Mut zum Konservativen

Hie und da hat man auch in Wiener Konzertsälen Mut

Die Symphoniker beweisen demnächst, dass es auch um 1910 noch bedeutende Musik gab, die sich der radikalen Modernität verweigerte.

Das kommende Konzerthaus-Programm der Wiener Symphoniker ist wohl das ungewöhnlichste, das dieses Orchester heuer anzubieten hatte: Vilde Frang spielt das Solo in Edward Elgars Violinkonzert, nach der Pause dirigiert Fabio Luisi Franz Schmidts Zweite Symphonie. Beide Werke, um 1910 entstanden, sind Abgesänge auf die musikalische Romantik. Einmal noch wollten Komponisten beweisen, was die alten Formen noch hergaben: In Elgars Konzert werden die hergebrachten Strukturen fantastisch überwuchert, in Schmidts Symphonie noch einmal klar nachgezeichnet.

Beide Stücke sind exzeptionelle Beweise dafür, dass die Dur-Moll-Tonalität mit der Landnahme der musikalischen Moderne nicht ausgedient hatte. Gerade deshalb standen sie quasi „im Weg“. Die Ideologen der „Neuen Musik“ verwarfen derlei Qualitätsarbeit als rettungslos veraltet. Nur so war Kompositionen beizukommen, die im Hinblick auf die blühende Melodik, die farbenprächtige Harmonik und die formale Beherrschung offenkundig von höchstem Rang waren. Das alles war nicht zu bestreiten — aber man war halt schon „weiter“, im besten Sinne „avant garde“.

Elgar und Schmidt mochten als Leuchtturmwärter ausharren, Zeichen setzend für alle, die gern zurückblicken. Es gehört bis heute Mut dazu, solche Werke aufs Programm zu setzen. Das Publikum reagiert auf die Ankündigung skeptisch: Elgars Violinkonzert kennt man dank der ideologischen Bannsprüche so wenig wie Schmidts Zweite. Doch wann immer sie allen Geboten zum Trotz erklingen, herrscht hinterher das große Staunen: Warum wohl verweigert man solchen Meisterwerken Repertoire-Status?

Ein Konzertprogramm wie jenes, das am kommenden Freitag erklingen wird, stellt Fragen auch an die Veranstalter, die unausgesetzt Schostakowitsch und Mahler, Richard Strauss und vielleicht auch Sibelius programmieren, um eine ganze Reihe von Komponisten der Ära nach 1900 aber einen Bogen machen, sofern sie nicht der sanktionierten „Moderne“ angehören, die laut pädagogischem Plan konsequent gefördert werden muss.

Von Elgar einmal abgesehen: Allein in unseren Breiten gäbe es Aufholbedarf im Musiktheaterbereich, aber auch — wo es viel einfacher wäre, die Dinge aufs Programm zu setzen — im Konzertsaal. Neben den Symphonien Franz Schmidts Werke von Joseph Marx oder Julius Bittner, für dessen f-Moll-Symphonie sich einst niemand Geringerer als Erich Kleiber engagierte. Vergessen, verdrängt wie die grandiose Zweite Symphonie eines Ernst von Dohnányi, eine der bewegendsten musikalischen Reaktionen auf die Wirrsal des Zweiten Weltkriegs. Mut ist gefragt, nicht immer dasselbe wiederzukäuen.

Von der Ausdruckskraft einer Schmidt-Symphonie kann sich das Wiener Publikum übrigens kommenden Samstag überzeugen. Es darf sich von Klang überschwemmen lassen, inmitten des Orchesters sitzend! Eine Initiative der Wiener Symphoniker, „Im Klang“, macht’s möglich.