Archiv der Kategorie: Kalender

2. Dezember

Terfels „Holländer“

Die Staatsoper ist zwar geschlossen, aber sie nutzt dafür ihren zuletzt stillgelegten Streamingdienst wieder. Aufmerksame Opernfreunde können hier Vergleiche anstellen. Eine der letzten Vorstellungen, die vor dem jüngsten Lockdown im Haus am Ring stattgefunden haben, war die Wiederaufnahme von Christine Mielitz‘ Inszenierung von Wagners „Fliegendem Holländer“ – mit Bryn Terfel in der Titelpartie.

Der große Baßbariton hat diese Rolle schon 2014 in einer Aufführungsserie gesungen, die damals auch gestreamt wurde. Die Aufzeichnung dieser Vorstellung steht ab heute Abend über die Webseite der Staatsoper für 24 Stunden abrufbar. Es lohnt sich!

Informationen zu Werk und Komponist finden Sie im Archiv der SINKOTHEK

1. Dezember

Rudolf Buchbinder ist 75

Heute feiert Rudolf Buchbinder seinen 75. Geburtstag. Grund genug, dem Wiener Pianisten, der wirklich nur durch Zufall im böhmischen Leitmeritz geboren wurde, aber doch ein waschechter Wiener ist, ein SINKOPHON zu widmen: Stationen einer bemerkenswerten Karriere, vom Wunderkind, das vom damaligen Bundeskanzler Julius Raab gefördert wurde und zum jüngsten Studenten der Wiener Musik-Akademie avancierte, zum polyglotten Pianisten, Dirigenten, Intendanten und Sammler von Autographen, Erstdrucken und Gesamtausgaben.

23. November

Der tägliche Klassik-Tip im Lockdown

Heute: Die Kriminalstory im Hause Schönberg.

Für alle, die heute Abend einen Konzertbesuch geplant hätten eine Empfehlung, sich mit einem der herausragenden Kammermusik-Werke des 20. Jahrhunderts zu beschäftigen: Georg Baselitz hätte in seinem Musikvereins-Zyklus in Wien heute Abend Arnold Schönbergs Streichquartett Nr. 2 präsentiert. Sagen Sie jetzt, bitte, nicht: Um Gottes Willen, nur kein Schönberg! Das Stück bietet faszienierende Klang-Erlebnisse und es lassen sich dazu spannende (Liebes-)Geschichten erzählen.

Gundula Janowitz

Die Engelsstimme in den Ohren der Fachjuroren

Die Rezensenten der Zeitschrift „Gramophone“ verliehen der Sopranistin Gundula Janowitz den Sonderpreis für ihr Lebenswerk.

Wie so vieles, begab sich auch dieses Ereignis ausschließlich im Internet. Und das hat in diesem Fall sein Gutes, denn via YouTube kann nun wirklich jedermann dabei sein bei der Verleihung der „Gramophone Awards“ 2021. Vor allem österreichische Musikfreunde freuen sich, dass die Aufzeichnung auf YouTube jederzeit abrufbar ist. Immerhin haben die Rezensenten der Zeitschrift „Gramophone“ Gundula Janowitz den Preis für ihr Lebenswerk zuerkannt – und schon ihre Dankesrede, aufgenommen in Schuberts Sterbezimmer in Wien, sollte man gehört haben, vor allem ab jenem Moment, in dem die Geehrte vom Englischen ins frei gesprochene Deutsche wechselt: Da bedankt sich eine große Künstlerin, bescheiden geblieben und erfüllt von Musik, die spürbar an das glaubt, was sie sagt – allein das ein Labsal in Zeiten wie diesen . . .

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Zwischentöne

Die feinen Härchen am Pelzkragen der Robe von Maria Callas

An der Mailänder Scala gibt es derzeit ebenso wie in Wien keine Opernaufführungen. Aber im Netz sind beide Häuser präsenter denn je.

Das wird bestimmt auch in den Jahren nach dem Coronastopp eine virtuelle Anlaufstelle für Opernfreunde bleiben: Die Mailänder Scala hat eben eine Vereinbarung mit Google Arts & Culture geschlossen, damit ihre unschätzbar reiche Sammlung an Fotografien für die Welt sichtbar wird.

Für dieses, der ganzen Welt offene, Scala-Museum, abrufbar per Mausklick über die Website des Hauses, hat man mit modernsten Mitteln 259.000 Bilder aus dem Archiv digitalisiert. Sie stehen künftig in höchstmöglicher Auflösung im Internet.

So wird die Geschichte eines der drei oder vier bedeutendsten Opernhäuser der Welt lebendig, das anders als die große Konkurrentin, unsere Staatsoper, immer wieder wichtige Uraufführungen herausgebracht hat.

Zu sehen sind Bühnenbilder, Kostüme, Dokumentationen von legendären Auftritten – etwa vom Konkurrenzkampf zwischen Diven vom Format einer Maria Callas und einer Renata Tebaldi. Außerdem wichtige Manuskripte, die sich im Archiv erhalten haben, beispielsweise das Libretto, das Verdi bei der Komposition seines „Nabucco“ als Vorlage auf dem Schreibtisch vor sich liegen gehabt hat.

So lässt sich nun beispielsweise die Arbeit an einer Opernproduktion mit der großen Callas von der Anprobe mit dem Kostümbildner bis hin zur Archivierung der Roben nach Ende der Stagione studieren. Die hochauflösenden Fotografien ermöglichen Einblicke bis hin zu den einzelnen Härchen am Pelzbesatz.

Google hat für die Abbildungen eine „Art Camera“ mit einer Auflösung von bis zu zwölf Milliarden Pixel verwendet, wie sie für Fotografien von Gemälden verwendet wird.

„Street View“ ermöglicht es Opernkiebitzen überdies, die Handwerker der Scala bei der Arbeit an den Bühnenbildern zu beobachten.

Dominique Meyer, derzeit Intendant der beiden berühmtesten europäischen Opernhäuser, kann zwar weder in Wien noch in Mailand Vorstellungen ankündigen, aber er bringt sowohl die Staatsoper als auch die Scala in Krisenzeiten ihrem Publikum via Internet näher. Während die Scala nun ihre Museumspforten öffnet, schaltet die Streamingplattform www.staatsoperlive.com täglich eine Aufzeichnung aus den vergangenen Jahren frei. Heute, Montag, ist tagsüber noch der „Barbier von Sevilla“ mit Margarita Gritskova und Juan Diego Florez zu sehen, abends gibt es dann Nurejews „Schwanensee“ mit Vladimir Shishov und Olga Esina, morgen „Ariadne auf Naxos“ mit Soile Isokoski, Johan Botha und Daniela Fally unter Christian Thielemann.

Eine kleine Retourkutsche an Wiens Boulevardjournalistik, die zuletzt suggerierte, die jüngste Aufführungsgeschichte der Wiener Oper sei eine Art „Durststrecke“ gewesen . . .

Silja und Sokolow feiern

Unerschrockene Diva trifft skrupulösen Pianisten

In Zeiten von Social Distancing darf man immerhin bei virtuellen Geburtstagsfeiern die divergentesten Musikstars gemeinsam feiern.

Dieser Tage feierten die Musikfreunde weltweit die runden Geburtstage zweier Stars, deren Zugänge zur letztlich doch gemeinsamen Sache unterschiedlicher nicht sein könnten.

Da ist einmal der Pianist Grigorij Sokolow, den man hierzulande sehr spät kennenlernen durfte. Da ist andererseits Anja Silja, die schon als Teenager an der Staatsoper debütierte und ohne divenhafte Allüre zur Operndiva wurde.

Bei Sokolow wussten nur Kenner: Der große Emil Gilels hatte dafür gesorgt, dass unter heftigen Protesten dem damals 16-Jährigen als jüngstem Teilnehmer aller Zeiten der erste Preis beim Moskauer Tschaikowsky-Wettbewerb zuerkannt wurde.

Das war 1966, da hatte die 26-jährige Silja schon die größte Repertoire-Spannweite durchmessen, die je eine Sopranistin auf der Bühne der Wiener Oper durchmessen hatte: Zwischen ihrem Debüt als koloraturenperlende Königin der Nacht bis zur ihrer Darstellung der Elektra – in der Inszenierung ihres Lebensmenschen Wieland Wagner – lagen keine sieben Jahre!

Grigorij Sokolow durfte solch sprühende pianistische Lebensbeweise (noch) nicht geben. Wie manch bedeutendem Künstler vor ihm schoben die Sowjetbehörden seinen internationalen Auftritten einen Riegel vor. Er blieb zunächst ein russlandweit bestauntes Phänomen.

Von der Silja kannten die Opernfreunde weltweit sofort den Namen und bewunderten die temperamentvolle und zu allen inszenatorischen Kühnheiten bereite Singschauspielerin live als Senta, Salome oder Lulu, später nicht zuletzt in psychologisch meisterhaft durchgestalteten Janacek-Partien von der Emilia Marty („Makropulos“) bis zur Küsterin („Jenufa“).

Die Karriere nahm in Bayreuth so richtig Fahrt auf – und dauerte lang. Noch 2015 stand Silja als Gräfin in Tschaikowskys „Pique Dame“ auf der Wiener Staatsopern-Bühne.

Mit ihrem langjährigen Ehemann Christoph von Dohnanyi erarbeitete sie sich auch ein eminentes zeitgenössisches Repertoire.

Grigorij Sokolow hingegen hat sich nach Abwurf der Fesseln, die ihm die kommunistische Diktatur angelegt hatte, mehr und mehr zu einem in sich gekehrten, akribisch an seinen Interpretationen feilenden Künstler entwickelt. Aus seinem Schneckenhaus taucht er nur auf, um sein gerade aktuelles, oft kühne stilistische Querverbindungen ziehendes Programm weltweit aufzuführen. An diesem ist alles, auch der Gefühlstiefgang, bis ins Detail hinein kalkuliert – und geht doch nah.

Die Silja, ganz Bühnenspontaneität, sprang schon einmal in Jochanaans Zisterne, wenn sie merkte, sie würde Salomes Schlussgesang heute Abend nicht bewältigen . . .

Über die kleine Form

Zwischentöne

Von der Kunst, aus dem Kleinsten das Größte zu machen

Wie Beethovens Erben ihre Auswege aus dem schwer überschaubaren Terrain fanden, das er mit seinem Schaffen erobert hat.

9. März 2020

Auch kleine Dinge können uns entzücken“, heißt es in Hugo Wolfs „Italienischem Liederbuch“. Das klingt wie das Motto der deutschen Romantik, die der Musikgeschichte unter anderem die Formenwelten des Charakterstücks bescherte. In bewusstem Gegensatz zu Beethoven, der mit enormen architektonischen Entwürfen – etwa in der Neunten oder der „Hammerklavier-Sonate“ – die klassische Formbeherrschung auf die Spitze getrieben hat.

Vollendet, in den Augen der Nachwelt. Und schwer zu übertreffen. Ein Mann wie Brahms brauchte denn auch vier Jahrzehnte, bis er sich an seine Erste Symphonie wagte. Mit Bruckner war es nicht anders.

Robert Schumann schrieb Symphonien, die eher aus dem Geiste seiner pianistischen Charakterstücke gebildet scheinen – auch durch kunstvoll gefügte Mosaike ließen sich ja größere, zusammenhängende Formen bilden: Der Szenen aus Jean Pauls „Flegeljahre“ verarbeitende „Carnaval“, den Leif Ove Andsnes am Donnerstag im Konzerthaus auf dem Programm hat, beweist das.

Andererseits versucht sich Schumann in der Vierten, die chronologisch gesehen seine Zweite Symphonie ist, an einer zyklischen, aus einem einzigen Grundmotiv entwickelten Struktur, deren Sätze pausenlos auseinander herauswachsen. Franz Liszt übernahm diesen Gedanken für seine große h-Moll-Sonate, die er nicht von ungefähr Schumann zueignete – und die bis in die musikalische Moderne hinein Modell für manch späteren Versuch bleiben sollte. (Schönbergs Erstes Quartett und die Kammersymphonie sind prominente Beispiele.)

Für Schubert, der die pianistische Kleinform als einer der Ersten veredelt hat, war die große Symphonie mit vier voneinander getrennten Sätzen das erklärte Ziel der künstlerischen Wünsche. Über die Kammermusik suchte er es zu erreichen und er experimentierte noch mit ausufernden Formen, als er seine „Große C-Dur-Symphonie“ längst in Partitur gesetzt hatte.

Dem verdanken wir das allerletzte der Schubert’schen Quartette, in G-Dur und schon mit dem atemberaubenden einleitenden Wechsel von Dur und Moll in die harmonische Zukunft weisend. Alfred Brendel, der große Schubertianer, erläutert uns das dramatische Werk im Rahmen des Jeunesse-Auftritts des jungen Simply Quartet: Am 15. März darf man sich im Brahmssaal des Musikvereins eineinhalb Stunden lang in ein Meisterwerk versenken: Die Aufführung folgt pausenlos auf Brendels Vortrag.

Dass Schubert hier seine Antwort auf Beethovens riesenhafte Vorbilder gefunden hat, steht fest – wie weit sich der Jahresregent in Sachen Weitung des Horizonts nicht vielleicht manchmal selbst ausgetrickst hat, davon demnächst mehr . . .