Maria Callas
1923-1976
Die Diva war nur 53 als sie starb und hatte die Bühnen der Welt schon 1965 verlassen. Und doch: Schon den Zeitgenossen galt sie als »Primadonna assoluta« und die Kenner sind sich ein halbes Jahrhundert nach dem Tod der Künstlerin noch einig: Es hat ihr keine mehr gleichtun können.
VERSUCH EINER WÜRDIGUNG
Ja, sie hat den italienischen Staatspräsidenten sitzen lassen. Ja, sie hat mit den Intendanten der wichtigsten Opernhäuser Kriege ausgefochten. Ja, sie glaubte, im griechischen Reeder Aristoteles Onassis ihren Lebensmenschen gefunden zu haben, der dann aber doch Jackie Kennedy heiratete. Ja, sie war früh ausgebrannt und konnte nie wieder an ihre großen Erfolge anschließen.
Aber . . .
Ihr Name ist das Synonym für überwältigende musiktheatralische Gesangskunst: die Callas. Opern-Paparazzi und Kulturjournalisten jagen dem Nimbus der „Primadonna assoluta“ bis heute nach. Und können rund um ihren 100. Geburtstag, dem 2. Dezember, nicht einmal zum Grab der Diva pilgern, denn ihre Asche wurde über der Ägäis verstreut. Vielleicht. Nicht einmal das ist gewiss. Das Leben der Maria Callas ist überfrachtet von Skandal- und Chronikgeschichten, geschrieben von Journalisten, Angehörigen, Freunden, erst Recht von Feinden, und immer – oft lustvoll –angewiesen auf höchst unsichere Quellen. Das jüngste Buch, von Eva Gesine Bauer bei C. H. Beck veröffentlicht, fasst getreulich zusammen, was sich finden ließ. Auch nachdem offenbar sorgfältig Spreu vom Weizen getrennt wurde, liest es sich wie eine Chronique scandaleuse. Die wievielte? Mehr ist wohl nicht zu machen.
„Tosca“ als optisches Zeugnis
Die Wahrheit über die Callas? Von der Bühnenlegende finden sich ja nicht einmal Filmdokumente, um zu demonstrieren, wie eine begnadete Schauspielerin dank vokaler Charakterisierungskunst ein musiktheatralischen Gesamtkunstwerk zu schaffen vermochte. Zwei Aufnahmen des Mittelaktes von Puccinis „Tosca“ haben sich dank Fernsehübertragungen aus Paris und London erhalten. Das ist alles.
Die Callas bleibt, genau genommen, ein akustisches Phänomen. Die rege Aufnahmetätigkeit des Plattenproduzenten Walter Legge (für EMI) hielt seit den frühen Fünfzigerjahren die Kunst der Callas für die staunende Nachwelt fest.
Und technisch unzulängliche, künstlerisch dafür umso wertvollere Livemitschnitte lassen auch hören, wie das Publikum nach ihren großen Szenen regelmäßig in Raserei ausbrach. Sämtliche Streamingdienste der Welt bieten mittlerweile Callas-Aufnahmen im Dutzend. Wer mag, kann alles hören, und wird in den akustischen Charakterporträts viel über jene Darstellungskunst erfahren, von der Augenzeugen schwärmten.
Meine Stimme ist keine Stradivari, aber sie wird von Paganini gespielt.
Die Callas über sich selbst
Da waren sie sich einig, auch wenn manche ihre Stimme gar nicht attraktiv fanden, im Vergleich etwa zur notorischen Gegenspielerin Renata Tebaldi. Die Callas selbst bekannte, „nicht auf einer Stradivari, sondern auf einem billigen Instrument“ zu spielen – aber: Dieses Instrument wurde von „von Paganini gespielt!“ Die Tebaldi, vom Mailänder Thron gestürzt, wurde zum Superstar in den USA – und nahm den Wettbewerb im Plattenstudio bei der Konkurrenzfirma Decca auf. Für das große Publikum war das Spiel entschieden. Die Tebaldi war eine große Sängerin. die Callas war die „Assoluta“. Absolut uneinholbar, denn sie konnte alles. Wir können es hörend nachvollziehen: Dank Legges Platten und Mitschnitten ist der Perfektionstrieb der Künstlerin dokumentiert, ihre Gabe, auf kleinstem Raum der Stimme jegliche Nuance abzutrotzen, ein breites Repertoire von komödiantischer Rossini-Koloratur bis zur Puccini-Tragödie vollkommen auszuleuchten.
Arbeit mit Bernstein und Karajan
Mitverfolgen lässt sich auch die Zusammenarbeit mit bedeutenden Dirigenten. Allen voran Tullio Serafin, dem Belcanto-Kenner, der neben Lehrerin Elvira de Hidalgo der wichtigste Mentor der Callas blieb. Aber auch mit Leonard Bernstein, der für sie sogar eigene Kadenzen und Verzierungen komponierte, als er die Mailänder Premiere von Bellinis „Sonnambula“ einstudierte.
Zu einer Zusammenarbeit mit dem einstigen Scala-Abgott Arturo Toscanini ist es zwar nie gekommen, aber sie war geplant, und die Premiere von Verdis »Macbeth«, die man in Aussicht genommen hatte, wurde schließlich von Toscaninis genialischem Antipoden Victor de Sabata geleitet, nicht minder feurig als Toscanini, wenn auch sein Name der Nachwelt nicht mehr geläufig ist.
- 1. Akt Callas – Scala 1953 (V. de Sabata)
- 1. Akt (2) Callas – Enzo Mascherini Scala 1953 (V. de Sabata)
- 2. Akt Callas - Enzo Mascherini
- Bankettszene Callas – Scala 1953 (V. de Sabata)
- 3. Akt Callas Mascherini – Scala 1953 (V. de Sabata)
- Wahnsinnsszene Callas – Scala 1953 (V. de Sabata)
De Sabata stand auch am Pult, als man in Mailand für EMI Puccinis »Tosca« aufnahmen. Mit dem Traum-Team Callas – di Stefano – Gobbi gelang da in des Dirigenten strenger akustischer Regie eine Sternstunde: Die Oper wurde zu perfekten Hörspiel, das jegliche Szenerie überflüssig macht.
- Puccini »Tosca« Callas – di Stefano – Gobbi (de Sabata)
- – Recondita armonia
- – Buna la mia Tosca
- – Finale
- 2. Akt
- Orsu, Tosca, parlate
- Finale
- 3. Akt
- E lucevan le stelle
- Finale
Die Callas und Karajan
Herbert von Karajan hat Verdis „Trovatore“ und Puccinis „Butterfly“ mit ihr aufgenommen, und er hat eine Premiere von Donizettis „Lucia di Lammermoor“ an der Scala herausgebracht, die dann auf Tournee ging. Die drei Aufführungen des Werks im Zuge dieser Reise waren die einzigen, die Maria Callas je an der Wiener Staatsoper gesungen hat. Karajan wurde daraufhin Operndirektor. Die Callas hat er nicht engagiert. Als Intendant musste er ja aufs Geld schauen – und besetzte die für die Callas gedachte „Tosca“ (in der heute noch gespielten Wallmann-Inszenierung) mit der Tebaldi …
Einen Versuch gab es noch, Callas ins Haus am Ring zu holen: Egon Seefehlner bat den Star vergeblich, die stumme Rolle der Frau Potiphar in Richard Strauss‘ „Josefslegende“ zu mimen. Die Callas starb, während Wien der Tänzerin Judith Jamison zujubelte, für die Choreograph John Neumeier eine ganz neue Dramaturgie der „Josefslegende“ geschaffen hatte. Die Primadonna hatte schon 1965 ihre letzte Opernvorstellung absolviert, als ihre Plattenaufnahmen längst in immer neuen Auflagen erschienen. Ihr Name überstrahlte schon alle andern in der Opern-Stratosphäre, während ihr Lebenslicht in einem Pariser Appartement erlosch.