Originell – beziehungsweise very british – nimmt sich schon die Liste der Ausführenden aus: Die »Girl Choristers of Canterbury Cathedral« und »The harmonious society of tickle-Fiddle Gentlemens« singen und spielen unter Robert Rawson die »Chandos Anthems« – aber nicht die berühmten von Georg Friedrich Händel, sondern jene von Johann Christoph Pepusch (1667–1752), dessen Namen man heute nur deshalb noch kennt, weil er einst die Musik zu John Gays Kassenschlager »The Beggar‘s Opera« (1728) – und damit das Vorgängerwerk zu Brecht/Weills »Dreigroschenoper« – geschrieben hat. Und die »Beggar's Opera« wiederum trug zum Ruin von Händels Londoner Opernunternehmen bei.
Händels Ruin
Von diesem Ruin hat sich Händel, man weiß es, wieder erholt – und blieb eine Berühmtheit über die Jahrhunderte. Doch ist es spannend, nun endlich eine andere Komposition des Widersachers Pepusch zu hören, die nachweist, daß der nicht nur über Provokationspotential, sondern auch über eine gehörige Portion handwerklichen Könnens verfügt. hat.
Auch Pepusch war von Deutschland aus nach England gekommen. Schon rüher als Händel, 1697, hatte er die Reise aus Berlin angetreten. Er war nicht zuletzt dafür verantwortlich, daß die italienische Oper in London Fuß fassen konnte – und somit einer jener Männer, die den Grundstein zu Händels späteren Sensationserfolgen gelegt hat. Seit 1714 war Pepusch Musikdirektor des Drury Lane Theatres, für das er »englische Masques nach italienischer Art« schrieb.
Raphaël Pichon hat die bekannte Süßmayr-Fassung von Mozarts Requiem durch Einschübe früherer Mozart-Stücke in ein neues Licht gerückt und uns damit eine bewegende Einspielung des Werks geschenkt.
Pichon beruft sich auf die Traditionsverbundenheit Mozarts, der sein Requiem ganz nach dem Muster vergleichbarer Kompositionen seiner Zeitgenossen (nicht zuletzt Miachael Haydns) skizzierte – mit allen damals üblichen Ingredienzien der katholischen KIrchenmusik, Schlußfugen inklusive.
Sein Schüler Franz Xaver Süßmayr hat das bei Mozarts Tod fragmentarische Werk fertiggestellt. Als Pasticcio ist es uns überliefert – und die vom Meister selbst komponierten Abschnitte sind so stark, so überwältigend, daß sie vergessen machen, daß es sich um eines der großen unvollendeten Meisterwerke der Musikgeschichte handelt. Pichon übernimmt in seiner Neuaufnahme Süßmayrs Partitur, ergänzt seine Interpretation aber durch Interpolation anderer, kaum bekannter Mozart-Stücke.
Igor Levit und Christian Thielemann loten mit den Wiener Philharmonikern in die Tiefen der Klaviermusik von Johannes Brahms. Die Doppel-CD mit den beiden Klavierkonzerten und den späten Solo-Stücken gehört in alle Sammler-Regale.
Solche Neuerscheinungen gibt es nicht oft. Freilich: Diese hat sich angekündigt. Die Live-Aufführungen der Brahms-Konzerte mit Igor Levit und den Wiener Philharmonikern unter Christian Thielemann waren allenthalben Sensationserfolge; und Levits Interpretationen der manchmal kargen, oft sperrigen, hie und da wunderbar melancholisch-verträumten späten Klavierstücke des Komponisten haben die Hörer auch bei den Salzburger Festspielen gefesselt.
Und das Wiederhören via CD verstärkt den suggestiven Eindruck noch: Man sitzt gebannt und lauscht einem Klavierspiel, das sich jeglicher virtuose Geste zugunsten struktureller Klarheit, zugunsten stimmiger Balance zwischen Expression und analytischer Durchdringung entschlägt. Wilhelm Kempff hat so Brahms gespielt – wenn er auch zu ganz anderen Klang-Ergebnissen gelangte. Seither wohl niemand.
Levit läßt sich auch von den wenigen berühmten Nummern der späten Zyklen, allen voran nicht vom A-Dur-Intermezzo oder dem zauberischen Es-Dur-Wiegenlied dazu verleiten, die übrigen, introvertierteren Stücke freundlich »aufzulichten« – eher deckt er in den freundlicheren Lichtungen dieses undurchdringlichen Musik-Waldes allerlei Dornen und Verschlingungen auf. Ein Wunschkonzert ist das nicht, eher schon eine Konzentrations- und Meditationsübung für den Hörer, die allerdings reiche Früchte trägt.
Die holländisch-österreichische Cellistin hat mit den Tonkünstlern unter Martin Sieghart die Konzerte von Dvořák und Elgar aufgenommen – der Klassiker der Cellolitaratur und ein ebenbürtiges Werk, das wenigstens ebenso bekannt sein sollte.
Harriet Krijgh ist eine der sensibelsten Musikerinnen unserer Zeit, die sich hier in allen Facetten der Spätromantik entfalten darf. Die ariosen Elemente der langsamen Sätze sind, das war zu erwarten, ihre Force, vor allem Elgars Adagio-Satz geriet dank Siegharts behutsamer Unterstützung zu einem akustischen Edelstein – der schon von einem entsprechend funkelnden Scherzo-Satz einbegleitet wurde; gerahmt von den beiden ebenso leidenschaftlichen, wie resignativ grübelnden Ecksätzen dieses wunderbaren Konzerts.
Auch die Neueinspielung von Dvořáks berühmtem Gegenstück kann durchaus gegen die notorisch starke Konkurrenz bestehen: Krijgh stellt sich mit bemwerkenswerter innerer Kraft auch den dramatisch-kämpferischen Momenten dieser Komposition – und bewahrt im Verein mit dem Dirigenten und dem hörbar animiert musizierenden niederösterreichischen Orchester die Übersicht über die abenteuerliche Formgebung, die allein aus dem spontanen Erzählduktus zu entwachsen scheint. Der Hörer wird auf eine Abenteuerreise mitgenommen, läßt sich dazu gern verführen und erreicht am Ende – vielleicht erstaunt über den mutigen »Blindflug«, aber zufrieden – den sicheren Hafen
Als der deutsche Meister für den italienischen Kollegen Corelli komponierte – und wie er sich für seine künftige Karriere rüstete: John Butt und sein Dunedin Consort präsentierten »Händel in Rom« und damit Kantaten aus der frühen Reifezeit des Komponisten.
Bevor er zum musikalischen Eroberungsfeldzug schreiten konnte, um als gebürtiger Sachse zum bedeutendsten Komponisten Englands zu werden, mußte Georg Friedrich Händel Station in Rom machen. Er hatte für Hamburg zwar bereits zwei Opern komponiert und war mit der reichen protestantischen Kirchenmusik seiner Heimat bestens vertraut. Aber wer etwas auf sich hielt in der Musikwelt, der mußte sich im katholischen Land der Musik, in Italien, den letzten Schliff geholt haben. Händel war gerade 22 als er in der päpstlichen Metropole ankam – und er mauserte sich in kürzester Zeit zum Lieblingskomponisten einflußreicher Gönner. In der Aneignung war er stets ebenso skrupellos wie genial: Was er an Gewinnträchtigen bei anderen sah, erfuhr unter seinen Händen höchste Veredelung.
John Butt vereint mit seinem Dunedin Consort auf der neuen CD drei italienische Kantaten, in denen sich der künftige Opernmeister ebenso bereits entpuppt wie der Schöpfer edler, selbstvegessener, der puren Schönheit ergebenen Gesangslinien – die hier von der jungen Sopranistin Nardus Williams als willkommene Visitenkarten genutzt werden.
Ein akustischer Gegenpol zu den Feierlichkeiten von Anton Bruckners 200. Geburtstag? Wer da meint, in einer Sammlung von Klavierwerken des Komponisten, die vor der ersten großen symphonischen Arbeit entstanden, lediglich Schüler-Versuche vorzufinden, irrt gewaltig. Es lohnt sich, manche Tracks der neuen CD von Mari Kodama aufmerksam zu hören.
»Parisienne« Klavierkonzerte von Jules Massenet & Maurice Ravel Eloïse Bella Kohn (Klavier), RSO Berlin – Christoph Koncz
Das neue Album der französischen Pianistin Eloïse Bella Kohn konfrontiert eine – hörenswerte, weil exzellente – Neuaufnahme von Maurice Ravels vielgespieltem G-Dur-Konzert mit einer echten Rarität: Jules Massentes 1902 vollendetem, aber auf bedeutend älteren Skizzen basierendem Klavierkonzert.
Für alle, die nach dem Rummel um den »Jahresregenten« doch ein wenig mehr von Schönbergs Musik kennenlernen möchten, ohne sich in Zwölftongefahr begeben zu müssen: eine Neuerscheinung des Labels Pristine. Andrew Rose hat wieder Aufnahmen in Rundfunkarchiven aufgespürt und sie für heikle Ohren technisch famos aufbereitet.
Das Ensemble Rosso Verona Baroque Ensemble unter Pietro Battistoni präsentiert erstmals die Reihe der »Concerti« op. 2 von Giuseppe Torelli auf CD. Wie viel Weile gut‘ Ding doch manchmal braucht …
Martha Argerich, jugendlich auch heute noch, hat gerade wieder in Wien konzertiert. Die Herzen des Publikum fliegen ihr zu wie eh und je – und die ungebrochene Musizierfreude dieser brillanten Pianistin wird auch von immer neuen CD-Produktion dokumentiert. Die neue Reihe »Rendezvous mit Martha Argerich« (Avanti) ist bereits bei Vol. 3 angelangt. Und wieder ist das Ergebnis beglückend, denn die Künstlerin, umgeben von prominenten Freunden und Musikern, die prominent werden könnten, präsentiert sich und ihre Mitstreiter in bekanntem wie unbekanntem Repertoire, durchwegs mit Animo und oft mit Feuer realisiert.