Quartetto serioso

Streichquartett f-Moll op. 95

1810/11

Das f-Moll-Quartett kommt wie die Achte Symphonie ohne langsamen Satz aus und ist auch sonst von atemberaubendem Tempo: Das Hauptthema des ersten Satzes tritt ohne jegliche Vorbereitung als Knalleffekt ein wie das berühmte »Schicksalsmotiv« der Fünften Symphonie. Immer wieder heißt es in den Vortragsanweisungen »con brio« oder »agitato«. Das Scherzo, ohnehin »Allegro assai vivace« überschrieben, mündet in eine »più allegro«. Dieses Opus 95 ist eines der stürmischsten Werke Ludwig van Beethovens.

Tonale Dramaturgie

Inselcharakter, wenn auch nicht unbedingt von tief beruhigender Wirkung, kommt lediglich dem an Stelle des langsamen Satzes stehenden »Allegretto« zu, das auch harmonisch aus dem Tonarten-Verbund der Komposition herausgehoben ist: Es steht im weit entfernten D-Dur. Das ist in verschiedener Hinsicht bedeutsam für die Struktur des Gesamtwerks, führt doch der wild vorwärtstreibende Gestus des einleitenden »Allegro con brio« dazu, daß die Musik schon während der Themenexposition aufgeregten Durchführungscharakter annimmt. Da wirkt alles gehetzt, existentiell zugespitzt, dringlich, drängend, überstürzt – so überstürzt, daß die Musik gar nicht dazuzukommen scheint, die Grundtonart f-Moll ernstlich zu »diskutieren« oder auf längere Strecken zu verlassen, was in einem normalen klassischen Durchführungs-Prozeß natürlich schiene. In der gedrängten Entwicklung der Ereignisse bilden sich nur einzelne Ausweichungen nach Des-Dur heraus, das zur zweiten zentralen Tonart des Kopfsatzes wird und auch in der Coda noch einmal wiederkehrt. Die hie und da aufflackernden Wendungen nach F-Dur bieten keine Lösung, der Satz strebt in trotzigem Ton einem geradezu ratlos wirkenden Ausklang zu. Alles ist offen. Selten wird in der Klassik die Erwartungshaltung des Hörers so auf die folgenden Sätze gelenkt: Da muß noch etwas kommen. Da ist, um ein 100 Jahre später von Arnold Schönberg über Gustav Mahler geprägtes Wort Gustav zu paraphrasieren, noch nicht alles gesagt.

Tempofragen

Was das angesichts der vom Komponisten vorgeschriebenen Metronomzahl schier unspielbare Tempo des Kopfsatzes anlangt, hat der Primarius des legendären Alban Berg Quartetts, Günter Pichler, gern Beethovens eigene Aussage über seine eigene Metronomangabe für das Lied So oder so (WoO  148) zitiert

100 nach Mälzel doch kann dieß nur von den ersten Täkten gelten, denn die Empfindung hat auch ihren Takt, dieses ist aber doch nicht ganz in diesem Grade (100 nämlich) auszudrücken.

Von Carl Czerny ist überliefert, daß Beethoven selbst seine Musik als Pianist mit großen Tempomodifikationen je nach Charakter der Musik gespielt hat . . .

Beethovens Kompositionstechnik ist zu jenem Zeitpunkt bereits bei einem Höchstmaß an konzentrierter Verdichtung des thematischen Materials angelangt. Der punktierte Rhythmus, der sich nach dem forschen Eingangs-Statement des ersten Satzes in wilden Oktavsprüngen durch die Stimmen zieht, kehrt motivbildend im dritten und vierten Satz wieder. Das Scherzo wächst harmonisch pausenlos aus dem Allegretto ma non troppo heraus: der ruhige Schlußakkord wird jäh rhythmisch belebt.

Aus diesem scharf rhythmisierten Scherzo-Thema wird – nunmehr auftaktig – das Motiv der langsamen Einleitung zum Finale:

Auch harmonisch-tonal gibt es innige Verwandtschaften. Das scheinbar weit von der Grundtonart f-Moll abgelegene D-Dur des zweiten Satzes findet sich (piano und dolce zu musizieren) eingebettet ins Scherzo wieder, das in seiner trotzigen Gangart im übrigen mit dem Kopfsatz eng verwandet ist.