Tristan und Isolde
Kompromisse für die kompromisslose Musik
Welche Interpreten Wagners Kühnheiten am eindrucksvollsten herausarbeiten.
Die Kunde von der angeblichen Unaufführbarkeit des „Tristan“ hat sich seit dem spektakulären Scheitern der Kräfte der Wiener Hofoper anno 1863 als eine Art imaginärer Bannfluch erhalten. Zwar steht das Werk seit Ende des 19. Jahrhunderts ständig im Repertoire der großen Opernhäuser in aller Welt, doch macht vielleicht kein anderes Standardwerk – nebst „Siegfried“, „Götterdämmerung“ und „Frau ohne Schatten“ – derartige Probleme, adäquate Besetzungen zu finden.
Davon künden auch die zahlreichen Gesamtaufnahmen, von denen es einige immerhin in den Rang von Schallplattenlegenden geschafft haben, voran die Londoner Studio-Einspielung von 1952 unter Wilhelm Furtwängler mit Ludwig Suthaus und Kirsten Flagstad in den Titelpartien. Deren digital restaurierte Umschnitte auf CD waren von Anfang an mit dem Makel der haltlosen Geräuschfilterung behaftet, die der Aufnahme jeglichen klanglich-farblichen Reiz nahm (aber deutlich hörbar werden ließ, dass die hohen C nicht von der Flagstad, sondern von Elisabeth Schwarzkopf gesungen wurden.)
Was historische Aufnahmen betrifft, muss der Musikfreund zu abstrahieren wissen: Aus einer technisch völlig unzulänglichen Gesamtaufnahme aus der Mailänder Scala von 1951 lässt sich beispielsweise heraushören, wie vulkanös Victor de Sabata einst die Partitur zum Klingen gebracht haben muss. Dieser Mitschnitt profitiert freilich auch von der Gestaltung der Tenorpartie durch Max Lorenz.
Ihn, vor allem die Fiebermonologe im dritten Akt, sollte man gehört haben, wenn man mitreden möchte, was vokale Gestaltung bei Wagner vermag. Am wenigsten gestört durch Unbilden der Technik ist man bei der 1943 in Berlin entstandenen Rundfunkproduktion unter Robert Heger (Preiser).
Die Diskrepanz zwischen der Anmutung eines jungen, verliebten Paars und der Realität der Partitur, die zarten, lyrischen Stimmen keine Chance lässt, führte zumindest im Plattenstudio wiederholt zu Versuchen, die Hauptpartien möglichst „leicht“ zu besetzten. Am kühnsten unter Carlos Kleibers Leitung in Dresden. Drei Jahre lang laborierte man im Studio daran herum, der Dirigent war bis zuletzt nicht zufrieden; immerhin gelang es, den lichten Sopran von Margaret Price mit dem Tenor von Rene Kollo kunstvoll ins duftige Klanggespinst einzuweben, das Kleiber mit der Staatskapelle zu weben wusste: ein artifizielles Produkt, doch faszinierend (DG).
Kompromisse fordert „Tristan“ allenthalben. Wer das Werk in Studioqualität zu hören wünscht und doch auf Bühnenpräsenz und reale Klangverhältnisse nicht verzichten will, ist immer noch mit Karl Böhms Bayreuther Aufnahme am besten bedient: Birgit Nilsson, Wolfgang Windgassen und die unvergleichliche Christa Ludwig durften damals jeden Akt an einem anderen Tag, aber in einem Zug aufnehmen; und Böhm verstand sich auf Dramatik und Espressivo ebenso wie auf formale Balance (DG).
Wer sich nach diesem Hörerlebnis eine Videoversion mit der Nilsson und unter Böhms Leitung wünscht, kann fündig werden: Hardy Classic veröffentlichte eine DVD mit der Aufzeichnung der von Nikolaus Lehnhoff inszenierten Festspielaufführung in Orange, 1973. Da ist die Primadonna immer noch in Hochform und singt an der Seite des einzigartigen Jon Vickers, der nicht zuletzt den Fiebermonolog im dritten Aufzug zu einer theatralisch-rezitatorischen Sensation macht. Das ist hörens- und sehenswert, auch wenn das von Böhm leidenschaftlich angefachte Pariser Nationalorchester von der Aufnahmetechnik arg unterbelichtet wurde. Einmal akkomodiert, kann sich das Ohr des Kenners die Dinge zurechthören.