Erica Morini

In einer CD-Box sind nun die historischen Westminster- und DG-Aufnahmen der legendären Geigerin gesammelt greifbar.

Was wir einst als wienerisches Musik-Erbe bezeichnen durften

Eine Puppe, ein Kriminalfall: Über die Geigerin Erica Morini gibt es viel Anekdotisches zu erzählen. Eine Puppe mit Schlafaugen hat sie sich gewünscht, nachdem sie für Kaiser Franz Joseph gespielt hatte. Da war sie noch ein rechtes Wunderkind, Tochter eines Geigers, der seinem begabten Kind eine Stradivari vermachte, die Jahrzehnte später gestohlen wurde.
Bis heute ist der Fall nicht aufgeklärt worden. Eine abschließende Dissonanz in einem Künstlerleben, das reich an wohl ausbalancierten, schönen, blitzsauber intonierten Tönen gewesen war: Morini, eine der letzten Vertreterinnen eines wienerischen Geigentons, der im Nachklang noch von einem Wolfgang Schneiderhan, einem Willi Boskovsky gepflegt wurde. Tempi passati.
Von der jungen Morini, meinte sogar Fritz Kreisler, sie spiele seine Petitessen besser als er selbst. Offenbar stimmte die Mixtur: österreich-ungarisch mütterlicherseits, galizisch-jüdisch vom Vater her; die angeblichen Triestiner Wurzeln sind eine späte Erfindung, um den angenommenen Namen Morini zu erklären; die Familie hieß ursprünglich Moritz.
Die kürzlich erschienen CD-Box, in der die Konzert- und Kammermusik-Aufnahmen gesammelt sind, die Morini für Westminster und Deutsche Grammophon gemacht hat, lässt hören, was unter dem viel zitierten, kaum konkret beschreibbaren „Wiener Geigenklang“ zu verstehen ist: Die Morini spielt, ganz gegen das Vorurteil, mit sparsamstem Vibrato, gradlinig, leuchtkräftig, dabei dezent, ohne dramatischen Druck; dennoch auch im Piano konsistent.
Legendäre Aufnahmen, wie jene des Brahms- und des Tschaikowsky-Konzerts unter Artur Rodzinskis Leitung, haben sich im Katalog behauptet, nehmen sie der Musik doch jegliche theatralische Attitüde: Was viele Kollegen gewaltig bis gewalttätig herausbringen, geigt Morini melodisch in weiten Bögen, dabei ungemein reich in der farblichen Differenzierung und ungemein prägnant im rhythmischen Detail.
Sie nimmt selbst einem Virtuosen-Schlachtross wie dem Glasunow-Konzert jeglichen Bombast. Die Eleganz ihres Spiels verrät, daß sie als Kind eher Ballerina als Musikerin werden wollte.
Und apropos wienerisch: Es gibt kammermusikalische Aufnahmen, in denen Felix Galmir, damals Toscaninis NBC-Konzertmeister, den Sekundgeiger in einem von Morini angeführten Streichquartett gibt. Galimir, Wiener Wunderkind wie die Morini, von den Philharmonikern 1936 abgelehnt – Mozart und Beethoven, gespielt von zwei Wiener Legenden, die ins amerikanische Exil vertrieben wurden. Was Europa an kulturellem Erbe verspielt hat, man kann es hören . . .

PORTAIT

Erica Morini

In Wien geboren, aus einer triestiner Familie stammend, wurde Erika Morini zu einem amerikanischen Phänomen. Ihre Karriere begann im Wunderkind-Alter von acht, als sie ihre Ausbildung am Wiener Konservatorium absolviert hatte, und als man ihr als Gage das eine oder andere Mal sogar eine Puppe anbieten durfte…

Ihr Leben lang hat Erika Morini Jascha Heifetz als ihr großes Vorbild angegeben und tatsächlich gibt es von ihr einige brillante Aufnahmen brillanter Geigerischer Virtuosen-Literatur. Ihr Spiel vereinigte alle technische Sicherheit mit einem ungeheueren Reichtum an Farben und Ausdrucksnuancen, Tugenden, die formal gebändigte im Ihren exzellenten Aufnahmen von Sonaten oder symphonischer Konzerte zu Gute kommen.



Die berühmteste Aufnahme der Morini ist gewiß jene des Violinkonzert von Johannes Brahms unter der Leitung von → Artur Rodzinski. Das Stück ist kaum je leuchtkräftiger, dabei formal gebändigter auf Schallplatte gebannt worden. Nicht minder schwungvoll, etwas weniger präzis, aber dafürsogar noch ein wenig beseelter klingt dasselbe Werk im Livemitschnitt unter Bruno Walter aus New York. Eine hinreißende Wiedergabe, die den Hörer unausweichlich in ihren Bann schlägt.



Hörenswert sind auch Morinis Beethoven-Aufnahmen mit dem Pianisten Rudolf Firkusny, eine wunderbar aus lyrischen Regionen immer wieder ins Dramatische wachsende »Frühlingssonate«, Und eine von mitreißendem Drive vorangetriebene c-Moll-Sonate — und das, obwohl die Warner-Technik die Aufnahme zu Tode »renoviert«, und mit dem Rauschen auch den sinnlichen Glanz wegretuschiert hat, der das Mono-Original auf Schalplatten noch auszeichnete. Es bleibt genug an überwältigender Musikalität.

Die unter dem Patronat von Walter Legge eingespielten Konzert- und Kammermusik-Aufnahmen, darunter die Violinkonzerte von Sibelius (unter Walter Susskind) und Brahms (Isay Dobrowen) sind in einer Box erschienen. (Warner)