Für Schnell-Entschlossene

Der Geiger Augustin Hadelich feierte seinen Musikvereins-Einstand mit einer phänomenalen Wiedergabe von Alban Bergs Violinkonzert. Heute ist das Konzert noch einmal zu hören!

Dieses Konzert sollte sich nicht entgehen lassen, wer sich für Musik des XX. Jahrhunderts interessiert: Drei Werke der Dreißiger- und Vierzigerjahre, die uns die enorme Bandbreite des Repertoires erahnen lassen, das da nach wie vor kaum erschlossen zur Verfügung stünde.

Der Konjunktiv ist angebracht, denn obwohl man die Namen aller drei Komponisten kennt, erscheint auf unseren Konzertprogrammen nur das Violinkonzert Alban Bergs regelmäßig. Die »Meditation« namens »Les offrades oubliées« aus der Feder von Olivier Messiaen und – schon gar – die Dritte Symphonie Arthur Honeggers, die »Symphonie liturgique« sind hingegen Raritäten. Und das obwohl gerade Honeggers Werk in seiner theatralischen Expressivität ihre Wirkung nie verfehlt.

Komponiert als unmittelbare Reaktion auf die Gräuel des Zweiten Weltkriegs wählte Hongger drei liturgisch konnotierte lateinische Verszeilen als Titel für die drei Sätze: »Dies irae«, »De profundis clamavi« und »Dona nobis pacem«. Immer wieder scheint sich die Musik anklagend, wütend, heulend gegen das Schicksal aufzubäumen; aus dumpf brütendem, wirklich »aus der Tiefe« aufsteigender, immer ekstatischer gesteigertem Gebet im Mittelsatz, jäh hochfahrend, stürmisch, unaufhaltbar tobend in den Ecksätzen. Nur dem katastrophalen Zusammenbruch im Finale, nachdem das gesamte Orchester in dreifachem Forte das »Gib uns den Frieden« herausgebrüllt hat, folgt eine ätherisch zurückgenommene Vision ewiger Ruhe, die auch diesmal im großen Musikvereinssaal Betroffenheit erzeugte.

Dirigent Lorenzo Viotti hatte in einem kurzen Begrüßungs-Statement vor Beginn des Konzerts darauf verwiesen, dass alle drei Werke des Abends in einer solch unwirklich schönen Atmosphäre enden, nachdem sie Apokalyptisches behandelt haben. Der Effekt stellt sich, wie bei Honegger, auch bei Messiaen quasi von selbst ein: Während dieser von Kriegsgräueln erzählt, berichtet jener über die Seelenqualen des gläubigen Christenmenschen angesichts seiner eigenen Unzulänglichkeit: Die Erkenntnis der Sündhaftigkeit wird eingerahmt von Betrachtungen des Kreuzes und der Eucharistie. Die heftigen Aufwallungen sind gefaßt von Glaubensgewißheit.

Bei Honegger wirkt die Gegenwart der Schönheit nach den niederschmetternd realistischen Grausamkeits-Exzessen dann wie ein aus rätselhafter Ferne hereinklingendes Fragezeichen; vielleicht aber auch wie ein klingender Trost, der Halt gibt; gläubiger Katholik war auch Honegger. Wohingegen der Wiener Alban Berg, der ans Ende seines Violinkonzerts ein vergleichbar zartes Finale gerückt hat, doch mehr kritischer Zeitgenosse und skeptisch-analytischer Beobachter geblieben ist. Wie er die von seinem Lehrer Schönberg geerbte Zwölfton-Methode mit Mitteln der Tonalität relativiert und für seine Zwecke nutzbar macht, wahrt er letztlich auch die Distanz des Theater-Regisseurs gegenüber dem Publikum, das er einzulullen versteht: Der Eintritt des Bach-Chorals »Es ist genug, Herr, wenn es dir gefällt, so spanne mich doch aus« hat wohl noch niemanden kalt gelassen. Berg, der geborene Opern-Meister, hat uns zu diesem Zeitpunkt längst in seiner Gewalt, wie er sich die »atonale« Kompositionsmethode unterjocht: Er schließt in lupenreinem B-Dur.

Das tröstet über die vorangegangen Leidens- und Klangtöne, mit denen die Todesqualen von Alma Mahlers 19-jährig verstorbener Tochter Manon Gropius geschildert werden. Im ersten Teil des Konzerts erleben wir das Mädchen, das Berg von Kindesbeinen an gekannt hatte, in unbekümmerter Jugendfrische, ätherische Frühlingsklänge und tänzerische Rhythmen erklingen da, ein Ländler und das Kärntner Volkslied vom »Vogerl auf’m Zwetschkenba’m«.

Und anders als für Honeggers gewaltig gepanzerten Schlachtenlärm, der gegenüber des Komponisten allzu spärlichen Hinweisen einige dynamische Differenzierung vertragen hätte, schien die Aufführung von Bergs Violinkonzert offenbar liebevollst vorbereitet. Hier gelang es, die vielen minutiös zu modellierenden Übergänge zwischen Solo-Part und orchestralen Details vorbildlich herauszuarbeiten. Anders als bei den meisten Aufführungen dieses Werks bewahrten die Musiker diesmal die gebotene Leichtigkeit, zauberten duftige, poetische Klänge aus der Zwölftonreihe. Vor allem gelang es auch, bei der gebotenen rhythmischen Präzision die nötige Freiheit zu bewahren, einen Tanzrhythmus, ein ausdrucksvolles melodisches Element mit dem entsprechenden Charme, vielleicht auch mit gebotener rhetorischer Verzögerung und Nuancierung zu servieren.

Augustin Hadelich entpuppte sich diesbezüglich als Virtuose in jeder Hinsicht. Die geforderten technischen Hexereien bis hin zu Tripel und Quadrupelgriffen bewältigt er souverän und blitzsauber, ist dabei sogar imstande, mit sich selber zwei- bis dreistimmig zu spielen. Er scheint es aber auch zu genießen, weit gespannte Melodiebögen zu phrasieren, ohne auf Taktstriche achten zu müssen: Die Wiener Symphoniker unter Viottis Leitung bereiten ihm den sicheren Klangpolster – und verschwistern sich solistisch immer wieder auch in Sekundenschnelle, indem sie, wie Berg es fordert, hie und da auch die Führungsfunktion übernehmen.

Die Partitur ist – ganz im Gegensatz zu Honeggers symphonischem »Aufmarschplan« – voll von kleinsten Anmerkungen, die man diesmal ihrem dramaturgischen Sinn nach verstanden zu haben scheint, ehe man daran ging, sie zu realisieren. Das Ergebnis war so pittoresk, so spannend, so atemberaubend wie ein solches konzertantes Portrait eines Menschenlebens nur sein kann – so klang denn auch Schlußakkord im Gefolge der Bergschen Version von »Tod und Verklärung« überzeugend: Erlösungs-Visionen bringen ja doch auch bei beinharten Realisten eine Saite zum Schwingen …

Das Konzert ist heute, Freitag, noch einmal im Wiener Musikvereinzu erleben. 19.30 Uhr