Johan Botha

1965 – 2016

Portrait, Dezember 2005

Das Ende aller Notlösungen fürs Helden-Fach

Mit dem südafrikanischen Tenor Johan Botha erschien mehr als nur ein strahlender Gralsritter im internationalen Opern-Business.

Es war Staunen erregend. Nach drei Stunden Aufführungsdauer stützte die mächtige Erscheinung des Schwanenritters die Hände aufs Schwert und begann die berüchtigte Gralserzählung zu singen, als gälte es, ein zartes Schubertlied zum Klingen zu bringen. Es war Johan Bothas Debüt als Lohengrin in der Wiener Staatsoper und die Musikfreunde der Stadt waren sich hernach einig: Einen solchen strahlenden Helden hatte man seit Menschengedenken nicht mehr erlebt. So sicher, so mühelos, in allen Lagen belkantesk klangen Wagnersche Heldenpartien nur auf historischen Aufnahmen.

Dieser Sänger aber agierte, als wollte er dem Chor Recht geben, der anlässlich seines Auftritts aufgeregt verkündete, er sei „von Gott gesandt“. Ein Geschenk bedeutete das Erscheinen Johan Bothas auf der Opernbildfläche jedenfalls, denn nicht nur den Lohengrin, auch manch andere seiner Partien konnten Intendanten in der jüngeren Vergangenheit mehrheitlich nur mit Notlösungen, kaum mit wirklich adäquaten Sängern besetzen, die imstand gewesen wären, nicht nur die vorgeschriebenen Noten halbwegs zu bewältigen, sondern ihren Gesang auch noch gestaltend zu modellieren, also die Darbietung zur veritablen Interpretation zu machen.

Den Höhepunkt von Bothas Wiener Auftritten markierte für viele die Premiere von Strauss‘ „Daphne“. Da sang der Tenor den Apollo, der sich in der Aufführungsgeschichte von allen undankbaren bis unsingbaren Strauss’schen Tenor-Gemeinheiten als unsingbarste entpuppt hat. Die Höhenflüge, die der Komponist von seinem griechischen Gott verlangt hat, stellten sich in den folgenden Jahrzehnten als größte Hürde dar, die Aufführungen des so herrlich klangschönen, leuchtend instrumentierten Werks erschwerte, wenn nicht verhinderte.


Wagner, konkret statt abstrakt

Plötzlich tönte es, als wäre der Erdenbesuch des strahlenden Sonnenlenkers ein angenehmer Erholungs-Spaziergang. Für die Hörer bedeutet das im Moment der Aufführung das höchste Glücksgefühl, die Musik in all ihren ekstatischen Aufwallungen erleben zu können, ohne fortwährend abstrahieren zu müssen, wie diese Klänge wirklich gemeint waren, wie das sein könnte, wenn, was vorgeschrieben ist, tatsächlich realisierbar wäre. Es ist realisierbar.

Vergleichbares weiß man jetzt – nach langer Durststrecke – etwa auch von den vielen Wiederholungen des Preisliedes, das Walther von Stolzing in den beiden Bildern des dritten Aufzugs der „Meistersinger von Nürnberg“ anzustimmen hat. Wie schön, wenn ein Sänger da nicht spätestens auf der Festwiese nur noch nach Luft ringt, statt einen leuchtenden Tenor zu verströmen.

Dabei hatte die internationale Karriere des Johan Botha mit Auftritten in einem ganz anderen Fach begonnen. In der Wiener Volksoper ließ der zuvor völlig unbekannte junge Künstler 1994 aufhorchen, als er sich als Rudolf in Puccinis „Boheme“ rare Ausflüge in ein tragfähiges Piano leistete. Das war die Zeit, in der er in Berlin als Bajazzo debütierte, in Genf den Idomeneo und in Paris als Pinkerton in „Madame Butterfly“. Wagner hatte er damals auch schon gesungen, sogar bei den Bayreuther Festspielen – im Chor.

Um die Jahrtausendwende folgten Bothas Rollendebüts als Radames („Aida“) und Kaiser („Frau ohne Schatten“), die Aufgaben des heldischen Fachs ließen nicht mehr auf sich warten. Der Tenor nahm die Herausforderungen Schritt für Schritt, ohne je ganz auf die Ausflüge in die belkanteskeren Regionen der Italianita aufzugeben. Das hält die Stimme offenbar flexibel. Wann immer Botha in jüngster Zeit in Wien zu hören war, war ihm der Jubel des Publikums sicher, ob Parsifal oder Andre Chenier, Apollo oder Prinz Kalaf („Turandot“).

Für die „Lohengrin“-Premiere rüstete sich der Tenor zu einem besonderen Coup, den er in Berlin unter Daniel Barenboims Leitung schon einmal ausprobiert hatte: Erstmals seit Jahrzehnten erklingt Wagners Werk in Wien völlig ungekürzt – vor allem ergänzt um jene von Wagners selbst aus Praktikabiltätsgründen schon gestrichene zweite Hälfte der Gralserzählung. Eine Entdeckung, bis dato für Wagnerianer lediglich auf CD zu hören.

Der Tenor starb 2016 nach einer schweren Krankheit 51jährig in Wien.