APPLAUS-KULTUR

Von Applaus und schlechtem Stil

Tosender Jubel nach dem ersten Akt! Doch soll man den Opernabend nicht vor dem Fallen des letzten Vorhangs loben. Nur eine knappe Stunde später hatte der Wotan die Stimme verloren, ging aber dankenswerterweise nicht ab, sondern stand seine Qualen bis zum Aktschluss durch. Die letzten Zeilen, die Wagner seinem Göttervater zudenkt, sparte sich der Sänger. Er brachte keinen Ton mehr heraus. Dafür stürmte das Orchester umso heftiger. Wotans Zorn wurde zur akustischen Realität. Doch im Publikum wussten einige besonders feinfühlige Zeitgenossen nichts Besseres, als das vokale Hinscheiden eines Darstellers mit heftigen Buhrufen zu quittieren.

Dergleichen ist angesichts der Leistung, die von Sängern und Musikern rundum erbracht wurde, so unerfreulich wie angesichts des Pechs, das ein verdienter Sänger hatte, der diese Partie zwischen Aix en Provence und Florenz, aber auch in der Wiener Generalprobe bereits mit beachtlichem Erfolg gesungen hat. Wie auch immer: Da war ein arger Unfall passiert. Man kann einen solchen auch ungehobelt kommentieren.

Dass am Ende der Vorstellung aber auch die Darstellerin der Brünnhilde mit Buhrufen bedacht wurde, stimmt bedenklich. Denn da ging es nicht um die Bewertung einer Leistung, sondern um Geschmacksfragen, die wohl diskutiert werden, aber nicht mit Schmähungen einhergehen dürfen. Man kann darüber unterschiedlicher Ansicht sein, welches Timbre eine Brünnhilde in der „Walküre“ haben soll und darf, ob ihre Stimme etwa prinzipiell schwerer und dunkler sein müsse als jene der Sieglinde. Das kann sich sogar auf die Stärke des Applauses auswirken, denn wer eine ästhetische Ansicht nicht teilt, kann seine Zustimmung verweigern. Eine Sängerin aber auszubuhen, obwohl sie gegen die Anforderungen der Partitur eine tadellose Leistung erbracht hat, nur weil einem ihre Stimmfarbe nicht passt, das ist schlicht und einfach unfair, ungezogen und des angeblich nach wie vor so kundigen Wiener Musikpublikums nicht würdig.