Archiv der Kategorie: SinkoCHARTS
Der Ring des Nibelungen – Thielemann in Berlin
Christian Thielemanns Einstand an der Lindenoper
Diese Produktion wollte eigentlich Langzeit-Musikchef Daniel Barenboim herausbringen. Er hatte sich für die Saison 2022/23 einen neuen »Ring des Nibelungen« für seine Deutsche Staatsoper unter den Linden gewünscht. Krankheitshalber mußte er die musikalische Leitung abgeben und es sprang – viel beachtet – Christian Thielemann ein. Der Jüngere galt lange Zeit als eine Art Antipode Barenboims, doch erwies sich anläßlich der Premierenserie der von Dmitri Tcherniakov in der notorischen Regietheatermanier inszenierten Tetralogie, daß Thielemann mit der Staatskapelle Berlin sogleich aufs schönste harmonierte.
Es dauerte nicht lang, da wurde nach Barenboims Rücktritt der gebürtige Berliner Thielemann zum neuen Generalmusikdirektor des Hauses unter den Linden gekürt. Der Live-Dokumentation des Tcherniakov-Rings kommt daher musikalisch Bedeutung zu: Es war eine Weichenstellung, die da vorgenommen wurde. Wie gewohnt, agierte Thielemann mit einem ihm noch unbekannten Klangkörper vorsichtiger, jedenfalls langsamer als zuletzt gewohnt, aber er rückte kein Jota von seinen klanglichen Vorstellungen ab – und triumphierte auf der ganzen Linie, weil die Musiker spürbar mit Lust seinen Ideen folgte und sie in die Tat umsetzte.
Dazu kommt, daß die Sängerbesetzung über weite Teile die erste Wahl für die jeweiligen Partien in unsern Tagen darstellt: Anja Kampe als Brünnhilde etwa und Andreas Schager als Siegfried.
Ob Wagner-Verehrer die Bilder wirklich mehrmals sehen möchte, bleibe dahingestellt – die Tonspur dieses Livemitschnitts bleibt wohl ein bedeutendes Dokument.
Neue CDs, relevant für Festspiel-Gäste
Mallwitz erstmals auf DG
Die Symphonien von Kurt Weill und »Sieben Todsünden«
Die Dirigentin zelebriert ihr Debüt bei der Deutschen Grammophon mit einem bemerkenswerten Album: Beide Symphonien von Kurt Weill, kombiniert mit den »Sieben Todsünden« mit Katharina Mehrling als Diseuse in der Doppelrolle von »Anna und Anna«.
Mallwitz erstmals auf DG weiterlesenWer war Vitezslava Kapralova?
Tschechische Frauenpower
Die Dirigentin Alina Hron veröffentlichte ein CD-Doppelalbum mit dem gesamten Orchesterwerk der frühverstorbenen Vítězslava Kaprálová. Eine junge Interpretin ergreift ihre Chance und präsentiert Musik einer vielversprechenden Komponistin, die in jungen Jahren starb.
Zu entdecken ist auf diesen CDs nicht nur die schöpferische Kraft einer Schülerin von Vitezlav Novák und Vaclav Tálich, sondern auch eine junge Dirigentin, die von manchen arrivierten männlichen Kollegen gefördert wird.
Bruckneriana zum Jubiläumsjahr
Schubert – von Schuen und Heide
André Schuen und Daniel Heide haben ihren Schubert-Zyklus komplettiert.
Mit der Veröffentlichung der »Winterreise« haben André Schuen und Daniel Heide ihren Schubert-Zyklus bei der Deutschen Grammophon vollendet, alle drei Liederzyklen – inklusive des keineswegs vom Komponisten als zusammengehörige Lieder-Folge definierten »Schwanengesangs« – liegen nun vor.
Schubert – von Schuen und Heide weiterlesenKlara Tomljanovic mischt die Gitarre-Szene auf
Ein Parforceritt auf der Gitarre
Die andere Gitarre
Wer da glaubt, die Gitarre sei dazu da, daß man sie zum Lagerfeuer mitbringt, um dort stimmungsvoll draufloszuklimpern, irrt gewaltig: Die Gitarristin Tomljanovic wirft mit ihrem neuen CD-Album alle einschlägigen Vorstellungen vollständig über den Haufen. Pop oder Klassik, das ist hier nicht die Frage: Avantgarde, lautet die Anwort: Sechs zeitgenössische Komponisten haben – zum größten Teil in enger Zusammenarbeit mit der Solistin – neue Stücke für Gitarre geschrieben, die hie und da wirklich völlig neue Klang-Räume eröffnen.
Eine CD als Grenzerfahrung für die Musikerin – wie für ihre Hörer!
William Steinberg Edition
Geboren in Berlin, 1936 emigriert, wurde Wilhelm Steinberg im amerikanischen Exil zu einem der wichtigsten Garanten für den Aufstieg der US-Orchester zur Weltspitze. Für Toscanini hat er das legendäre NBC-Orchester vorbereitet, mit Bronislaw Huberman Israel Philharmonic begründet.
In seinen amerikanischen Jahren hat Steinberg einige viel gerühmte Aufnahmen mit dem Piettsburgh Orchestra gemacht, die von der Deutschen Grammophon nun in exzellenten Digitalisierungen gesammelt herausgebracht wurden. Erinnerungen an einen deutschen Kapellmeister, der die Tugenden seines Handwerks zum Ruhm der amerikanischen Orchestergeschichte einzusetzen wußte.
Schon vor einigen Wochen kamen einige der einstigen Aufnahmen, die Steinberg in Boston für die Deutsche Grammophon gemacht hat, als liebevoll edierte LP-Versionen auf (rein analog produzierten) 180-Gramm-Vinyl-Pressungen heraus – für Audiophile eine Trouvaille, die dank der exquisiten Aufnahmetechnik jener Ära das Orchester in allen Farben und in ungeheurer dynamischer Bandbreite hören läßt – ein idealer Testballon für Hi-Fi-Anlagen. Der Klang ist bei effektvollen Stücken wie Hindemiths »Konzertmusik für Streicher und Blechbläser« oder Holsts »Planten« überwältigend!
Zum Bruckner-Jahr: Aus den Archiven
Zum 200. Geburtstag Anton Bruckners kommen unzählige CD-Novitäten auf den Markt. Zu den erstaunlichsten Serien zählt vielleicht jene, die bei SOMM Recordings erscheint. In mehreren Teilen kommen rare Bruckner-Aufnahmen aus internationalen Archiven – großteils erstmals auf CD – in den Handel. Der exzellente Tontechniker Lani Spahr sorgt für die Digitalisierung, fachkundige Unterstützung bei der Auswahl der Aufnahmen gewährt die Bruckner Society of America.
Am Ende sollen dann alle elf Symphonien und andere wichtige Kompositionen in Interpretationen erhältlich sein, die für Bruckner-Sammler durchaus von Belang sein könnten – wie Vol. 2 der Edition beweist: Da finden wir nebst einer aus musikantischem Geist entwickelte, gleichwohl analytisch klare Darstellung der komplexen e-Moll-Messe unter Karl Forster und, vor allem, eine Aufnahme der zweiten Symphonie unter der Leitung Georg Ludwig Jochums.
Ihn haben Kenner als Bruder des allseits geschätzten Brucknerianers Eugen Jochum im Gedächtnis. Als Chef des Brucknerorchesters hat Georg Ludwig Jochum in den Fünfzigerjahre einige exzellente Bruckner-Aufnahmen gemacht, war damals aber auch außerhalb von Linz aktiv. Die Wiedergabe der Zweiten stammt aus Köln, bedient sich natürlich der damals üblichen, aus den beiden erhaltenen Versionen des Werks kompilierten Spielfassung – darf aber angesichts des dramatischen Impetus und der klugen formalen Disposition als eine der hörenswertesten frühen Interpretationen dieses selten gespielten Werks gelten.