für Katrin
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Gruß an Georg!
Georges Pretre
Der Monsieur 100.000 Volt unter den Dirigenten
Er war der elektrisierendste Maestro seiner Zeit. Nicht unschwierig dabei: Nur als Erster Gastdirigent der Wiener Symphoniker hielt er es über eine längere Strecke aus. Doch seine Konzerte sind dem Publikum in lebhafter Erinnerung. Wenn dieser Mann am Pult stand, dann garantierte das Hochspannung – ganz gleich, bei welchem Repertoire.
Georges Pretre weiterlesenStrauss: Intermezzo
Intermezzo
Text und Musik: Richard Strauss (1923)
Hofmannsthal und Herman Bahr winkten ab, so dichtete Richard Strauss den Text zu seiner »Home-Opera« selbst.
Der Briefwechsel zwischen Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal ist voll mit Ermahnungen des Komponisten, der die Suche nach Komödienstoffen und einen leichten Buffo-Tonfall einfordert. Was dem Komponisten vorschwebte, hatte der Dichter nur einmal wirklich realisiert: im nachgelieferten Vorspiel zu Ariadne auf Naxos. Die Mixtur aus Rezitativ und ariosen Einschüben, sogar mit Sprechtexten für einen Schauspieler durchsetzt, schien Strauss vorzüglich gelungen.
Der theatralische Ehekrach
Nun versuchte er, diesen Stil auf einen ganzen Opernabend auszudehnen und befand, sein eigenes Leben sei spannend genug, um ein Musiktheater-Publikum interessieren zu können. Die kapriziöse Ehefrau Pauline hatte ja auch Hofmannsthal als Vorbild für die Färbersfrau in der Frau ohne Schatten genannt. Und Strauss hatte sie als Des Helden Gefährtin schon 1898 in der Tondichtung Ein Heldenleben verewigt. Kurz nach der Jahrhundertwende hatte er sein Familienleben bereits in der Sinfonia domestica zum Klingen gebracht.
Nun fungierte ein – tatsächlich stattgefundener – Ehestreit im Hause Strauss als Ideenbringer für eine Opernhandlung, die in späteren Zeiten eine gute Folge für eine TV-Hauptabend-Komödie hergegeben hätte. Die Opernwelt wollte von solchen realistischen bürgerlichen Selbstbespiegelungen inklusive Rodelbahn auf der Bühne nicht viel wissen. überdies schien der Konversationsstil, den Strauss den Gesangstimmen verordnete doch seine melodische Erfindungsgabe ein wenig gebremst zu haben. Der Komponist selbst hat ihn in späteren Werken nur passagenweise angewendet und erst in seinem Capriccio wieder darauf zurückgegriffen, um ihn mit der Formenwelt der alten Nummernoper zu vermengen.
Symphonische Zwischenspiele
Im Intermezzo setzt die Partitur durchwegs eher auf kleinteilige Charakterisierungskunst als auf große Vokallinie, von den Monologen der Ehefrau Christine und einem grüblerischen Selbstgespräch des verzweifelten, zu Unrecht der Untreue bezichtigten Kapellmeisters Storch bei Gewitter und Sturm in den Praterauen abgesehen.
So blieb Intermezzo ein Stück für geeichte Strauss-Verehrer, die freilich manche Köstlichkeiten in dem Werk entdecken können, die komponierten Kartenpartie am Beginn des zweiten Aktes etwa oder – vor allem – die großen Zwischenspiele, die von einer Szene zur andern überleiten; hier nimmt sich der Symphoniker Strauss Zeit, die Geschichte in Tönen auszuerzählen.


Daß das eine vergnüglich-besinnliche Angelegenheit sein kann, beweisen die wenigen, aber durchwegs künstlerisch hochwertigen Livemitschnitte und Studioproduktion. In Wien fand zum Strauss-Jahr 1964 eine Neuinszenierung im Theater an der Wien mit Hanny Steffek und Hermann Prey statt, die Joseph Keilberth am Pult liebevoll betreute.

In Glyndebourne sang – für das Konversationsstück folgerichtig auf Englisch – 1974 Elisabeth Söderström die weibliche Hauptrolle wunderschön. Und Wolfgang Sawallisch hat mit Lucia Popp und Dietrich Fischer-Dieskau eine fein geschliffene Studioversion des Stücks für EMI realisiert . Da wird Intermezzo zu einem durchaus amüsant-hintergründigem Hörspiel mit Musik.

Wer die Handlung auch sehen möchte, findet im Netz gewiß den → TV-Mitschnitt der von Joseph Keilberth glänzend dirigierten Münchner Produktion von 1963 (wiederum mit Hanny Steffek und Hermann Prey). Damals hatte man noch den Mut, die szenischen Anweisungen des Komponisten wirklich auf Punkt und Komma umzusetzen – also wird bei Rudolf Hartmann – in einem Bühnenbild von Jean-Pierre Ponnelle! – wirklich gerodelt…
Das Léner Quartett
Gegründet im Jahr 1918 in Budapest, wurde das – später in London beheimatete – Léner (oder Lehner-)Quartett zu einem der berühmteste Kammermusik-Ensembles der frühen Schallplatten-Geschichte. In Schallack-Zeiten nahm das Ensemble ab 1923 mehr als 200 Schellack-Platten auf, darunter von besonderer musikhistorischer Bedeutung: Die erste Gesamtaufnahme der Streichquartette Ludwig van Beethovens.
Das Léner Quartett weiterlesenIsolde Ahlgrimm
1914 – 1995
Schon während ihrer Ausbildung an der Wiener Akademie (bei Emil von Sauer und Franz Schmidt) wandte sich die Pianistin dem Cembalo zu, dem sie seit 1937 ausschließlich treu blieb. Damit wurde sie Seite an Seite mit ihrem Mann, Erich Fiala, einem kundigen Sammler alter Instrumente, zu einer Pionierin der Beschäftigung mit barocker und vorbarocker Musik, was in jenen Jahren noch als exotisch galt.
Ahlgrimm lehrte nach 1945 an der Akademie (der späteren Musik-Universität) in Wien – mit einem Intermezzo, das sie von 1958 bis 1962 ans Salzburger Mozarteum führte.
Ihr Erbe an Tonaufnahmen ist ungemein fruchtbar. Sie spielte im Zuge von zyklischen Gesamtaufführungen in Wien unter anderem das Gesamtwerk Johann Sebastian Bachs für Cembalo ein.
In Sachen Bach war Ahlgrimm eine der ersten, die darauf bestanden, → Die Kunst der Fuge auf Cembalo aufzuführen.
Vor allem machte sie sich aber für in ihrer Zeit noch völlig unbekannte Musik für Tasteninstrumente aus dem Barock stark. Manches von Komponisten wie Sweelinck, Frescobaldi, nicht zuletzt aber in Österreich tätigen Meistern wie Muffat oder Poglietti entriß sie durch ihre Aufnahmetätigkeit der Vergessenheit.
Mit Alice und Nikolaus Harnoncourt nahm Ahlgrimm in den Fünfzigerjahre unter anderem auch Bachs Musikalisches Opfer auf. Die Aufnahme wurde von französischen Nationalbibliothek digitalisiert.
Isolde Ahlgrimms Aufnahme der Händel-Suiten
DIE BERNAUERIN
Ein wahrhaft „bairisches Stück“
Eine Oper ist es nicht. Sprechtheater im klassischen Sinne auch nicht. Eher ein Stück für zwei bedeutende Schauspieler mit kräftig-melodramatischer Musikuntermalung, Ein musiktheatralisches Zwitterwesen also.
Der Untertitel, „bairisches Stück” verrät schon, dass Carl Orff hier eine Kunstsprache konstruiert hat, um seinen Figuren, die mehrheitlich von Schauspielern dargestellt werden, auch in verbaler Hinsicht ein adäquates „klangliches” Umfeld zu gestalten. Die Sprache soll so bodenständig derb und hemdsärmelig tönen wie die pulsiernde, oft stampfende Orchesteruntermalung zu Bierstuben-Dumpfheit, unflätig laszivier Badstubenszene oder zur unzügelbaren Eigendynamik einer veritablen Volksaufwiegelung: Die bitterbös-gemeine Szene der Hexen, in der die Hinrichtung der Agnes Bernauer durch Ertränken im Fluß hämisch-lüstern kommentiert wird, galt seit der Uraufführung als einer der Höhepunkt Orffscher Theatralik. Wohl gerade weil diese „Hexen“ Sinnbilder für den ganz normalen Volks-Geifer darstellen.
Die Hauptdarsteller sind eine hübsche Baderstochter aus Augsburg und ihr Geliebter, der Herzogssohn, dessen Vater die Beziehung nicht goutiert und der jungen Frau nach dem Leben trachtet. Die Bernauerin schwebt bei entsprechend sensibler Darstellung fast unwirklich durchs Hurenhaus, wie ein Englein, in einer ihm nicht geheuren Mission auf Erden. Wenn der Herzogssohn ihr von blühenden Wiesen singt und irreale Zukunftsvisionen entwirft, scheint sie sich ahnungsvoll in vertrautere Gefilde zu träumen, und wenn sie in Todesangst der „Himmelsmuatta” eine „Honigkerzen” zu stiften verspricht, öffnet sich ihre Seele ganz.
Das taugt zu berührendem Bühnenspiel wie der verzweifelte Wutausbruch des jungen Liebhabers gegen den aus Standesdünkel zum Mörder gewordenen Herzog: „Ein Vattern hab i nit mehr“ – eine gewaltige Sprecharie, deren Poesie in ein unausweichliches emotinales Crescendo münden muß. Wenn auch hier die Musik schweigt, müssen musikalische Schauspieler am Werk sein, um den rechten Ton und die rechten dynamischen Differenzierungen zu treffen. Das gilt auch für die Rolle des eifernden Mönchs, der die Bürger verhetzen und die unstandesgemäße Herzogsbraut als Hexe vernadern muss: Nicht nur in der Hexenszene steckt beängstigendes Ausdruckspotential.Rein musikalisch bestehen muss nur ein lyrischer Tenor, der während der Liebesnacht hinter der Szene lyrischen Pianoschmelz verströmen muss.
Klaviersonate Nr. 4
Sonate c-Moll
- Allegro molto sostenuto
- Andante assai
- Allegro con brio, ma non leggiero
Die Sonate Nr. 4 ist die letzte der Jugendsonaten Prokofieffs und greift wie die drei Vorgängerwerke auf frühe Entwürfe zurück, die der reifende Komponist nach zehn Jahren überarbeitet und formal zielsicher umgestaltete. Das Werk ist dreisätzig und von elegisch-düsterer Grundstimmung.
Das einleitende Allegro stammt aus einer 1907/08 entstandenen Jugend-Sonate, die Prokofieff in seinem Kovolut »Aus alten Heften« gesammelt hatte.
Der Mittesatz ist eine stark überarbeitete Fassung eines Satzes aus dem Entwurf zu einer Symphonie in e-Moll und zeigt in der in einem großen Bogen atmenden Neugestaltung die innere Festigung von Prokofieffs Stil.
Das Finale ist von enormer Kraft, beinah verspielt in seinen akrobatischen Dialogen zwischen unterschiedlichen klassischen Bewegungsmodellen – die den Hörer immer wieder zu Fehlschlüssen verleiten: Die Musik hat, wiewohl freundlicher als in den ersten beiden Sätzen, spürbar einen doppelten Boden.
Die ersten Menschen
1912
Rudi Stephan – Otto Borngräber

Otto Borngräber hatte dem deutschen Establishment der Zeit um 1900 nicht nur als enragierter Pazifist (Friedensappell an die Völker) und Autor des präzis zur Jahrhundertwende publizierten Dramas Das neue Jahrhundert als Querdenker Nüsse zu knacken aufgegeben. 1908 brachte er mit dem Drama Die ersten Menschen eine theatralische Aufbereitung der Geschichte von Adam, Eva, Kain und Abel heraus, die ganz im expressionistischen Stil der Zeit unverhohlen sexuelle Triebkräfte der alttestamentarischen Handlung aufzeigt — das ausdrücklich als »Erotisches Mysterium« bezeichnete Stück wurde nach seiner Münchner Uraufführung, 1912, sofort für das gesamte Königreich Bayern verboten.
Doch war der jugendliche Komponist → Rudi Stephan von dem Sujet fasziniert. Er hatte den 13 Jahre älteren Borngräber 1909 anläßlich des Tonkünstlerfestes des Allgemeinen Deutschen Musik-Vereins in Stuttgart kennengelernt.
Doch der Autor war an einer Zusammenarbeit mit dem damals völlig unbekannten jungen Musiker nicht interessiert. Die erotischen Konnotationen seines Dramas ließen ihn hoffen, daß einer der führenden Musikdramatiker jener Ära, allen voran Richard Strauss, sich für den Text interessieren könnten. Borngräber trieb daher seine Honorarforderungen in unerschwingliche Höhen. Selbst der potente Vater des Komponisten, Dr. Karl Stephan, mußte passen. Er unterzeichnete aber letztendlich einen Vertrag auf sofortige Zahlung von 6.000 Reichsmark, der am Uraufführungstag weitere 4.000 Reichsmark folgen sollten. Die Tantiemen für Borngräber sahen einen für Librettisten ungewohnt hohen Berechnungsschlüssel vor.
Zu diesem Zeitpunkt hatte Stephan längst zu komponieren begonnen, und das, obwohl selbst vom Schott-Verlag warnende Stimmen kamen:
ieser Stoff zieht selbst die himmlischste Musik mit sich in den Abgrund.
Stephan unterbrach die Arbeit an der Oper freilich nur zur Fertigstellung der Musik für Geige und Orchester und der Musik für Orchester.
Die ersten Menschen waren im Sommer 1914 vollendet, kurz nachdem ein Vorvertrag für die Uraufführung mit der Frankfurter Oper unterzeichnet war. Schott wollte das Aufführungsmaterial herstellen und im Falle des Erfolgs ins Verlagsprogramm aufnehmen. Dann kam der Weltkrieg — die Aufführungschancen für eine Oper aus der Feder eines nach wie vor kaum bekannten Komponisten sanken gegen null.
Der Pazifist Borngräber war längst in die Schweiz emigriert. Er starb 1916 in Lugano. Rudi Stephan mußte seinen Militärdienst antreten und fiel 1915 an der russischen Front in der Nähe des galizischen Tarnopol. Seine Oper kam am 1. Juli 1920 in Frankfurt zur Uraufführung. Der Freund Stephans aus Wormser Jugendtagen, Karl Holl, erstellte später eine Fassung derErsten Menschen, die um einige der »anstößigsten« Passagen des Textes bereinigt, eine weitere Verbreitung sicherstellen sollte. Diese Fassung wurde erstmals 1924 in Münster gespielt und erlebte an die 30 weiteren Einstudierungen bis in die Fünfzigerjahre.

Erster Akt
Nach dem Sündenfall. Adahm muß im Schweiße seines Angesichts sein Brot verdienen. Seine Frau Chawa und Söhne Kajin und Chabel träumen vom verlorenen Paradies, Chawa sehnt sich danach, von Adahm wieder körperlich begehrt zu werden. Kajin entdeckt im Anblick seiner Mutter seine sexuellen Triebe. Die Mutter wendet sich entsetzt von ihm ab. Der heimkehrende Chabel bringt mit seiner Vision eines gütig-allmächtigen Gottes Trost.
Zweiter Akt
Chabel beobachtet Chawa, die nachts vor dem Opferstein ekstatisch darum fleht, wieder von ihrem Mann begehrt zu werden. Kajin schleicht herbei und erkennt, wie begierig der Bruder die Mutter betrachtet. Eifersüchtig stürzt er sich auf Chabel und erschlägt ih.
Chawa verflucht den mörderischen Sohn. Adahm kann sie daran hindern, Kajin zu töten. Der Sohn flieht. Das Paar preist die Heraufkunft des neuen Tages als Symbol der Hoffnung auf eine kommende, bessere Welt.


Eine beeindruckende Wiedergabe des Werks entstand 1998 mit Gabriela Maria Ronge und Sigmund Nimsgern als Adam und Eva anläßlich einer konzertanten Live-Aufführung im Konzerthaus Berlin unter Karl-Anton Rickenbacher. (cpo)
Die früheste Aufnahme entstand 1952 in Frankfurt unter Wilfried Zillig mit Erna Schlüter und Ferdinand Frantz. (classical moments)
Berg »Lulu« – Die Musik
Dramaturgie und Form
An Stlle einer Ouvertüre steht in »Lulu« der PROLOG des Tierbändigers. Er wird vor vor dem Vorhang gesungen und versetzt uns in die Atmosphäre eines Zirkus.
Musikalisch gesehen fungiert dieses Vorspiel als »Exposition« der wichtigsten Motive, die jeweils erklingen, wenn der Dompteur die vom Tierbändiger vorgestellten »Tiere« seiner »Menagerie« vorführt. Lulu erscheint als »Schlange«. die »Urgestalt des Weibes«.
Vorstellung der Themen und Motive
Im Ersten Bild erleben wir die Dialoge zwischen dem Maler, Dr. Schön und dessen Sohn Alwa, die zugegen sind, während Lulu im Pierrot-Kostüm Modell steht. Als sich die beiden Besucher entfernt haben, beginnt der Maler Lulu nachzustellen.
»Poco Adagio« – Duett (Kanon)
Lulus Gatte, der Medizinalrat, ertappt die beiden in flagranti und erleidet einen Herzinfarkt. An der Leiche singt Lulu einen Monolog in liedhafter Form.
»Canzonetta«
Zweites Bild. Lulu ist die Frau des Malers geworden, der sich vor Aufträgen kaum noch retten kann, seit ihn das Pierrot-Bild Lulus – und massive Unterstützung durch den Zeitungsverleger Dr. Schön – berühmt gemacht haben.
Duett Lulu/Maler in 2 Strophen
Der Maler ahnte weder etwas von Lulus Beziehung zu Dr. Schön, noch von ihrem Vorleben, dessen Verkörperiung in Gestalt des greisen Schigolch erscheint, der als Landstreicher kommt, um Geld zu bitten.
Schigolch sind schleichende chromatische Motive zugeteilt, die Berg auf wechselnde kammermusikalische Ensembles verteilt.
Dr. Schön erscheint und bittet Lulu, ihn freizugeben. Er möchte sich mit einer Frau aus der bürgerlichen Gesellschaft verloben. Lulu geht verstört ab.
Dem Dialog unterlegt Berg den Beginn eines langsamen Satzes in Sonatensatzform. Mit Lulus Abgang bricht die Musik jäh ab – sie wird am Ende des Ersten Akts fortgesetzt – und erklingt am Schluß der Oper als »Reprise« noch einmal, um den formalen Prozeß abzurunden.
Als der Maler erscheint, klärt Schön ihn über die wahren Sachverhalte auf. ihn endlich freizugeben. Jäh aus seinem Traum gerissen, verbarrikadiert sich der Betrogene im Badezimmer und begeht Selbstmord.
Berg erfand für diesen Dialog die Form der »Monoritmica« – ein und derselbe Rhythmus entfaltet sich vom Pianissimo (Grave) in dynamischer Steigerung zu rasender Fortissimo-Bewegung und wieder zurück.
Das dritte Bild spielt in der Theatergarderobe.
Hinter der Szene spielt die Band Rag Time und English Waltz
Ein exotischer Prinz erscheint und macht Lulu einen Heiratsantrag.
Choral, vom Cellosolo konzertant umspielt
Lulu sollte in einer von Alwa komponierten Revue die Hauptrolle tanzen, simuliert aber kurz nach ihrem Auftritt einen Ohnmachtsanfall, als sie die Dr. Schön mit seiner Braut in einer Loge entdeckt.
Großes Ensemble
Lulu droht Dr. Schön, mit dem Prinzen nach Afrika zu gehen. Schön, der einsieht, daß er sich von Lulu nicht zu lösen vermag, schreibt den Abschiedsbrief an seine Braut, den ihm Lulu triumphierend diktiert.
Fortsetzung von Dr. Schöns »Sonate« aus dem 2. Bild
ZWEITER AKT
Viertes Bild. Großer Saal im Hause Dr. Schöns. Lulu ist seine Frau geworden. Ihre gesamte Umgebung ist liebestoll nach ihr: Der Diener, Rodrigo, ein Athlet und Freund Schigolchs, ein junger Gymnasiast, die lesbische Gräfin Geschwitz und Alwa, der nun Lulus Stiefsohn geworden ist.
Im großen Rezitativ erscheinen die Motive der einzelnen Figuren jeweils klar getrennt: Gräfiin Geschwitz gehören die pentatonischen Tonfolgen, dem Gymnasiasten Fanfarenklänge, dem Athleten plumpe Klavier-Cluster, Schigolch die Chromatik.
Dr. Schön überrascht Lulu im zärtlichen Dialog mit Alwa.
Ein lyrisches »Rondo« (das im folgenden Bild fortgesetzt wird)
Dr. Schön drückt ihr im heftigen Streit einen Revolver in die Hand.
»Arie« in fünf Strophen, vor der letzten Strophe: »Lied der Lulu«
Statt sich selbst zu richten, tötet Lulu Dr. Schön.
Im Moment des Todes erklingt das einzige Mal in der Oper die zugrundliegend Zwölftonreihe »nackt«, ohne Begleitung im Unisono der Bläser.

Nach Dr. Schöns Tod singt Lulu eine kurze »Ariette« – Gegenstück zur »Canzonetta« im ersten Akt.
Als die Polizei erscheint, um Lulu zu verhaften, fällt der Vorhang. Im folgenden
ZWISCHENSPIEL (»OSTINATO«)
wünschte Berg ausdrücklich einen Film abgespielt, der die von der Musik illustrierte Handlung zeigen sollte – und zwar sollte der Stummfilm formal ähnlich akribisch gearbeitet sein wie das musikalische Zwischenspiel, das sich zu einem Scheitelpunkt hin entwickelt und dann streng rückläufig im Krebsgang wieder »zurückgespult« wird.
Wie die musikalischen Motive und Themen sollten sich auch die optischen Signale des Films entsprechen: Verhaftung Lulus – Untersuchungshaft – Prozeß – Gefängnis (ein Jahr Haft) dann rückläufig: Ärzte-Konsilium – Isolierbarocke, Befreiung, wie es im folgenden Bild erzählt wird. Selbst Details wie Patronen – Phiolen, Ketten – Bandagen, Gefängniskleider – Spitalskittel sollten einander symmetrisch entsprechen.
Fünftes Bild: Lulu ist von der Gräfin Geschwitz auf abenteuerliche Weise aus dem Kerker befreit worden. Als Mörderin des Doktor Schön muß sie nun aber das Land verlassen. Denn der Schwindel – Gräfin Geschwitz hat mit Lulu, die an der Cholera erkrankte, im Lazarett die Rollen getauscht – fliegt auf. Schigolch, nachdem er mit List die umherschwirrenden Verehrer vom Gymnaisasten bis zum Athleten verscheuchen konnte besorgt die Schlafwagenbillette nach Paris. Alwa und Lulu nehmen ihre unterbrochene »Liebesszene« wieder auf.
Die Fortsetzung von Alwas »Rondo«, mündet in eine leidenschaftliche »Hymne« auf die Schönheit Lulus.
Die »Symphonischen Stücke«
- 1. Rondo. Andante und Hymne
- 2. Ostinato. Allegro
- 3. Lied der Lulu. Comodo
- 4. Variationen. Moderato
- Grandioso – Grazioso – Funèbre – Affettuoso – Thema
- 5. Adagio.
- Sostento – Lento – Grave
Die von Berg zusammengestellten »Symphonischen Stücke aus der Oper Lulu«, irreführend meist »Lulu-Suite« genannt, 1934 von Erich Kleiber in Berlin uraufgeführt, beginnen mit diesem symphonischen »Rondo« des Alwa unter Eliminierung der Singstimmen. In der Suite folgen darauf das »Ostinato«-Zwischenspiel, das »Lied der Lulu« (mit Sopransolo) sowie das von Berg extra zu diesem Zweck vollendete und instrumentierte Zwischenspiel, das im Dritten Akt das Paris- mit dem London-Bild verbindet: »Variationen« über ein Lautenlied von Wedekind, die den skuzessiven Abstieg der jungen Frau zur Straßendirne nachzeichnen und von fröhlichem Überschwang in tiefe Tragik münden). Der letzte Satz der »symphonischen Stücke« ist identisch mit dem Schluß der Oper, wiederum unter Eliminierung der Singstimmen. Dieses große »Adagio« nimmt die Musik der Sonate des Dr. Schön wieder auf – Berg hat diese Passage der Oper für die Uraufführung der »Symphonischen Stücke« vorab orchestriert, ehe noch die gesamte Komposition vollendet war.
Die Instrumentation und einige Dialog-Passagen des Dritten Akts konnte Berg nicht mehr vollenden. Seine Witwe Helene, die zunächst noch versucht hatte, Komponisten wie Schönberg oder Winfried Zillig zu gewinnen, das Stück spielbar zu machen, verbot zuletzt die Einsicht in die Skizzenblätter. So kam »Lulu« als Torso zur Uraufführung. Nach dem zweiten Akt spielte man die von Berg vollendeten Passaten des Dritten Akts aus den »Symphonischen Stücken«, zunächst bei geschlossenem Vorhang die »Variationen«, zuletzt – mit pantomimischer Drastellung des Mords an Lulu durch Jack the Ripper – das »Adagio«. Von hinter der Szene hörte man Lulus Todesschrei, zu dem in dreifachem Forte ein Zwölftonakkord erklingt. Die abschließenden Worte der Gräfin Geschwitz, die in den »Symphonischen Stücken« fehlen, wurden bei szenischen Aufführungen in der Regel gesungen:
Lulu! – mein Engel! – Laß dich noch einmal sehen! – Ich bin dir nah! – Bleibe dir nah – in Ewigkeit!
Friedrich Cerhas »Herstellung«
Noch zu Lebzeiten Helene Bergs hat der Wiener Verlag des Komponisten, die Universal Edition, dem Komponisten Friedrich Cerha den Geheimauftrag erteilt, die Skizzen Bergs zum letzten Akt zu vervollständigen, wobei Cerha bekannte, es seien kompositorisch nur ganz wenige Passagen zu »erfinden« gewesen und die Instrumentation fertigzustellen. Er nannte seine Arbeit denn auch die »Herstellung« des Dritten Akts.
Cerha betonte, daß viele Teile der Musik – wie schon das krebsgängige »Ostinato« inmitten des zweiten Akts vermuten läßt – dank Bergs Dramaturgie in Anlehnungen, teils sogar wörtlichen Reprisen aus den vorangegangenen Akten bestanden.
Im fertiggestellten DRITTEN AKT begegnen wir musikalisch daher etlichen Entsprechungen: Die großen Ensemble-Szenen, die das Paris-Bild umrahmen, sind mit dem Ensemble im Garderoben-Bild des Ersten Akts verwandt, die »Choral-Variationen«, in denen der »Marquis« Lulu zu erpressen versucht, um sie als Nobelprostituierte nach Ägypten zu verkaufen, entsprechen der Musik des Prinzen aus dem Garderoben-Bild. (Die beiden Partien werden in der Regel auch vom selben Sänger interpretiert). Die Szene in der Londoner Dachkammer setzt Lulus Freier mit ihren Männern im ersten Teil der Oper gleich: Der bigotte Professor erscheint zu den Klängen des Medizinalrats (ebenfalls eine stumme Rolle), der Neger mordet Alwa, der Wache hält, zu den Klängen des Malers (und wird von demselben Tenor gesungen). Und Jack the Ripper wird von Dr. Schön dargestellt. Lulu stirbt unter seinem Messer zu den Klängen der »Sonate« («Adagio«).
Beziehungsvoll zitiert Berg zu Lulus Tod leise auch das Motiv der Marie aus dem »Wozzeck«.

Die von Friedrich Cerha vervollständigte »Lulu« kam im Februar 1979 unter der Leitung von Pierre Boulez, inszeniert von Patrice Chéreau in Paris zur Uraufführung. Teresa Stratas sang die Titelpartie. Von dieser Aufführung hat sich eine Videoaufzeichnung und eine technisch exzellente Tonaufnahme erhalten, die DG veröffentlicht hat.