Die „echte“ Fledermaus

Grazer Musikverein. Intendant Michael Nemeth über das Saisonfinale mit einer luxuriös besetzten Wiederaufführung derStrauß-Operette — in den Originaldekorationen von 1874.

Das Ende der Saison naht — da ist noch ein echter Knalleffekt zu erwarten. Zumindest in Graz. Der dortige Musikverein hat bereits kräftige Signale gesetzt, nicht zuletzt mit den ersten Konzerten eines Bruckner-Festivals, das sich über drei Spielzeiten erstrecken wird. Intendant Michael Nemeth dazu: „Es ist sozusagen ein vorgezogenes Brucknerfest zur Feier des 200. Geburtstags des Komponisten.“

Begonnen hat man mit einem Gastspiel des Dirigenten Gabriel Feltz, der zunächst die Düsseldorfer, dann auch die Grazer Philharmoniker dirigierte: „Gabriel Feltz hat übrigens schon einen starken Bezug zum Grazer Musikverein. Er hat zu unserer 200-Jahr-Feier Mahlers Achte dirigiert.“ Ein wichtiger Dirigent für den Bruckner-Zyklus wird auch der Linzer GMD, Markus Poschner, sein, der ja gerade sämtliche Fassungen der Bruckner’schen Symphonien für CD aufnimmt. „Er wird in der Saison 23/24 die Dritte Symphonie, die Bruckner ja besonders einschneidend bearbeitet hat, in der Letztfassung dirigieren und dazu mit dem RSO Wien nach Graz kommen. In der Saison 24/25 wird dann die Achte Symphonie nachgereicht.“

Die originale „Fledermaus“

Der Intendant freut sich aber auch über zwei Vokalprojekte, die das Grazer Saisonfinale aufputzen. „Da ist einmal das Gastspiel von Sabine Devieilhe, die für mich eine der schönsten Stimmen unserer Zeit besitzt und die eine Hommage an Wien gestaltet hat — mit Musik von Mozart, Richard Strauss und Hugo Wolf.“ Und nun folgt, apropos Hommage an Wien, ein besonderes Projekt, an dem nicht nur Grazer Musikfreunde interessiert sein dürften, sondern auch Verächter des sogenannten Regietheaters: „Wir bringen am 29. Juni eine ,Fledermaus'“, sagt Michael Nemeth, „und zwar halbszenisch. Michael Kraus, der selbst den Gefängnisdirektor Frank singen wird, hat eine Spielfassung erarbeitet, die wir im Stefaniensaal mit projizierten Bühnenbildern zeigen werden.“

Projiziert werden nicht irgendwelche Bühnenbilder, sondern jene der Uraufführung, die 1874 im Theater an der Wien stattfand. Die Entwürfe dazu sind im Theatermuseum im Palais Lobkowitz erhalten geblieben. Was die Besetzung betrifft, meint der Intendant: „Wir wollen spannende Debüts ermöglichen. Die wichtigsten sind Mauro Peter als Eisenstein und Christiane Karg als Rosalinde. Und Michael Schade als Prinz Orlofsky. Der freut sich riesig darauf. Er hat mir gesagt, er habe das Gefühl, das könnte in Zukunft öfter seine Rolle sein.“ Mit von der Partie auch zwei herausragende junge Stimmen aus Österreich: Miriam Kutrowatz als Adele und Liviu Holender als Doktor Falke.

Gespielt wird übrigens die gesamte Urfassung der Operette. „Auch die Ballettmusik“ ist Michael Nemeth wichtig: „Die enthält nämlich sieben Minuten Tanzmusik von höchster Virtuosität und wird in der Praxis meist durch eine Schnellpolka, zum Beispiel ,Unter Donner und Blitz‘, ersetzt. Ich finde das schade, denn Johann Strauß war stolz auf seine Ballettmusik und auf dem Programmzettel der Uraufführung stand sogar detailliert, welche Tänze da zu sehen sein würden.“

Die Grazer Aufführung dürfte also auch für Strauß-Kenner zum Pilgerziel werden. Das RSO Wien musiziert unter der Leitung von Emmanuel Tjeknavorian, den Nemeth „für einen der talentiertesten jungen Dirigenten unserer Zeit“ hält, der vom Grazer Musikverein auch kommende Saison wieder „Carte blanche“ erhalten wird.

Haydn-Feste mit Adam Fischer

Für die Saisoneröffnungen der kommenden drei Jahre hat Nemeth dann jeweils ein kleines Haydn-Festival parat, das von Adam Fischer geleitet wird. „Er hat ja seine Karriere in Graz begonnen“, erinnert Nemeth an die legendäre Amtszeit seines Vaters, Carl Nemeth, als Direktor des Grazer Opernhauses.

Er selbst leitet den „Musikverein für Steiermark“ seit 2008. „In dieser nicht ganz kurzen Zeit haben wir mehr als 1000 Konzerte veranstaltet“, bilanziert der Intendant. Die Routine, die man dabei erworben hatte, kam dem Team um Nemeth in Zeiten der Pandemie zugute: „Wir hatten nicht so große Schwierigkeiten, unsere Konzerte wieder gut zu verkaufen, wie man das von vielen Veranstaltern rundum hören konnte. Vielleicht lag das daran“, sagt er, „dass wir auch während Corona unser Publikum laufend informiert haben — nach dem Motto: Was wäre jetzt gerade gewesen; und: Wir hoffen, dass es im kommenden Monat wieder weitergehen wird. Wir haben uns sozusagen auf allen Kommunikationskanälen durchgehantelt.“

Die Pandemmie und die Rezession

An den ersten Spieltag nach dem großen Lockdown erinnert sich Michael Nemeth noch ganz genau: „Das war wirklich denkwürdig. Der 19. Mai 2021 war der erste Öffnungstag. Da hatten wir regulär ein Solistenkonzert mit Julian Rachlin im Abonnement. Es war von Anfang an im Jahresplan angekündigt. Julian hat mich damals angerufen: ,Was machen wir? Kommt da irgendwer hin?‘ Wir hatten ja unser Publikum informiert — und die Karten waren ausgegeben. Da gab es dann verständlicherweise ein paar Vorsichtige, die sich noch nicht in einen Konzertsaal getraut haben, aber die Lust am Live-Genuss war offenbar stärker. Das Konzert war voll. Und was die aktuelle Saison betrifft, die gerade zu Ende geht: Wir freuen uns über ein Rekordhoch an Einnahmen! Das ist die gute Nachricht.“

Und die schlechte? „Wir spüren natürlich die Teuerung. Das wirkt sich täglich aus: Miete, Strom, Energie, die Druckkosten. Wir produzieren ja Zigtausende von Programmheften Jahr für Jahr. Was die Inflation betrifft, wäre es schön, wenn es einen gewissen Teuerungsausgleich gäbe. Zum Beispiel einen Fonds für die Kulturszene. Wir können ja nichts dafür! Wir nehmen 80 Prozent unseres Budgets ein, vor allem durch den Kartenverkauf. An der Qualität können wir nicht sparen. Sonst kommen unsere Abonnenten nicht mehr!“