Bruckner, atemberaubend!

Ab heute (19.30) eine Woche lang auf der Ö1-Plattform online abrufbar: Die Aufzeichnung eines Konzerts des RSO Wien unter Markus Poschner: eine Hommage an Friedrich Cerha, ein neues Werk und – vor allem – eine mitreißende Wiedergabe von Anton Bruckners Fünfter Symphonie. Die sollte man gehört haben.

Die Rezension des Konzerts

Unter Markus Poschner demonstrierte das ORF-Orchester eindrucksvoll seine Bedeutung. Einer Erinnerung an Friedrich Cerha folgte mit einer Erstaufführung der Beweis, wie sattelfest man auf dem Avantgarde-Parkett ist. Und mit Bruckner eine interpretatorische Sternstunde.

Zu Beginn, in memoriam Friedrich Cerha, dessen von Echowirkungen und behutsamen Reaktionsspielen durchzogene „Situation I“, die hören ließ, welche Souveränität das RSO Wien im Umgang mit zeitgenössischer Musik erreicht hat. Es spielt auch Musik, die gar nichts mit den althergebrachten klassischen Strukturen zu schaffen hat, als wäre das völlig selbstverständlich. In Wahrheit ist natürlich das Gegenteil der Fall. So freut man sich, das RSO in der Stadt zu wissen, die international mit ihrem Image als Musikmetropole renommiert.

Solang der ORF nicht auf die Idee kommt, in Krisenzeiten wieder einmal den Erhalt dieses Orchesters infrage zu stellen, darf Österreich auch weiterhin sein Kulturfähnchen hoch halten. Selbstverständlich ist es zuerst einmal die Aufgabe eines öffentlich rechtlichen Rundfunks, Kulturprojekte, die anders keine Chance auf Realisierung haben, nicht nur zu senden und zu archivieren, sondern vor allem: zu produzieren.

NOVITÄT VON MARK ANDRE

Ohne Orchester geht das nicht auf einem dem Status dieses Landes angemessenen Niveau. Das RSO, das bewies der jüngste Abend im Goldenen Saal, nutzt seine Kompetenz ja sozusagen in beiden Richtungen. In die Zukunft etwa mit Erstaufführungen von Werken Mark Andres, der im Musikverein gerade „im Fokus“ steht. Der eingeschobene Cerha rückte den Fokus aufmerksamer Hörer gleich zurecht: Andre, Anfang der Sechzigerjahre geboren, zieht offenbar seine Schlüsse aus dem, was der Wiener Avantgardemeister just um 1960 herum erfunden hatte: Der frühen Klangmalerei scheint Andres Musik nachzulauschen. Doch, anders als bei Cerha, findet das Publikum hier keine Möglichkeiten, aus den aus der Stille auftauchenden und wieder verlöschenden Klängen Schlüsse zu ziehen.

SOLIST: ILYA GRINGOLTS

Keine Analogien, Reaktionen, Echos oder Erinnerungen. Es ächzt, stöhnt, raunt, rauscht und wabert nahe der Hörschwelle, oft darunter. Und das Auditorium hält erstaunlich lang still, applaudierte hernach den Musikern und dem Geiger Ilya Gringolts freundlich. Der nutzte seine Virtuosität diesmal nicht zu leuchtenden Melodiebögen oder dramatisch akzentuierter Attacke, sondern demonstrierte ein scheinbar unversiegliches Kompendium an Möglichkeiten, seinem Instrument Geräusche und Klänge zu entlocken; ein Bravourakt auch das.

Atemberaubendes Bruckner-Erlebnis

Die Kunst des RSO, sich von außerordentlichen Aufgaben nicht abschrecken zu lassen, strahlt freilich auch zurück in die große Vergangenheit. Nach der Pause ereignete sich eine atemberaubende Aufführung von Bruckners Fünfter, die das Orchester unter Poschner soeben für CD eingespielt hat. Auch das eine der noblen Aufgaben dieser Musiker die sich mit dem Bruckner-Orchester in die Gesamtaufnahme sämtlicher Fassungen der Bruckner-Symphonien teilen.

Markus Poschner ist der rechte Mann für diese Tat zum Jubiläumsjahr 2024. Das RSO ließ sich von ihm zu einer hoch dramatischen Wiedergabe hinreißen. Wunderbar fließend (auch in den Tempi!), in allen Stimmen beweglich und dynamisch wurde das kontrapunktische Geflecht durchhörbar – und zwar bis hin in die komplexe Fugenstruktur des Finalsatzes. Selbst dort, wo Bruckner schon pointillistische Klangabenteuer der Moderne vorwegzunehmen scheint, waren noch klar einzelne Motivstränge nachvollziehbar. Die Meisterleistung, geballt, wuchtig, in weiten Bögen strömend, wurde nach dem überwältigenden Schlusschoral auch herzlich bedankt.

Zum »Mitlesen«: Informationen zu Bruckners Fünfter Symphonie