Aus Paneuropa wurde Israel Philharmonic
Buchkritik. Das Leben des Geigers Bronisaw Huberman, genau recherchiert: Eine Erfolgsgeschichte mit Trauerrand.
Eine „geistige und körperliche Befreiung unserer Bewohner“ war das Ziel – große Worte, gesprochen von einem der berühmtesten Musiker seiner Zeit, der hie und da lieber politische Reden hielt, als dass er auf dem Konzertpodium Beethoven oder Tschaikowsky spielte.
Bronisaw Huberman (1882-1949) war einer der größten Geiger des 20. Jahrhunderts. Er war aber auch ein Mann, der sich leidenschaftlich für Richard Coudenhove-Kalergis Paneuropa-Idee engagierte und deren Popularisierung einen eminenten Anteil seiner Zeit und Energie widmete.
Das war, lang bevor die Zeitläufte Huberman unwiderruflich dazu zwangen, als Pole und Jude Konsequenzen zu ziehen und in Palästina gewissermaßen einen Gegenentwurf zu seinen philanthropischen europäischen Visionen ins Werk zu setzen. Mit demselben Impetus, mit dem er zuvor den paneuropäischen Gedanken verfochten hatte, kämpfte der allseits umworbene Musiker für die Etablierung eines jüdischen Orchesters, aus dem sich später Israel Philharmonic entwickelt sollte.
Eine musikalische Vision in Palästina
Das zunächst utopisch scheinende Projekt ließ sich entgegen allen Unkenrufen realisieren. An jüdischen Musikern mangelte es angesichts der aus den von Hitler (und Stalin) dominierten Territorien fliehenden Menschen ja nicht. Und die Sympathie bedeutender Musiker – allen voran des damals begehrtesten aller Dirigenten – war Huberman sicher: Arturo Toscanini leitete die ersten Konzerte des Orchesters in Palästina und sicherte ihm damit weltweite Publizität.
Das war wohl – den Erfolg und die bis heute wirkende Kraft des Gedankens beiseitelassend – auch künstlerisch nicht das, was sich Bronisaw Huberman erträumt hatte. Aber es demonstrierte die Willensstärke dieses Mannes, von dem es bis vor Kurzem keine umfassende Biografie zu lesen gab.
Im Widerspruch zu Furtwängler
Jetzt ist das anders. Piotr Szalsza, bekannt dank gut recherchierter Kulturdokumentationen, hat das Leben aufgezeichnet. »Bronisaw Huberman« erschien in polnischer Sprache bereits vor fast zwei Jahrzehnten in Hubermans Geburtsstadt Tschenstochau und liegt nun (bei Hollitzer Wien) endlich auf Deutsch vor.
Gerade in Berlin und Wien hatte dieser Künstler vor Hitlers Machtübernahme sein treuestes Publikum. Szalsza zeichnet den Werdegang eines Musikers nach, der schon als Wunderkind sogar den allzeit skeptischen Johannes Brahms überzeugen konnte. Die genaue Überprüfung originaler Dokumente macht aus der Künstlerikone einen Menschen aus Fleisch und Blut mit allen ganz normalen Problemen; und noch einigen mehr: Hubermans Lebensweg ist nicht nur mit triumphalen Erfolgen gepflastert, sondern vor allem mit Prüfungen und Stolpersteinen sonder Zahl.
Szalsza kann all das dokumentieren und bietet den Lesern einen Bilderbogen von romanhafter Dichte und Spannung, über dem man hie und da vergisst, dass es sich hier um eine Geschichte handelt, deren Details Fakten bilden – oft sind es grausame Fakten.
Vor dem Hintergrund der Huberman’schen Familiengeschichte versteht man die rigorose Haltung des Künstlers gegenüber Kollegen besser, die es sich mit Terrorregimen „zu richten versucht“ haben.
Der berühmte Briefwechsel mit Wilhelm Furtwängler liest sich anders in diesem Umfeld, auch die Tatsache, dass für Richard Strauss, der wie Furtwängler in Deutschland blieben war, besonders harte Worte gefunden wurden; wenn auch wohl in Unkenntnis von Strauss‘ familiären Problemen.
Bewegend, von einem Mann zu lesen, der wusste, ab wann jeder Kompromiss ein Sündenfall war. Dass er Karol Szymanowski nach 1933 nicht abhalten konnte, Konzerte in Deutschland zu geben, nannte Huberman „eine der größten Enttäuschungen in meinem Leben“. Schlimmere folgten. Inneren Frieden hat der umjubelte Bronisaw Huberman sein Lebtag nicht gefunden.
Piotr Szalza: Bronisaw Huberman. Hollitzer Verlag, Wien. 504 Seiten.