Johanna Martzy

1924 – 1979

Wer den boomenden Vinylmarkt verfolgt, weiß, daß einige Schallplatten mit Aufnahmen von Johanna Martzy astronomische Preise erzielen. Zu den gesuchtesten Vinyl-Scheiben gehört etwa die Einspielung von Antonín Dvořáks Violinkonzert unter Ferenc Fricsay auf Deutsche Grammophon.

Hänssler brachte eine CD in den Handel, die nachvollziehen läßt, wie diese Geigerin zur Legende wurde. Für den SWR nahm Martzy unter Hans Müller-Kray resp. Günter Wand die Violinkonzerte von Mendelssohn und Brahms auf. Die Livemitschnitte sind alles andere als perfekt, aber schon die Eingangstakte des Mendelssohn-Konzerts verraten den Rang der Interpretin: singender Ton, exquisite Legato-Kultur, höchste Finesse in der rhythmisch-agogischen Differenzierung. Das bezaubert sogar in digitalisierter Form.


In einer Sammlung von Livemitschnitten findet sich auch eine Aufnahme von Mozarts G-Dur-Konzert mit Willem van Otterloo, das zu den spritzigsten, geschliffensten Klassikerdarstellungen jenseits der Originalklang-Mode gehört.

BIOGRAPHISCHES

Johanna Emiie Maria Martzv, geboren im damals ungarischen Temesvár im Oktober 1924, begann nach unerwarteten Talentproben auf Drängen ihrer Mutter mit dem konsequenten Geigenstudiu bei Josef Brandeisz (1896-1978). Johanna war ungemein begabt, schlitterte aber rasch in eine pubertäre Krise. Die Familie war aber nicht geneigt, nachzugeben und sandt das Mädchen zur Geiger-Legende Jenö Hubay. Ihm spielte Johanna eine Bearbeitung von Schuberts »Ave Maria« vor – damit war ihr Schicksal besiegelt: Sie sei von Gott begnadet, beschied ihr der berühmte Virtuose. Sie könnte eine der besten Geigerinnen der Welt werden …

In zähem Ringen erwarb sich Martzy daraufhin bei zwei von Hubay empfohlenen Lehrern – immer streng überwacht von ihrer ehrgeizigen Mutter – die nötige Technik, ihre »Gottesgabe« zu fassen. 1943 war es so weit: Mit dem bedeutenden Dirigenten Willem Mengelberg, der gerade auf Gastspiel in Budapest weilte, absolvierte Johanna Martzy ihr erstes großes Konzert: Das Debüt galt dem Violinkonzert Peter Iljitsch Tchaikowskys.

Auf der Flucht

Doch der Weltkrieg neigte sich dem Ende zu, die Deutschen besetzten Ungarn und die jüdische Familie Martzy mußte versuchen, der Verhaftung zu entgehen. Johanna gelang es, über die Grenze bis nach Tirol zu fliehen – doch dort wurde sie von einer Streife aufgegriffen und interniert.

Nach der Befreiung durch die französischen Truppen konnte Martzy mit ihrem Ehemann, dem Dirigenten Béla de Csilléry in die Schweiz emigrieren. Ein zweiter Platz – bei nicht vergebener Goldmedaille – beim Genfer Musikwettbewerb sicherte Johanna Martzy Aufmerksamkeit. Das Preisträgerkonzert unter Carl Schuricht markierte den Beginn einer kurzen aber wichtigen Aufführungsserie: Das Orchestre de la Suisse romande unter Enerest Ansermet engagiert die junge Künstlerin 1948 für Aufführungen von Bartóks Rhapsodie I und Mozarts Viertem Violinkonzert, das in der Folge unter Eugen Jochum für die Deutsche Grammophon aufgenommen wurde.

Stradivari »ex Huberman ex Kreisler«

Im Jahr darauf erhielt Martzy die Gelegenheit, ein Instrument von Carlo Bergonzi von 1733 zu spielen – ein Gönner stellte der Künstlerin diese Geige hinfort zur Verfügung; selbst der Erwarb von Bronislaw Hubermans Stradivari »ex Kreisler« hat die Martzy nie davon abbringen können, weiter auf ihrem geliebten Instrument zu spielen und Aufnahmen zu machen.

1952 absolvierte Martzy ihr Debüt mit den Berliner Philharmoniker (unter Joseph Keilberth), 1957 die erste USA-Tournee. Dirigenten wie Clemens Krauss, Otto Klemperer, André CLuytens oder Leonard Bernstein holten sie aufs Podium. Nachdem die Aufnahmen des Dvorak-Konzerts unter Fricsay und Mozarts KV 218 unter Jochum für die Deutsche Grammophon sogleich Kultstatus erlangte, warb Walter Legge die Geigerin für seine Columbia-Aufnahmen ab. Doch entstanden nur wenige Einspielungen, denn zur gleichen Zeit hatte das Label auch die russischen Meistergeiger David Oistrach und Leonid Kogan engagiert. Martzys Vertrag wurde nicht verängert.

Auch die Zeitläufte sorgte für einen empfindlichen Karriereknick: Die Musiker der Tschechischen Philharmonie protestierten – wohl auf staatlichen Druck – gegen einen gemeinsamen Auftritt mit Johanna Martzy beim Edinburgh Festival: Sie hatte sich allzu klar gegen die kommunistische Landnahme in Osteuropa positioniert – was ihr prompt als Parteinahme für die faschistische Diktatur in Ungarn unter Admiral Horhty ausgelegt wurde. Das war zwar absurd, führte aber in der Folge zu einer starken Reduktion der Angebote.

Mittlerweile hatte Martzy sich auch scheiden lassen und den wohlhabenden Verleger Daniel Tschudi geheiratet. Der gemeinsamen Tochter widmete sich die Künstlerin liebevoll. Letzte Konzertreisen führten die Geigerin, die sich rar machte, nach Südamerika (1961) und in die USA (62/63), zu den Proms in London und einmal auch – gegen alle politische Überzeugung – nach Budapest, wo sie ihre Mutter wieder sah, die in Ungarn geblieben war.

Bei diesem Aufenthalt wurde eine Leberentzündung diagnostiziert, an deren Folgen Martzy noch lange laborierte. Hinfort lebte sie Zurückgeogen in der Schweiz, wo sie am 13. August 1979 starb. Ihre Schallplattenaufnahmen waren für Sammler längst zu Ikonen geworden.