Herr der schönen neuen Klänge
Der Wiener Komponist Heinz Karl Gruber feiert am 3. Jänner seinen Achtziger. Weltweit wird er von Interpreten umworben, denn er weiß um die rechte Musikbalance.
»Die Presse« 3. Jänner 2023
Im November dieses Jahres wird Heinz Karl – genannt: Nali – Gruber seinen 45. Geburtstag feiern. Also, aus internationaler Perspektive betrachtet. Der Wiener Musiker kam zwar vor genau 80 Jahren am 3. Jänner 1943 zur Welt. Aber im November 1978 dirigierte Simon Rattle in Birmingham die Uraufführung der Suite „Frankenstein!!!“
Die Nachricht von dieser Novität, die in gar kein Schema der sogenannten Neuen Musik passen wollte, verbreitete sich weltweit. Da war ein junger Österreicher, sozusagen subversiv in alle Richtungen: Das Stück auf provokante und nicht gerade bürgerlich gemütliche Texte von H. C. Artmann war musikalisch auch eine Kampfansage an die gängigen Dogmen und Ismen der Avantgarde. Die hatte mit ihren, sagen wir’s grob vereinfacht, Dissonanz-Agglomerationen längst das Publikum gegen sich aufgebracht.
Sicher zwischen allen Stühlen
Nali Gruber wollte mit dem, was von Gnaden der Musikphilosophen für einen zeitgemäßen Komponisten erlaubt war, so wenig zu tun haben wie mit verstaubten rückwärtsgewandten Ideen etwelcher Art. Er hatte etwas mitzuteilen. Das wusste er schon als Mitglied der Wiener Sängerknaben, der Lieder singend um die Welt reiste. Chorleiter Ferdinand Grossmann gab den Startschuss: Welche musikalische Laufbahn sein Schützling auch immer einschlagen wollte, zunächst sollte er Musiker werden. Und: Mit seinen Riesenhänden gäbe es für ihn nur ein Instrument: Kontrabass!
Tatsächlich saß Gruber dann schon als Teenager in Wiener Orchestern, aber auch in Friedrich Cerhas Avantgarde-Ensemble „die reihe“ und es erwies sich, dass Grossmanns Prophetie richtig war: Als Mitglied jener Instrumentengruppe, die dem Musikleben das Fundament legt, absolvierte Gruber sein Kompositionsstudium nicht theoretisch wie die meisten Kollegen, sondern in der manchmal inspirierenden, oft routinierten, hie und da brutalen Realität der Konzertpodien. Der Kontakt mit den Kollegen half ihm, die Klänge, die er sich am Arbeitstisch erträumte, so zu notieren, dass sie spielbar waren.
Und der tägliche Umgang mit viel gespielten Meisterwerken des Repertoires, aber auch mit jüngsten Kreationen, inspirierte ihn zu neuen Abenteuern. Die Klangreisen führten ihn in Regionen, die Erinnerungen an ferne Tage ebenso beschwören wie sie jüngst erschlossenes Terrain nutzen. Wie man Neues schafft, ohne dass das Publikum den akustischen Verständnisfaden verliert, das lernte Gruber nicht zuletzt vom Kollegen Kurt Schwertsik, der ihm einmal riet: „Wenn du gerade nicht weißt, welche Musik du komponieren sollst, dann schreib einfach die Musik, die du selber hören möchtest.“ Was klingt wie eine Binsenweisheit, gehört in unseren Tagen zur Kür für einen musikalischen Handwerker.
Gruber hat sie bewältigt. Die Kunde von einem, der kreativ sein konnte, ohne die Ohren der Zuhörer zu malträtieren, verbreitete sich rasch. Bedeutende Solisten engagierten sich für Grubers Werke. So sorgte der Trompeter Håkan Hardenberger dafür, dass das Konzert „Aerial“ zu einem der meistgespielten Stücke wurde. Und Meistercellist Yo Yo Ma sandte einen Brief ins künstlerische Refugium hoch über dem Kamp im Waldviertel: „Ich höre, Sie haben einen Auftrag für ein Orchesterwerk bekommen. Falls das zufällig ein Cellokonzert werden sollte, wird die Uraufführung am 3. August 1989 stattfinden.“ Charmanter ist wohl noch keine Novität auf den Weg gebracht worden.
Dass auch dieses Cellokonzert rechtzeitig fertig wurde, verdankt sich dem Arbeitseifer des Komponisten, der skrupulös über jedem Takt seiner Musik brütet, bis er seiner Wahrheit entspricht. Getreu dem Prinzip von Grubers „Gott“ Strawinsky über das Verhältnis von Inspiration und Transpiration. Letztere hört man Grubers Musik nie an. Das garantiert, dass ihn auch im 46. Jahr seines internationalen Komponistenlebens die Interpreten umwerben werden, damit er seinem Publikum Freude bereiten kann.