruß an die Heimat aus Wien: Einmal noch ordert Vater Leopold eine Festmusik für die Familie Haffner.
Von der neuen D-Dur-Serenade sind uns nur jene vier Sätze erhalten, die Mozart später als Symphonie aus dem Gesamtverband herauslöst. Das KV 385 ist eine seiner konzisesten, gleichzeitig festlichsten Kompositionen, strahlend, kraftvoll, mit einem typisch serenadenhaften Andante in G-Dur als innigem Intermezzo.Improvisatorisch entstehen auch die nächsten beiden symphonischen Arbeiten.
Das Geheimnis um Nr. 37
Für eine Akademie in Linz braucht Mozart zwei Werke. Eines davon borgt er bei Michael Haydn, versieht es lediglich mit einer selbstkomponierten langsamen Einleitung (KV 444). Wer sich je gefragt hat, warum im Werkkatalog Mozarts auf die Symphonie Nr. 36, die "Linzer", gleich die Nummer 38, "Prager" folgt: Hier ist die Antwort: die zweite der "Linzer" Symphonien ist jene von Michale Haydn, die Mozart lediglich mit einer langsamen Einleitung versehen hat.
Das andere Stück schreibt er in Windeseile selbst.
Die Linzer Symphonie
Der erste Satz der Linzer Symphonie ist ein Lehrbeispiel für Mozarts singuläre Auffassung der sogenannten Sonatenform
Wer nach der gewichtigen Introduktion im Allegro-Teil die Themen numerieren wollte, würde kläglich scheitern. Wie so oft ergibt sich der Komponist dem brillanten rhetorischen Spiel mit einer schier unendlichen Fülle von Argumenten, wobei aus scheinbaren Aperçus im Verlauf der Diskussion gewichtige Thesen werden können – und umgekehrt.
Der Gestaltenreichtum geht mit einer Virtuosität der Klangrede einher, die vor allem für das späte symphonische Schaffen Mozarts charakteristisch bleiben wird.
Die vielbeschworene Dämonie, die Mozarts Don Giovanni-Musik beherrscht, ist keine singuläre Farbe in seinem Werk, sondern in vielen Vorgängerstücken vorgebildet. In der ebenfalls in Prag uraufgeführten D-Dur-Symphonie KV 504 etwa, im Dezember 1786 in Wien vollendet.
Die Prager Symphonie
KV 504, nimmt in der Hell-dunkel-Mischtechnik die Don Giovanni-Klangwelt voraus, weist im Hauptthema des Stirnsatzes aber auch schon auf die Zauberflöten-Ouvertüre – und wirkt im Presto-Finale wie eine Metamorphose des kurzen „Fenstersprung-Duetts“ zwischen Cherubino und Susanna aus dem Figaro. Inmitten steht ein geheimnisvoll gestaltenreiches, tiefgründig modulierendes Andante, das die finsteren Momente der Symphonie-Introduktion noch einmal aufnimmt und diskutiert.
Die letzten drei
Die drei letzten Symphonien von 1788 wird man später immer in einem Atemzug nennen, auch weil der Anlaß für ihre Komposition nie geklärt werden kann.
Sicher darf angenommen werden, daß Mozart nicht ohne Grund drei solche gewichtige Kompositionen schreibt, die ihren Platz im bürgerlichen Konzertbetrieb des 19. Jahrhunderts sofort erobern und nie wieder verlieren werden.
Überraschungen, kühne Kontrastwirkungen allenthalben.
Symphonie Es-Dur, KV 543
Das Es-Dur-Werk hebt noch einmal mit einer Adagio-Einleitung an, beginnt den Allegro-Teil dann schwebend, fast entmaterialisiert, bis – spät in der Entwicklung – das gesamte Orchester einmal im Forte zum Klingen kommt. Fesselnde Erzählkunst herrscht im As-Dur-Andante, das aus schlichtem Beginn zu aufwühlenden Bilderwelten findet, wie sie in der folgenden g-Moll-Symphonie (KV 550) durchgehend beschworen werden.
Symphonie g-Moll, KV 550
Dieses Werk trägt später besonders zur Mozart-Mythenbildung bei, wobei seine Stellung im Œuvrekatalog so singulär nicht ist, wie es scheinen mag. Mozart selbst hat ein „kleines“ Schwesterwerk in g-Moll (KV 183) geschaffen, er drückt – in manch glühender Opernszene seit frühester Jugend – gerade in dieser Tonart immer wieder empfindsamste Botschaften aus – ein Jahr vor KV 550 etwa auch im Streichquintett KV 516.Die C-Dur-Symphonie (KV 551), vom Verleger „Jupiter-Symphonie“ genannt, demonstriert im Gegenzug die Kombination von äußerster Prachtentfaltung und höchster Sensibilität.
Über die Fugenkunststücke im Finalsatz, über das seit der ersten Symphonie immer wiederkehrende Credo-Motiv sind Bände geschrieben worden. Weniger über die aufregende Formgebung des F-Dur-Andantes: Der Sonatensatz wird von bedrohlichen Stimmungstrübungen vorangetrieben und treibt mit der Durchführung ein dämonisches Seitenthema sozusagen aus. Es kehrt in der Reprise nicht wieder, wird ersetzt durch eine geradezu heroisch tönende Metamorphose. Der Weg ist frei – nicht nur für das genial alle Gelehrtheit von der kontrapunktischen Kunst abstreifende Finale, sondern auch für das gelöste Menuett, dessen Trio wie der verschmitzte Kommentar zu einem derben Ländler tönt: Nur phantasievolle Dirigenten werden das später durchschauen – und keiner wird die Bläser den Schlußjauchzer der Melodie so charmant realisieren lassen wie der große Mozart-Bewunderer Richard Strauss...