Der neue Tenor-Liebling?
Das Opernarien-Debütalbum des chilenischen Sängers demonstriert eine samtig timbrierte Stimme mit satter Tiefe und Bomben-Höhen im italienischen und französischen Repertoire.
Das ist auch eine Lektion in Sachen Dramaturgie: Zuerst die Stimme. Die Stimme, ganz allein. Sie beschwört den Anblick des Himmels: „Cielo!“ – eine der schönsten Tenorstimmen unserer Tage, da waren sich die Zeugen der ersten Auftritte des in Chile geborenen, in den USA ausgebildeten Künstlers sogleich einig. Jahrgang 1988, schaffte Jonathan Tetelman Mitte der Zehnerjahre seinen Durchbruch. In Europa dauerte es etwas länger. Aber auch hierzulande ist der neue Stern am Opernhimmel aufgegangen: In Wien debütierte er in der szenisch verunglückten „Tosca“ im Theater an der Wien. Kommenden Juni singt er an der Seite von Asmik Grigorian in den Opernzwillingen „Cavalleria rusticana/Bajazzo“ erstmals im Haus am Ring.
Soeben brachte die Deutsche Grammophon Tetelmans erste Arien-CD in den Handel. „Cielo“, singt er zu Beginn, erst dann setzen langsam auch die Streicher des philharmonischen Orchesters von Gran Canaria ein, das unter Karel Mark Chichons Leitung die Stimme in der Folge trägt und anschmiegsam begleitet.
Mit den ersten beiden Tönen gibt Tetelman aber unbegleitet seine Visitenkarte ab: Sein samtweiches Timbre versteht er, man hört es sofort, mit Schmachtlocke zu präsentieren. Vielleicht einen Deut zu viel Vibrato mischt er bei. Doch er kann auch anders. Das verraten schon die folgenden Phrasen der großen Arie des Enzo aus Ponchiellis „La Gioconda“: Tetelman phrasiert mit Eleganz und einem von großen Atemzügen getragenen Schwung.
Ausgebildeter Bariton mit hohem C
Die Stimme sitzt, sie lässt sich offenbar mühelos bis in die Region ums hohe C führen. Dass auch die tiefen Lagen klangschön ansprechen, verdankt sich wohl der Tatsache, dass die Lehrer Jonathan Tetelman für einen Bariton gehalten haben. Als solcher hat er an der Manhattan School of Music seinen Bachelor gemacht. Die spezielle, vergleichsweise dunkle Färbung der Stimme beschwört hie und da – wie auch die manchmal gaumige Tonproduktion – den Vergleich mit Jonas Kaufmann herauf.
Erste Preise errang Tetelman dann jedenfalls bereits als Tenor, der sich das Geld für seine weitere Ausbildung als DJ verdiente. Von daher wohl der Sinn für Dramaturgie, die dieses Debütalbum mit sicherem Instinkt von Nummer zu Nummer geleitet und die gesamte Scheibe zum beeindruckenden Crescendo für Stimmfetischisten macht. Auf die „Gioconda“ folgen große Tenor-Arien von Giordano, Cilea, Zandonai, Mascagni, Puccini und Flotow, aber auch Französisches von Bizet und Massenet.
Und immer wieder Verdi, darunter heikle tenorale Balanceübungen wie Alvaros große Szene aus der „Macht des Schicksals“, die doch auch hören lässt, wie schwierig es ist, ein solches Seelenporträt aus vielen kleinen Miniaturen zum großen, einheitlichen Ganzen zu binden. Die kürzeren, in wenige große Bögen gefassten Bravournummern der veristischen Ära passen Tetelmans Stimme dagegen wie angegossen.
Ein fulminanter „Troubadour“
Und doch steht mit Recht Manricos Finalszene aus dem sechsten Bild des „Trovatore“ am Ende dieser Sammlung. Der Tenor hat die Kollegen Vida Miknevičiūte und José Simerilla Romero mit ins Studio gebeten, um nicht nur Arie und Cabaletta, sondern die gesamte Szene zum großen Finale seiner CD zu machen (allerdings unter Streichung der orgelbegleiteten „Suoni mistici“).
Hier mögen heikle Stilkundler im Falle des „Cantabile“ („Ah si, ben mio“) noch die kraftvolle, sagen wir puccinieske Tongebung monieren. Doch das „Di quella pira“ wird wirklich zur sprichwörtlichen „Stretta“ – mit Feuer, Attacke und akkurat artikulierten Staccati vorgetragen. Und gekrönt von einem schier endlosen hohen C, das zu den Beeindruckendsten seiner Art gehört, die in der jüngeren Vergangenheit im Aufnahmestudio bewältigt wurden.