Plädoyer für Schmidt

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Die Aufführung von Franz Schmidts meisterlicher Es-Dur-Symphonie (1913) am Freitagabend war eine Sternstunde, gepaart mit einem Wermutstropfen: Man gab zuvor Edward Elgars nicht minder schönes Violinkonzert (1910) mit einer grandiosen Solistin, hatte aber fürs Orchester offenkundig nicht genügend Probenkapazitäten erübrigt.

Musste es um 1910 wirklich zur Entfremdung zwischen Komponisten und Publikum kommen? Die Wiener Symphoniker spielten unter Fabio Luisi Edward Elgars Violinkonzert und Franz Schmidt Zweite Symphonie, Musik, die vor den Augen der Ästhetik-Professoren bis heute keine Gnade findet, weil sie zu einem Zeitpunkt entstand, als in Wien unter der Ägide Arnold Schönbergs längst das Ende des althergebrachten Harmonie-Verständnisses verkündet worden war.
Schönheit kann nie zu spät kommen, denkt man nach der überwältigenden Wirkung von Schmidts Schlusschoral, den wohl nur noch Bruckners Fünfte übertrumpfen kann. Eine Schönheit, die sich offenbar, wenn ein Orchester, von einem kundigen Dirigenten geführt, das Dickicht einer solchen Partitur penibel durchforstet.

Schmidt leuchtkräftige Orchestrierung

Das ist keine Kleinigkeit, denn Schmidt hat üppig orchestriert und den riesigen Streicherapparat vielfach in kleine Gruppen gesplittet, dass es flirrt, summt und singt, und dass sich die kontrapunktisch meisterhaft ineinander verschlungenen Stimmen rettungslos verwirren, solang nicht analytische Klarheit herrscht. Die herrscht bei Luisi, der mit dieser Aufführung an seine frühere Chefdirigenten-Ära anknüpfte. Ihm war die Wiederaufführung der Symphonie nach langer Schmidt-Abstinenz zu danken.
So war das Orchester auf die heiklen Aufgaben vorbereitet – und es klang tatsächlich differenzierter als damals; vor allem gewann man den Eindruck, die einzelnen Orchestergruppen und Solisten seien in Passagen, in denen Schmidt ihnen kurze, hie und da auch weit ausschwingende melodische Bögen schenkt, mit Freude bei der Sache.

Orientierungslos wie im Urwald

So wirkte denn die klangschwelgerische Seite dieser auch formal ungeheuer beherrschten, souveränen Komposition auf das Publikum wie eine Droge: Man genoss die spätromantische Klangorgie und wandelte doch auf sicherem Boden: Schmidt zieht in diesem Werk noch einmal Bilanz und führt uns die großen Satztechniken der abendländischen Musik vor Ohren: Sonate, Variation und Fuge – und das alles hat nichts von einer Lehrstunde. Eher macht es süchtig. Ein Plädoyer für einen Schmidt-Zyklus. Es wäre an der Zeit.
Ähnliches ließe sich auch von Elgar behaupten, allerdings nicht nach dieser Aufführung, für deren Vorbereitung offenkundig nicht genügend Probenzeit geblieben war: Während man sich bei Schmidt auch im unwegsamsten Gelände sicher zu bewegen schien, wirkten die Musiker bei Elgar orientierungslos wie verirrte Stoßtrupps bei einer Urwald-Expedition. Dabei war mit Vilde Frang eine souveräne Geigerin aufgeboten, deren hochexpressive, sensible Interpretation die hexenmeisterisch schwierigen Solopassagen mühelos bewältigte – und ihnen wirklich Leben einhauchte. Elgar schrieb einst für Fritz Kreisler wie für einen Opernstar, der seinen Gefühlen freien Lauf lassen darf, oft mitten im Takt in Tempo und Dynamik changierend. Da müsste das Orchester wissend reagieren, von Phrase zu Phrase, von Ton zu Ton, vor allem dynamisch fein schattiert. Vilde Frang wäre zu gönnen, dieses Werk auf einer Tournee mit guten Partnern zu perfektionieren, dann könnte eine Referenzaufnahme entstehen.
In Wien war diesmal lediglich in der ungewöhnlichen, von mysteriösen Pizzicati begleiteten Final-Kadenz für ein paar Minuten zu hören, zu welcher Vollendung sich diese Geigerin aufschwingen kann. Ein Versprechen, das hoffentlich eingelöst wird.
Übertragung in Ö1: 18. Juli, 19.30 Uhr

Das Programm ist am Sonntag um 11 Uhr noch einmal im Konzerthaus zu erleben.