Alles über Alfred Cortot

Er war so »politisch inkorrekt«, wie es nur ging

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Der französische Pianist Alfred Cortot hat sich als Interpret die Unsterblichkeit erspielt. Eine neue Biographie erwägt menschliche und künstlerische Fakten.

Sich über den Pianisten Alfred Cortot zu mokieren ist keine Kunst. Er hatte sich während des Zweiten Weltkriegs als Mitläufer des Vichy-Regimes und mit erschreckend vielen falschen Tönen, die er auf dem Klavier hervorbrachte, in den Augen der Nachwelt menschlich und künstlerisch disqualifiziert.
Mit Anton Voigts neuer Cortot-Biographie liegt nun aber eine exzellent recherchierte Faktensammlung vor, die eine der faszinierendsten Künstlerpersönlichkeiten der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert doch wieder ins rechte Licht rückt. Hier wird nichts schöngeredet. Die Zeitzeugnisse sprechen für sich – und übrigens keineswegs immer gegen Cortot. Was sein Künstlertum betrifft, wird bald nach Beginn der Lektüre klar, welchen Rang dieser Pianist und Dirigent in den Augen seiner Zeitgenossen eingenommen hat, und warum das so war. Für uns Nachgeborene bleiben nun nicht mehr nur die frühen Schallplattenaufnahmen des Pianisten. Wir können auch nachlesen, unter welchen Umständen die Sensibilität und Vielgestaltigkeit von Cortots Klavierspiel heranreifen konnte.

Ein Pianist, der noch mit Schülern Chopins in Kontakt war.

Daß er noch mit Schülern von Frédéric Chopin in Kontakt kam, brachte ihm nach eigenem Bekenntnis erheblichen Gewinn: »Für mich«, meinte er, »war die Romantik keine vergangene, sondern eine zeitgenössische Epoche.« Überdies hallte in Cortots Erinnerung ein Satz nach, den ihm Anton Rubinstein auf den Weg mitgegeben hatte: »Beethoven, junger Mann, den spielt man nicht. Den muss man immer aufs Neue erleben.« Tatsächlich war Cortots Spiel aus großer Tradition erwachsen und vollkommen frei von rein theoretisch grundierten Stilüberlegungen.

KORREPETITOR IN BAYREUTH

Cortot war auch zeitlebens mit der deutschen und französischen Musiziertradition gleichermaßen verbunden. Er ersteigerte als junger Mann Renoirs Porträt Richard Wagners, dessen Musik ihn dermaßen fesselte, dass er zunächst zum Assistenten und Korrepetitor in Bayreuth avancierte und später zum Dirigenten der Erstaufführung der »Götterdämmerung« in Paris.

Für mich war die Romantik keine vergangene, sondern eine zeitgenössische Epoche.

Alfred Cortot

Niemand Geringerer als Claude Debussy machte sich über diese Liebe zur deutschen Musik lustig – pries aber im selben Atemzug dessen eminentes künstlerisches Potenzial. Der frühe Cortot paarte ungestümes, risikofreudiges Ausdrucksstreben mit einer exzeptionellen technischen Virtuosität. Dass ihm die Alles-oder-nichts-Attitüde bei nachlassenden mechanischen Fähigkeiten zu schaffen machen würde, war abzusehen. Aber in Glanzzeiten kamen ihm nur wenige Konkurrenten gleich.

Das legendäre Trio auf CD

Dabei widmete er sich, im Grunde uneitel, mit Liebe auch der Kammermusik: Die Aufnahmen des Trios, das er mit Jacques Thibaud und Pablo Casals bildete, sind legendär; und der moralisch unbeugsame Casals vergab seinem Pianisten später auch die politischen Fehltritte. Die Lektüre dieser Biographie spornt an, wieder zu den Cortot-Aufnahmen im CD-Regal zu greifen. Und das lohnt sich definitiv.