Markus Poschner nutzt seine Chance

Wenn der Chef grad nicht da ist

Die Symphoniker absolvierten ihr traditionelles TV-Osterkonzert unter Ausnahmebedingungen nach Verlust ihres Chefdirigenten dank Einspringer Markus Poschner fabelhaft. Der ORF ruinierte den Eindruck durch Werbespots für uniforme Satellitenstädte und die Müllabfuhr.

Die gute Nachricht zuerst. Es war ein Husarenstück, das Markus Poschner, der Linzer Generalmusikdirektor, gewagt hat: Die Wiener Symphoniker hatten wenige Tage vor ihrem traditionellen österlichen Renommierkonzert im Musikverein ihren Chefdirigenten (Andres Orozco-Estrada) verloren. Die Gründe dafür mag man post festum diskutieren – oder auch nicht. Es gilt, nach vorn zu blicken. Das hieß in kürzester Perspektive: Für das seit Jahr und Tag im Fersehen übertragene Musikverein-Konzert „Frühling in Wien“ musste Ersatz gefunden werden.

Und das war doppelt schwierig. Nicht nur, weil kaum Zeit zur Besinnung blieb. Es ging nicht darum, eine Mahler- oder Tschaikowsky-Symphonie zum x-ten Mal zu spielen, sondern darum, ein rund um Musik des „Wiener Bürger“-Komponisten Carl Michael Ziehrer arrangiertes Programm als veritable Ehrenrettung eines Komponisten zu gestalten, der die akustische Visitenkarte dieser Stadt entscheidend mitgeprägt hat.

Dass Markus Poschner zur Verfügung stand, entpuppte sich als rarer Glücksfall. Der geborene Münchner versteht sich auf den Ländlerton, dem der Wiener Walzer einst entsprungen ist. Aber noch viel mehr versteht er sich auf die orchestrale Psychologie, die ihm suggeriert, wo die Wiener Musiker von selbst wissen, wie eine Phrase zu modellieren ist. Poschner hat in den für das wienerische Idiom entscheidenden Momenten nicht dirigiert. Und damit die vielfach vorgebrachte These, ein Orchester brauche für Walzer und Polkas gar keinen Dirigenten, Lügen gestraft. Es braucht einen Mann am Pult, der dort agiert, wo ein klarer Auftakt, ein Signal für eine knappe, aber gemeinsam zu absolvierende Verzögerung nötig sind.

Das hatte Poschner durchschaut, und die Symphoniker gingen auf das Spiel dankbar ein. „Hereinspaziert!“ heißt eine der bekanntesten Ziehrer-Kompositionen, eines jener Stücke, die jeder mit Wien assoziiert, von denen aber kaum jemand weiß, wer sie geschrieben hat. Jetzt wissen es dank des „Frühling“-Konzerts viele.

Optische Tristesse der Stadt Wien

Das war einer der vielen guten Effekte dieses Musikverein- und Fernsehabends. Ein weiterer: Mit dem persisch-stämmigen Cellisten Kian Soltani gab man sich zwischendurch auch weltoffen und steckte das Revier mit den polystilistischen Klängen dreier Sätze aus Friedrich Guldas Cellokonzert weit zwischen Jazz und ostösterreichischen Jahrmarktsklängen ab. Soltani hätte bei Letzteren gut daran getan, sich von den Klarinettenterzen der Symphoniker ein wenig Geschmeidigkeit abzulauschen. Aber sein klanglich sonor austarierter, seidig schimmernder Celloton betörte durchwegs auch dank blitzsauberer Intonation – und verfehlte wohl mit der Zugabe, dem Arrangement eines ukrainischen Volkslieds, die beabsichtigte aktuell-tröstliche Wirkung nicht.

Dass der Abend nicht mit der besten „Fledermaus“-Suite aller Zeiten, der von Johann Strauß selbst arrangierten Ouvertüre, sondern mit einer längeren, nicht gerade virtuos eingerichteten Melodienfolge aus der Operette zu Ende ging, würde man kritischer anmerken, hätte einen nicht zuvor schon die optische Instinktlosigkeit der TV-Übertragung in Rage gebracht: Es ist dem ORF gelungen, den Eindruck von einem musikalisch exzellenten Konzert durch optische „Einlagen“ vollkommen zu ruinieren. Gewiss, die üblichen lieblichen Wachau-Bilder kennt man schon zur Genüge. Aber ob der Anblick architektonischer Seestadt-Trostlosigkeit, Alberner-Hafen-Impressionen und ein „Ballett“ von Müllwagen der MA48 neue Touristenströme anlocken können?