Archiv der Kategorie: Kalender

»Die schweigsame Frau«

über das Werk

Richard Strauss‘ Stefan-Zweig-Oper ist ein Sorgenkind des Repertoires

Premiere, Wien – Dezember 1996

Die Ehrenrettung für Richard Straussens späten Versuch einer »komischen Oper« dürfte der Wiener Staatsoper wieder nicht gelungen sein. Das Stück, das man gespielt hat, ist nur andeutungsweise mit dem von Strauss verwandt. Es erntete jedoch einen rauschenden Premierenerfolg.

»Die schweigsame Frau« weiterlesen

Brucknerfest

Ist’s Bruckner oder Janacek?

Brucknerfest 1995

Roger Norrington sorgte mit einer Aufführung der Urfassung von Bruckners Dritter für Aufsehen.

Die London Classical Players sorgten mit Beethoven für Aufruhr im Wiener Musikleben und warfen in Linz mit Bruckner viele Fragen auf.
So viel Zündstoff enthalten Konzerte nicht alle Tage.

Die Zeiten, in denen die berüchtigten Vertreter der Originalklang-Ästhetik die ihnen willig zugeordneten Schrebergärten beackerten, sind endgültig vorbei. Längst geht es an die Substanz des gesamten Musiklebens, um die Frage, ob nicht auch Brahms, Bruckner, ja sogar Richard Wagner einer neuen interpretatorischen Beleuchtung bedürfen, die historisch-wissenschaftliche Erkenntnisse über Aufführungspraxis und Spieltradition akribisch berücksichtigt.

Buhrufe für Beethoven!

In Österreich, wo man auf natürlich gewachsene Strukturen Wert legt, rufen solche Tendenzen auch Widerspruch hervor. So hallten nach Beethovens Achter, gespielt von den Classical Players sogar Buhrufe durch den Musikvereinssaal. Das hatte aber auch gesummt und gesurrt und gehämmert und gelärmt wie noch nie in dieser F-Dur-Symphonie. Gewisse Momente heftigster Klangballungen gemahnten angesichts des Eifers, mit dem die Musiker ans Werk gingen, eher an selbstvergessen-entfesseltes Kinderspiel als an eine philharmonische Beethoven-Session.

Da ist noch die Sache mit den „alten Instrumenten“, die schwerer ansprechen und fehleranfälliger sind als ihre modernen Nachfolger. Da waren dementsprechende Hornkiekser und ein im Final-Furor zunehmend undurchdringlicher Tönedschungel, der allen ästhetischen Postulaten der jüngeren Vergangenheit, denen Transparenz und Klarheit der Strukturen über alles ging, Hohn sprach.

So oder so ähnlich könnte freilich zu Beethovens Zeit die Musik wirklich geklungen haben: wild und ungezügelt, erschreckend wohl. Außerdem ist Norrington ein Showmaster, der auf dem Podium hüpft und sich verausgabt wie weiland Leonard Bernstein, der auch in einer Ansprache seinem Publikum suggeriert, es dürfe bei Haydn (Symphonie Nr. 65) auch zwischen den Sätzen applaudieren, der – mehr noch – Thomas Holzmaier animiert, zwischendrin auch noch Opernarien des Komponisten zum besten zu geben (übrigen mit immer noch schöner, aber dank technischer Fehlern zunehmend tonlos werdender, gefährdeter Stimme!).

Bruckners Dritte in der Urfassung

So viel zur ästhetisch-historischen Lektion, die ein solches Konzert auch sein kann. Dann aber: Norrington ist offenkundig auch ein Dirigent, der’s gern leidenschaftlich hat, der die Musikanten zu weit geatmeten Phrasen und gesanglicher Tongebung animiert.
So strömen Haydnsche Adagio-Sätze ebenso duftig wie solche von Anton Bruckner – wenn auch bei der Aufführung der Urfassung von dessen Dritter Symphonie im Linzer Brucknerhaus die Grenzen der Möglichkeiten der „Classical Players“ klar zu Tage traten: Die halbstündige Reise durch den langsamen Satz dieser „Wagner-Symphonie“, in der in dieser Version noch alle „Tristan“-und „Walküren“-Zitate enthalten sind, zerbröselte Norrington trotz heftiger Versuche mittels großem Ausdruck Zusammenhalt zu stiften, unter den Fingern.

In dieser Diskrepanz zwischen Erstrebtem und Erreichtem liegt der mögliche Kritikpunkt. Nicht aber in dem Impetus, in der über alle technischen Pannen und Fehler hinweg stürmenden Emphase der Bruckner-Interpretation, die hier vorgeführt wurde. Diese 1873 entstandene, zu Bruckners Zeiten nie aufgeführte Fassung der Dritten ist tatsächlich das Protokoll eines sich mit ungeheurem Elan über alle Konventionen hinwegsetzenden Geistes. Bruckner dringt mit jähen Kontrasten, schroffen Instrumentations-Kniffen in Regionen vor, die an viel spätere Meister gemahnen – sogar an die wilden, von krassen Stimmungsumschwüngen gezeichneten Ekstasen eines Leos Janacek.

Daß die Zeitgenossen solches als Verrücktheit empfinden mußten, versteht, wer Norringtons kratzbürstige, rüde Aufführung erlebt.
Da kommt etwas von der damaligen Verblüffung zurück – und man empfindet’s gar nicht als Lehrstunde.

Bregenz: Nabucco

Die zahlreichen Fratzen der Macht

In Bregenz ist man seit Jahren erfolgsverwöhnt. Von Festspiel zu Festspiel gelingen die Opern im Haus und auf dem See aufsehenerregend. Heuer darf man mit Verdis „Nabucco“ eine veritable Sensation verbuchen.

Spätestens seit Jerome Savary weiß der Opernfreund, daß brillant gemachter Zirkus auch im Musiktheater künstlerischen Stellenwert hat. David Pountney hat nun für alle Ausdrucksformen modernen Musiktheaters eine den Dimensionen der Seebühne adäquate szenische Sprache gefunden.

„Nabucco“ darf im gigantischen Bühnenbild von Stefanos Lazaridis ein prächtiges Spektakel sein, mit etlichen technisch aufwendigen Verwandlungen und bunten Lichteffekten. Die Produktion bietet alles, was eine populäre Freiluftaufführung zum Erfolg nur braucht. Freilich: Sie stellt jeden aufregenden Kulissenzauber, jeden Aufmarsch, jede Explosion samt Feuerwerk in den Dienst der Sache, die da ist: Verdis Botschaften von Freiheit, Macht, Unterdrük kung und Menschlichkeit so vielfältig und direkt, wie sie die Musik dem Hellhörigen vermittelt, optisch sinnfällig werden zu lassen.

So aufwendig Lazaridis‘ Bilderwelt auch hingebaut sein mag, sie zeigt uns Metaphern von schlichter Größe und Eindringlichkeit. Dem entspricht Pountneys Regie. Auch wenn da vom Schicksal des jüdischen Volkes in Babylon erzählt wird, verzichtet man in Bregenz auf jede vordergründige Symbolik. So wachen keine SS-Schergen über die Gefangenen und kein Hakenkreuz dominiert die Szene.

Pountney gibt viel allgemeingültigere Bilder von Ohnmacht und Unterdrückung. Die treffen denn auch tiefer. Wenn der berühmte Gefangenenchor hinter Stahlgittern und Stacheldraht sein „va pensiero“ anstimmt und dabei die Hände dem unmittelbar auf der anderen, der „freien“ Seite sitzenden Publikum entgegenreckt, dann sind die Assoziationen vielfältig – und enden nicht als historische Retrospektive im Jahre 1945. Babylon ist überall und immer.

Musikalisch Weltklasse

Wer die Weltnachrichten verfolgt, weiß sich auch einen Reim darauf zu machen, warum Verdis kurzes Finale, das die Errettung aus dem Elend verkündet, gar so kursorisch wirkt, nichts Affirmatives, Endgültiges kennt. So läßt uns eine Festspielproduktion unter freiem Himmel nachdenklich zurück wie sonst bestenfalls eine mitreißende, konzentriert gearbeitete Regiearbeit in einem ersten Theater.

Sie kann das nur, weil auch die musikalische Komponente dieser Bregenzer Premiere Weltklasseniveau hat.

Ulf Schirmer dirigiert mit jener Mischung aus deutscher Gründlichkeit und dem Wissen um italienisches Feuer, die immer schon garantiert hat, daß vom vielgelästerten „M-tata“ mehr ausgeht als bloße Verve und elektrisierende Startenergie für zündende melodische Entwicklungen.

Daß die Musik nämlich, nur scheinbar einfach, den vielfältigen Fratzen der Macht, die uns die Szene vor Augen führt, ebenso vielfältig akustische Pendants zur Seite stellen kann, daß in einer Koloratur Verzweiflung ebenso hörbar werden kann wie Triumph, lautete sie auch „auf dem Notenpapier“ deckungsgleich.

Jane Thorner-Mengedoth macht von solcher Differenzierungskunst als Abigail auch vokal reichlich Gebrauch, gibt Verdis furioser Gestalt jenes vielschichtige Profil, dessen diese bedarf. Eine grandiose, mit viel Mut, auch zum häßlichen Ton, begabte Singschauspielerin, die in Vesselina Kasarova ihr ebenfalls nicht nur sanftes, vor allem in der Sanftheit aber besonders berührendes Gegenbild (Fenena) findet. Grandios der Titelheld von Gregory Yurisich, ein Bariton von Format, frisch und kraftvoll, dann wieder leidend, wie es das Libretto fordert, und fähig zu beachtlichen Höhenflügen im wörtlichen, wie im übertragenen Sinn. Der Regisseur gönnt diesem „Nabucco“ auch den rechten, spektakulären Auftritt – ein Kranwagen senkt den Herrscher auf einer Plattform langsam über die geknechteten Israeliten, vor einer hoch aufragenden Wand, in der Verzeifelte der Höhe zu klettern kaltblütig abgeschossen, von der unbarmherzigen Soldateska des Diktators.

Prachtvoller Krutikov

Michail Krutikov verströmt in diesem Inferno – Ruhe und Glauben gebietend – als Zaccaria eine prachtvolle Baßstimme, die ihn nur in der Tiefe manchmal im Stich läßt. Paolo Kudriavchenko weiß als Ismael programmgemäß nicht, wo er hingehört und formuliert das mit einem typisch slawisch-timbrierten Tenor, samt allen diesen notorisch eigenen Vor-und Nachteilen.

Womit es in Bregenz wieder einmal gelungen ist, zu einer großartigen Inszenierung auch ein junges, schlagkräftiges Sängerteam zu finden, in dem auch Opernchefs noch Entdeckungen machen können. Sensationell, durchaus.

Staatsopern-Bilanz

Macht Wiener Oper Schule?

Ioan Holenders Erzählungen

Im Hinblick auf Besucherzahlen und Einnahmenstatistik segelt die Wiener Staatsoper unwidersprochen auf Erfolgskurs. Die effektive Ensemble- und Repertoirepolitik hat nach Ansicht des Direktors „Vorbildfunktion“ und werde international kopiert. Im übrigen avisiert Holender philharmonische und andere Sonderprojekte.

Ab 1995 werden die Wiener Philharmoniker alljährlich am Todestag Gustav Mahlers ein Konzert in der Staatsoper absolvieren, bei dem entweder eine der aufwendigen „Sängersymphonien“ des Meisters oder eines der großen Chorwerke der Literatur, wie zum Beispiel das Verdi-Requiem auf dem Programm stehen sollen. Dieser tönende Beweis der Verbundenheit des Orchesters mit dem Opernhaus (und seiner Zufriedenheit mit der Direktion) wird, so Philharmoniker-Vorstand Werner Resel, jedenfalls bis zum Ende der Ära Holender stattfinden und dann, je nach Gesprächsbasis mit der neuen Führung, „hoffentlich fortgesetzt“.

Peter Alexanders „Debüt“

Ioan Holender avisierte auch weitere Sonderprojekte: Die Silvester-„Fledermaus“ wird heuer live im Fernsehen übertragen. Deshalb werden die „Einlagen“ im zweiten Akt angereichert: Peter Alexander und Placido Domingo, aber auch Hermann Prey, der Sänger des Eisenstein, sind für „Extratouren“ angekündigt.

TV-Übertragungen werden in Hinkunft wieder leichter möglich sein, weil man sich mit Gewerkschaft und Bundestheaterverband auf eine neue Rechtsbasis geeinigt hat. Die „Fledermaus“ wird auch live auf einer Riesenleinwand auf dem Stephansplatz zu sehen sein.

Spektakulär, wenn auch in kleinerem Rahmen, wird auch die Abschieds-Matinee von Christa Ludwig, der junge Talente auf der Opernbühne ein „Abschiedsständchen“ darbringen werden, das Marcel Prawy für die große Künstlerin arrangieren will.

Im übrigen zieht Ioan Holender zufrieden eine Bilanz der abgelaufenen Saison. Trotz den für den „Ring“ eingeplanten Schließtagen sind die Mehreinnahmen gegenüber dem premierenlosen Vorjahr nur um etwa zwei Millionen auf 236 Millionen Schilling zurückgegangen. Die Auslastung, nur die voll zahlenden Besucher gerechnet, ist auf knapp 89 Prozent gestiegen.

Erfolg mit Residenzverträgen

Eitel Wonne herrscht zwischen dem Opernchef und dem Bundestheaterverband. Holender und Generalsekretär Springer zeigten am Mittwoch demonstrativ Einigkeit. Holender akzeptiert die „Kameralistik“, Springer die Eigenhoheit des Direktors, der, ein Novum in der jüngeren Operngeschichte, sein Budget einhält. Noch zu Claus Helmut Dreses Zeiten lagen die Ausgaben stets weit über dem Voranschlag und mußtem mit Sonderbudgets regelmäßig ausgeglichen werden.

Für den in Zahlen belegbaren Erfolg der neuen Ära sei, so Holender, vor allem die große Akzeptanz der Residenzverträge verantwortlich. Künstler wie Bryn Terfel, Boje Skovhus oder die jüngst auch im Liederabend erfolgeiche Angela Gheorghiu sind fix ans Haus gebunden und bekommen hier im Monat weniger als sie international an Abendgage erhalten.

Trotzdem sei keine Gefahr gegeben, daß einer dieser jungen Künstler aus seinem Residenzvertrag aussteige, versichert Holender. Studienleiter Ronald Schneider betonte, wie wichtig die konsequente Arbeit mit diesen Sängern sei, wertvoll vor allem für deren Entwicklung.

Das sei der Grund, warum, so Holender, in Hinkunft mehr Häuser als jetzt sich wieder des Repertoire- und Ensembletheaters besinnen würden: „Unser Beispiel hat Schule gemacht, darauf sollten wir stolz sein.“

Darüber hinaus müsse man über die Finanzen reden, kommentiert der Direktor, „damit es uns nicht so geht wie den Staatstheatern in Berlin“. Im Hinblick auf den soeben abgeschlossenen „Ring“ lautet das finanzielle Fazit: 39 Millionen Schilling für Ausstattung inklusive Werkstättenbetrieb. Zum Vergleich: Die Ausstattung für den Münchner Lehnhoff-Ring kostete vor einem halben Jahrzehnt bereits umgerechnet rund 60 Millionen Schilling, freilich ohne die Kosten für die Werkstätten einzurechnen.

Keine Schließtage mehr

Im übrigen werde es in der Ära Holender für kein Projekt mehr eine derartige Ballung von Schließtagen geben. Vielmehr verhandelt der Direktor mit allen Regisseuren: „Ich versuche, geniale Ideen zu retten, sie aber im Repertoire möglich zu machen.“

Eine Produktion, die den täglichen Spielbetrieb sprengt, Karl-Ernst Herrmanns Inszenierung der „Entführung“, wird 1994/95 im Theater an der Wien in der ursprünglichen Gestalt – ohne Harnoncourt – wiederhergestellt. Im selben Jahr hat dort unter Riccardo Mutis Leitung die neue „Così fan tutte“ Premiere.

Abbados Abgang

Eine Lücke hinterläßt er nicht

Die Abschiedsbriefe kamen, das „Timing“ stimmt, zu einem Zeitpunkt, der den Verehrern noch Gelegenheit gibt, anläßlich dreier Aufführungen von „Boris Godunow“ Solidaritätskundgebungen zu veranstalten. Nach dem 20.Oktober aber wird Claudio Abbado der Wiener Oper nicht mehr zur Verfügung stehen.

Die berühmte „Lücke“, von der nun in mancher Laudatio die Rede sein wird, hinterläßt dieser Künstler jedoch nicht. Vor allem für den nicht, der bedenkt, aus welchen Positionen Abbado scheidet und wie er diese ausgefüllt hat.

Mit Recht wird von „Wien modern“ die Rede sein, von den Raritäten, die der Dirigent, seinen Neigungen entsprechend, dem Spielplan der Staatsoper einverleibt hat. Nie zuvor hat ein musikalischer Leiter des Hauses beispielsweise Rossini oder Mussorgsky soviel Bedeutsamkeit zukommen lassen wie Abbado. Das Publikum für Neue Musik interessiert zu haben, zählt zu seinen unbestrittenen Verdiensten.

All das wäre uneingeschränkt bejubelnswert, hätte man den Künstler von verantwortlicher Seite nicht von vornherein in Rollen gedrängt, die er nicht auszufüllen willens oder imstande war. Den Titel „Generalmusikdirektor von Wien“ schuf man eigens für ihn. Dessen Bedeutung ist bis heute Geheimnis geblieben. Was dem Wiener Musikleben von jeher internationale Beachtung und höchsten Respekt gesichert hat, die erstklassige, ja qualitativ kaum egalisierbare Pflege des großen klassisch-romantischen Repertoires war nicht Abbados Domäne.

In Oper und Konzertsaal zollte man ihm Bewunderung, sobald er sich für Unbekanntes oder Neues engagierte. Wo sich Vergleiche mit der bedeutenden interpretatorischen Tradition aufdrängten und wer, wenn nicht ein „Generalmusikdirektor“ hätte diesen paroli bieten müssen? – wurden Abbados Grenzen spürbar. Dirigierte er Beethoven oder Bruckner im Musikverein, Strauss oder Mozart in der Oper, bot er zumindest widersprüchliche, zuweilen unfertig, jedenfalls kaum restlos überzeugend anmutende Aufführungen.

Vielleicht zwang ihn das, auch vor Repertoireaufführungen von Werken, die er ohnehin aufwendig einstudiert hatte, den Opernbetrieb ganz nach seinen Bedürfnissen auszurichten, seinem Amt als Musikdirektor zum Trotz geschehen zu lassen, daß „Tristan“ oder „Parsifal“ ohne Orchesterprobe über die Bühne gingen, weil er selbst etwa Wiederholungsaufführungen von „Chowanschtschina“ vorbereitete.

Die schier uneingeschränkte Verfügungsgewalt über den Hausapparat hat ihm die neue Direktion nun offenkundig streitig gemacht, indem sie bewährte Wertmaßstäbe wieder in ihr Recht setzte und befand, Mozart, Wagner, Verdi und Strauss seien wenigstens so bedeutend für einen ordentlichen Wiener Spielplan wie Rossini oder Mussorgsky. Wenn Abbado jetzt mit Rücksicht auf seine Gesundheit seine Wiener Position zur Verfügung stellt, mag ihm diese Besinnung auf traditionelle Gewichtungen den Entschluß leichter gemacht haben.

Im übrigen muß, jetzt kommen wir auf die „Lücke“ zurück, die Position eines Musikdirektors nicht nachbesetzt werden. Es hat sie viele Jahre nicht gegeben. Das waren nicht die schlechtesten, die das Haus erlebt hat. Und es gab, wie die Geschichte lehrt, stets große Dirigenten, die ohne Funktionen zu bekleiden ins Haus gekommen sind, um das Wiener Musikleben zu bereichern. Einige, die man engagieren könnte, waren jüngst in der Stadt zu erleben. Freilich nicht in der Oper. Noch nicht. Oder noch nicht wieder.

Fedosejew, 1991

Die Presse, 30.9.1991

Die Außergewöhnlichen

Die Konzertsaison begann mit Fedosejew und seinem Orchester

Man fragt sich, was da noch nachkommen soll: Wladimir Fedosejew und sein Moskauer Rundfunkorchester gaben, weil gerade auf Tournee, den Startschuß zur Konzertsaison in Graz, Salzburg und im Wiener Musikverein. Vier verschiedene Programme, und jedes einzelne vollendet und mit Hingabe dargebracht: Die Latte für alles Folgende liegt hoch. Für die meisten sogar, das darf schon behauptet werden, in unerreichbaren Regionen.

Fedosejew, 1991 weiterlesen

Waechters Wiener Operntraum

Wiens Operntraum lebt wieder auf

Kommentar im Gefolge der ersten Wochen der neuen Staatsopern-Ära, die nach dem Wunsch des neuen Direktors Eberhard Waechter mit einer Spielzeit ohne Premieren begann und vor allem der Pflege des Repertoires gewidmet war.

21. September 1991

Die jüngste „Salome“-Aufführung in der Wiener Staatsoper rief mir eine der berühmtesten Anekdoten der legendären Ära Gustav Mahlers in Erinnerung, die ein offenbar allzeit virulentes Problem zum Thema hat: Der Oberspielleiter, sehr auf szenischen Hochglanz der täglichen Vorstellungen bedacht, urgierte bei Direktor Mahler die Finanzierung einer neuen Linde für Wagners „Siegfried“. Die alte sei, so der Oberspielleiter, schon schäbig und dem Publikum daher nicht mehr zumutbar.“ Solange unter der Linde ein hervorragend singender Siegfried steht, ist sie immer noch schön genug,“ lautete Mahlers Replik.

Wie recht er hatte, erwies sich anläßlich besagter „Salome“ am vergangenen Montag. Die Inszenierung ist zu Beginn der siebziger Jahre entstanden und daher nicht zwanzig Jahre alt, sondern einfach nicht mehr vorhanden. Das Bühnenbild glitzert lange nicht mehr so jugendstilig vielfarbig wie einst.

Aber auf der Bühne stand die vielleicht aufregendste Salome, die sich heute denken läßt: Mara Zampieri. Sie spielte und sang so intensiv wie die Callas, hätte sie diese Partie je gewagt. Umgeben war sie von einer mit Bedachtsamkeit ausgewählten Besetzung, getragen von einem Orchester, dem endlich nicht nur für Raritäten, sondern auch für Richard Strauss die nötige Probenzeit gegönnt wird. Das Ergebnis war nicht irgendeine oder gar keine „Inszenierung“, sondern das Stück, so packend und mitreißend wie man sich’s erträumt.

Was das bedeutet? Die Staatsoper hatte solche stimmige, einfach „richtige“ Abende seit einigen Jahren so gut wie nie anzubieten, allenfalls dann, wenn eine Premiere angesagt war. Daß bei entsprechend liebevoller und sachkundiger Planung von Seiten der Direktion auch der Repertoirebetrieb zum Fest werden kann, ist seit Jahren in Vergessenheit geraten.

Jetzt haben sich Eberhard Waechter und Joan Holender die Repertoirepflege zum Ziel gesetzt und zum Zeichen dessen auf jede „echte“ Premiere in ihrer ersten Spielzeit verzichtet.

Daß gleich in den ersten paar Wochen ihrer Amtszeit nicht nur ein Glücksfall wie „Salome“, sondern eine Menge anderer Vorstellungen von bedeutenden, zuletzt nachlässig, wenn nicht fahrlässig behandelten Werken der Musikgeschichte auf so deutlich gehobenem Niveau über die Bühne gehen würden, das haben sich vielleicht nicht einmal die beiden träumen lassen.

Das Schöne daran: Die Opernfreunde dürfen aufatmen. Selbst wenn, was zu erwarten ist, kein Wunder geschieht und daher in den kommenden Wochen auch weniger gute Vorstellungen, auch manche Enttäuschung zu registrieren sein werden, ist der Beweis für die Möglichkeit erbracht, Oper in Wien auch heute noch im täglichen Betrieb auf allerhöchstem, wie im Fall der „Salome“ sogar weltweit konkurrenzlosem Niveau zu spielen.

Bei alledem sind auch manche junge Sänger zu entdecken, die eine große Karriere vor sich haben könnten. Und dem Orchester wird dank einer deutlich reduzierten Fluktuation an Dirigenten und einer den realen Anforderungen der gespielten Werke entsprechenden Probenplanung Gelegenheit gegeben, seine Qualitäten wieder ungehindert zu entfalten.

Früher einmal hätte man solche Bedingungen in einem Haus wie dem unseren als Selbstverständlichkeiten bezeichnet. Heute scheint es – nach einer langen Durststrecke – kaum zu glauben, daß es in der Staatsoper plötzlich wieder so spannend zugeht, daß der Musikfreund Lust verspürt, gleich mehrmals in der Woche Verdi, Wagner, Strauss oder Mozart zu erleben.

Noch ist es zu früh, eine Prognose zu wagen. Die vergangenen Wochen geben immerhin Anlaß zur Hoffnung, Waechter und Holender würden die Wiener wieder zur Oper verführen. Gelänge ihnen das, ginge nicht nur ihr Traum in Erfüllung.

Beckmessers Diarium

Rezensionen aus vier Jahrzehnten

Beckmessers Diarium

Die Kritiken

Vier Jahrzehnte Musikkritik im Rückblick

Opernpremieren, denkwürdige Konzerte, Entdeckungen, Abschiede. Von Carlos Kleibers Neujahrskonzerten über Christa Ludwigs letzte »Winterreise« zu wild umstrittenen Opern-Inszenierungen in Wien oder bei den großen Festspielen.

Aus dem Tagebuch eines Wiener Musikkritikers.

Bruno Walter und das NBC Orchester

Mozart-Programm

  1. NBC Liveübertragung Radio-Ansage
  2. Mozart Divertimento KV 287 B-Dur 1. Satz (NBC Orchester – Bruno Walter, 1939)
  3. 2. Satz Thema mit Variationen Thema (NBC Orchester – Bruno Walter, 1939)
  4. Var. 1
  5. Var. 3
  6. Var. 5
  7. Var. 6
  8. 4. Satz Adagio
  9. 5 Satz Menuett
  10. 6. Satz Finale Andante – Allegro assai
  11. Klavierkonzert d-Moll KV 466 Bruno Walter Dirigent und Solist (NBC Orchester, 1939)
  12. 2. Romanze
  13. 3. Finale Allegro assai
  14. Symphonie g-Moll KV 550 1. Molto allegro(NBC Orchester – Bruno Walter, 1939)
  15. 2. Andante
  16. 3. Menuetto
  17. 4. Allegro assai

Aribert Reimann


Eine der führenden Persönlichkeiten der deutschen Avantgarde, spätestens seit der Uraufführung seiner Shakespeare-Vertonung Lear von international herausragendem Rang.

Für Wien komponierte Reimann die Grillparzer-Oper Medea, die im Frühjahr 2010 ihre → Uraufführung mit Marlis Petersen an der Staatsoper erlebte.

in derselben Saison stellte die Wiener Kammeroper noch einmal Reimanns frühe Strindberg-Vertonung Gespenstersonate zur Diskussion.

Schon 1996 hatten die Freien Gruppen Reimanns Kafka-Oper → Das Schloß in Wien erstmals zur Diskussion gestellt.