Die Wahrheit über Webern

Versuch über einen Programm-Schwerpunkt des Festivals »Loisiarte« 2023.

Anton von Webern kennen wir als den Meister der absoluten Kürze. Keiner hat wie dieser 1883 geborene Wiener Komponist die Lehren seines Mentors Arnold Schönberg so konsequent auf die Spitze getrieben: Schönberg war der erste, der in seinen Werken der Jahre um 1905 auf die Ankerfunktion der Dur-Moll-Tonalität verzichtet hat. Die Folge der daraus resultierenden Irritation der Hörer war die konsequente Verkürzung der Kompositionen: In Ermangelung eines harmonischen Koordinatensystems, in dem Entwicklungen innerhalb eines klar definierten Tonarten-Gefüges möglich – und hörend nachvollziehbar waren – reduzierten sich musikalische Werke plötzlich auf den Kern der Aussage: Zuletzt wurden »Sätze« formuliert. Mit dem Punkt war das Werk vollendet.

Das ist der Status, den wir etwa bei Anton von Weberns extrem knappen Drei Stücken für Violoncello und Klavier op. 11 vorfinden. Die drei Werke dauern zusammengerechnet nicht einmal drei Minuten.

Wenig bekannt ist, daß Webern bereits in seiner früheren, der Spätromantik und der Tonalität noch verpflichteten Kompositionsphase zu extremer Kürze neigte.

Anläßlich der »Loisiarte 2023« präsentieren Patrick Demenga und Cornelia Hermann nicht nur die drei Stücke des Opus 11, sondern auch zwei frühe Stücke für Cello und Klavier aus dem Jahr 1899 – sie sind nur geringfügig länger als die 1914 entstandenen »atonalen« Piecen, aber noch im Dur-Moll-Raum zu verorten – wobei Webern in beiden Stücken gleich in den ersten Takten die von Wagner »geerbte« »Tristan«-Harmonik durch aparte tonale Rückungen ausreizt, um zu neuen Rändern des harmonischen Raums vorzudringen.

Zwischendrin schafft eine Komposition von Thomas Demenga die Verbindung zwischen diesen frühen Versuchen und den späten, ganz frei im tonalen Raum handelnden dramatischen Miniaturen. »Eine kleine Erregung (über Berg und Bach)« für Violoncello und Klavier erzählt von Alban Bergs Versuchen, die besagten »Ränder« auszukundschaften: Zitate aus dem zwölftönigen Violinkonzert von 1935 lassen jene Passagen hören, in denen Berg auslotet, welche scheinbar tonalen Effekte (wie Erinnerungen an Früheres) aus seiner aus Dreiklängen und dem Fragment einer Ganztonleiter gebildeten Zwölftonreihe gewinnen lassen. Im übrigen ist es Berg gelungen, in die zwölftönige Struktur seines Violinkonzerts auch einen Choral von Johann Sebastian Bach zu integrieren: »Es ist genug, Herr, wenn es dir gefällt, so spanne mich doch aus« – eine Melodie, in der schon der Barockmeister durch einen unerwarteten Ganztonschritt die harmonischen Gesetze auszuhebeln beginnt. Mit diesen Zitaten und freien Assoziationen dazu führt uns Thomas Demengas Werk aus Weberns früher romantischer Phase quasi improvisatorisch zu den konsequent »atonalen« Stücken op. 11.