Zemlinsky

Zemlinskys längst fällige Rückkehr

150. Geburtstag. Die Musikwelt feiert dieser Tage nicht nur einen bedeutenden Komponisten, sondern auch einen epochemachenden Interpreten aus Wien.

Ein verlorener Sohn, der mitten im Zweiten Weltkrieg im amerikanischen Exil starb – so viel wusste der durchschnittliche Musikfreund vor 50 Jahren über Alexander von Zemlinsky. Vielleicht. Zemlinskys Musik wurde in Konzertsälen und Opernhäusern nicht gespielt. Und selbst heute, im Zuge der Besinnung auf künstlerische Leistungen, deren Rezeption in der Zeit der brutalen Diktaturen des 20. Jahrhunderts verboten war, bietet die Musikstadt Wien gerade einmal eine konzertante Aufführung an der Volksoper – wo der Meister als Dirigent gewirkt hatte – und einige Konzerte nebst einem Symposion im Musikverein, wo immerhin der Zemlinsky-Fonds beheimatet ist.

Zu dieser Kargheit quer steht die üppige Erzählung vom bedeutenden Wiener Spätromantiker, der menschlich wie künstlerisch eng mit den Protagonisten der Avantgarde verbunden war. Zemlinsky, Lehrer Arnold Schönbergs, wurde dessen Schwager und beeinflusste Alban Berg nachhaltig. Zemlinsky war außerdem, und damit bedient er die Klatschtanten und -onkel unter den Musikwissenschaftlern bis heute, Alma Schindlers Geliebter, ehe diese sich in Gustav Mahlers Arme warf. Der Seelen-Kontrapunkt scheint so aberwitzig verschlungen wie jener der Orchesterstimmen in Zemlinskys Partituren.

Igor Strawinsky war Zemlinsky-Fan

Das alles klingt fesselnd, doch die Zemlinsky-Renaissance stockt. In den Augen der Apologeten der musikalischen Moderne nach 1945 hat dieser Komponist einen entscheidenden Fehler gemacht, indem er ihren Ohren schmeichelte. Die Abkehr von der Dur-Moll-Tonalität hatte er nicht mitgemacht, noch die Spätwerke klingen eher wie Verwandte der Wiener Moderne um Meister wie Franz Schmidt, Joseph Marx oder Erich Wolfgang Korngold als nach dem, was sie für die Kenner jener Ära darstellten: Wegbereitung für die sogenannte Wiener Schule.

Damit hätte Zemlinsky in der Nachkriegszeit zwar das Publikum auf seiner Seite gehabt, aber die Stimmen der Vordenker der „Neuen Musik“ hatte er gegen sich. So dauerte es bei ihm – wie bei manchem Kollegen – bis zu den Dammbrüchen der Postmoderne. Als C-Dur-Akkorde wieder erlaubt waren, durften die internationalen Musikfreunde hie und da wieder staunen, wie weit sich Zemlinsky seinerzeit schon in den Gefilden der Harmonik vorgewagt hatte, um seine ausdrucksvolle Musik zu schreiben.

Pioniertaten wie die Aufführungen und Aufnahmen der Streichquartette durch das LaSalle Quartett oder der „Lyrischen Symphonie“ durch die Berliner Philharmoniker unter Lorin Maazel mit Julia Varady und Dietrich Fischer-Dieskau beanspruchen längst den Rang von Meilensteinen.

Auf CD ist ja mittlerweile fast alles von Zemlinsky greifbar; und manches erscheint auch immer wieder auf den Programmzetteln. Aber den Platz in den Köpfen der Intendanten, der ihm zustünde, hat dieser Komponist so wenig gefunden wie etwa Korngold oder die genannten Vertreter der „Wiener Moderne“, die nicht ins Exil vertrieben wurden – der Bannfluch, diese Musik sei „unzeitgemäß“ lastet nach wie vor auf ihr. Mochte sich Alban Bergs Fantasie noch so deutlich an Zemlinskys Vorbild entzündet haben: Seine „Lyrische Suite“ gilt längst als Klassiker, die „Lyrische Symphonie“ aber bleibt eine Ausnahmeerscheinung auf den Spielplänen. Ob die Aufführung durch Christian Thielemann im kommenden Frühjahr daran etwas ändern wird?

Nachhören darf man jetzt immerhin, wie gut der Dirigent Alexander von Zemlinsky wirklich war: Auf dem Label „Pristine“ sind seine Schellack-Aufnahmen, akustisch wunderbar restauriert, gesammelt wieder greifbar. Da erfährt man schon in den zum Greifen deutlich voneinander getrennten, lebendig artikulierten Holzbläserstimmen der „Cosi fan tutte“-Ouvertüre, warum ein Igor Strawinsky – er hat sonst an keinem Kollegen ein gutes Haar gelassen – einst bekundete, Zemlinsky sei der beste Dirigent gewesen, den er je erlebt hätte . . .