Zwischentöne
Von der Kunst, aus dem Kleinsten das Größte zu machen
Wie Beethovens Erben ihre Auswege aus dem schwer überschaubaren Terrain fanden, das er mit seinem Schaffen erobert hat.
9. März 2020
Auch kleine Dinge können uns entzücken“, heißt es in Hugo Wolfs „Italienischem Liederbuch“. Das klingt wie das Motto der deutschen Romantik, die der Musikgeschichte unter anderem die Formenwelten des Charakterstücks bescherte. In bewusstem Gegensatz zu Beethoven, der mit enormen architektonischen Entwürfen – etwa in der Neunten oder der „Hammerklavier-Sonate“ – die klassische Formbeherrschung auf die Spitze getrieben hat.
Vollendet, in den Augen der Nachwelt. Und schwer zu übertreffen. Ein Mann wie Brahms brauchte denn auch vier Jahrzehnte, bis er sich an seine Erste Symphonie wagte. Mit Bruckner war es nicht anders.
Robert Schumann schrieb Symphonien, die eher aus dem Geiste seiner pianistischen Charakterstücke gebildet scheinen – auch durch kunstvoll gefügte Mosaike ließen sich ja größere, zusammenhängende Formen bilden: Der Szenen aus Jean Pauls „Flegeljahre“ verarbeitende „Carnaval“, den Leif Ove Andsnes am Donnerstag im Konzerthaus auf dem Programm hat, beweist das.
Andererseits versucht sich Schumann in der Vierten, die chronologisch gesehen seine Zweite Symphonie ist, an einer zyklischen, aus einem einzigen Grundmotiv entwickelten Struktur, deren Sätze pausenlos auseinander herauswachsen. Franz Liszt übernahm diesen Gedanken für seine große h-Moll-Sonate, die er nicht von ungefähr Schumann zueignete – und die bis in die musikalische Moderne hinein Modell für manch späteren Versuch bleiben sollte. (Schönbergs Erstes Quartett und die Kammersymphonie sind prominente Beispiele.)
Für Schubert, der die pianistische Kleinform als einer der Ersten veredelt hat, war die große Symphonie mit vier voneinander getrennten Sätzen das erklärte Ziel der künstlerischen Wünsche. Über die Kammermusik suchte er es zu erreichen und er experimentierte noch mit ausufernden Formen, als er seine „Große C-Dur-Symphonie“ längst in Partitur gesetzt hatte.
Dem verdanken wir das allerletzte der Schubert’schen Quartette, in G-Dur und schon mit dem atemberaubenden einleitenden Wechsel von Dur und Moll in die harmonische Zukunft weisend. Alfred Brendel, der große Schubertianer, erläutert uns das dramatische Werk im Rahmen des Jeunesse-Auftritts des jungen Simply Quartet: Am 15. März darf man sich im Brahmssaal des Musikvereins eineinhalb Stunden lang in ein Meisterwerk versenken: Die Aufführung folgt pausenlos auf Brendels Vortrag.
Dass Schubert hier seine Antwort auf Beethovens riesenhafte Vorbilder gefunden hat, steht fest – wie weit sich der Jahresregent in Sachen Weitung des Horizonts nicht vielleicht manchmal selbst ausgetrickst hat, davon demnächst mehr . . .