Schlagwort-Archive: Pausentratsch Oper
Worüber man in der Opernpause diskutieren kann
Mahler und die Oper
Heinz Irrgehers Opern-Buch
Das Universum kreist in Wahrheit ja doch um die Oper
Die Realität in der Musiktheaterwelt definiert sich je nach Perspektive durch Kasseneinnahmen und Spielplangestaltung. Oder doch Star-Termine?
Die Saison ist voll angelaufen. Mittlerweile sind auch die Konzerthäuser aus ihrem Sommerschlaf erwacht. Die Volksoper macht mit ersten Signalen eines Neuanfangs auf sich aufmerksam. Und an der Staatsopern-Kassa prangt seit Langem erstmals wieder in Serie das „Ausverkauft“-Schild. Das ist für die Bundestheater wohl doch die wichtigste Nachricht, auch wenn der eine oder andere Kenner darauf verweist, dass drei vollbesetzte Aufführungen von Puccinis „Bohème“ doch wohl nicht die Absage einer gewichtigen Wiederaufnahme aufwiegen können: Eigentlich sollte ja Halévys „Jüdin“ auf dem Programm stehen.
Aber Schwamm drüber. Wie gut eine Operndirektion ist, darüber gehen die Meinungen ja auseinander. Jeder legt andere Bewertungskriterien an. Deutsche Feuilletonisten und ihre assoziierten heimischen Trabanten suchen nach Regisseurs-Ideen, die sich wortreich beschreiben lassen. Das Publikum will Stars hören, sähe Elīna Garanča als Carmen gewiss mehrheitlich lieber in Franco Zeffirellis altvertrauter realistisch-sevillanischer Kulisse, nimmt aber zur Kenntnis, dass sie heutzutage zwischen Autowracks liebt, leidet und stirbt.
Und jedenfalls war die Neueinstudierung der „Jüdin“ nicht gut verkauft, während die eingeschobenen „Bohème“-Vorstellungen mit Edel-Einspringerin Anna Netrebko bummvoll sind. Dass in diesem Fall die Zeffirelli-Dekors sogar noch vorhanden sind, gilt als willkommene Zuwaag‘; über das Häuflein Ukraine-Demonstranten sieht man gnädig hinweg.
Bei Opern-Aficionados herrschen ja andere Gesetze als im wirklichen Leben — oder sagen wir: in jener Wirklichkeit, die uns medial als solche verkauft wird. Das kann man bei einem wirklichen Connaisseur nachlesen. Heinz Irrgeher, langjähriges Oberhaupt der „Freunde der Wiener Staatsoper“, hat mit hintergründigem Humor seine eigene Entwicklung zum Stehplatzler und profunden Wissenden in Sachen Musik(theater) aufgeschrieben und mit zahlreichen kurzen, kenntnisreichen Feuilletons garniert, in denen Dinge zur Sprache kommen, von denen auch hartgesottene Klassikfreunde keine Ahnung haben. Und dort, wo sie alles zu wissen glauben, werden sie nach der Lektüre von Irrgehers „Wiener Operng’schichten“ (Leipziger Universitätsverlag) schamvoll gestehen, sich überschätzt zu haben!
Wer traditionsbewusst vorn anfängt, den wird der Erzählfluss stets neugierig darauf machen, wie’s weitergeht. Wer das Büchlein aber irgendwo aufschlägt, wird jedesmal Überraschendes entdecken, historische Fakten über beliebte Werke, unbekannte Komponisten und Interpreten, Zahlen zum Thema: Wie viele Menschen interessieren sich überhaupt für Opern? Und Intrigen sonder Zahl, versteht sich.
Von Seite zu Seite wächst die Überzeugung, dass die 400 Jahre von Monteverdi bis Krenek die wichtigste Epoche in der Entwicklung des Homo sapiens waren. Und spätestens bei der Lektüre der bewundernswerten Studie über die Poesie des späten Richard Strauss ahnt, wer Heinz Irrgeher kennt, dass der Autor schon sein nächstes Buch in Planung hat: Es wird dann mit Sicherheit verraten, wo die hier so subtil beschriebene „Mondscheinmusik“ eigentlich herkommt . . .
Tetelmans Debüt-Album
Der neue Tenor-Liebling?
Das Opernarien-Debütalbum des chilenischen Sängers demonstriert eine samtig timbrierte Stimme mit satter Tiefe und Bomben-Höhen im italienischen und französischen Repertoire.
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Das ist auch eine Lektion in Sachen Dramaturgie: Zuerst die Stimme. Die Stimme, ganz allein. Sie beschwört den Anblick des Himmels: „Cielo!“ – eine der schönsten Tenorstimmen unserer Tage, da waren sich die Zeugen der ersten Auftritte des in Chile geborenen, in den USA ausgebildeten Künstlers sogleich einig. Jahrgang 1988, schaffte Jonathan Tetelman Mitte der Zehnerjahre seinen Durchbruch. In Europa dauerte es etwas länger. Aber auch hierzulande ist der neue Stern am Opernhimmel aufgegangen: In Wien debütierte er in der szenisch verunglückten „Tosca“ im Theater an der Wien. Kommenden Juni singt er an der Seite von Asmik Grigorian in den Opernzwillingen „Cavalleria rusticana/Bajazzo“ erstmals im Haus am Ring.
Soeben brachte die Deutsche Grammophon Tetelmans erste Arien-CD in den Handel. „Cielo“, singt er zu Beginn, erst dann setzen langsam auch die Streicher des philharmonischen Orchesters von Gran Canaria ein, das unter Karel Mark Chichons Leitung die Stimme in der Folge trägt und anschmiegsam begleitet.
Mit den ersten beiden Tönen gibt Tetelman aber unbegleitet seine Visitenkarte ab: Sein samtweiches Timbre versteht er, man hört es sofort, mit Schmachtlocke zu präsentieren. Vielleicht einen Deut zu viel Vibrato mischt er bei. Doch er kann auch anders. Das verraten schon die folgenden Phrasen der großen Arie des Enzo aus Ponchiellis „La Gioconda“: Tetelman phrasiert mit Eleganz und einem von großen Atemzügen getragenen Schwung.
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