Richard Strauss‘ Stefan-Zweig-Oper ist ein Sorgenkind des Repertoires
Premiere, Wien – Dezember 1996
Die Ehrenrettung für Richard Straussens späten Versuch einer »komischen Oper« dürfte der Wiener Staatsoper wieder nicht gelungen sein. Das Stück, das man gespielt hat, ist nur andeutungsweise mit dem von Strauss verwandt. Es erntete jedoch einen rauschenden Premierenerfolg.
Richard Strauss war überzeugt, daß ihm mit seiner schweigsamen Frau der ersehnte Wurf gelungen war: Er wollte mit einer heiter-besinnlichen Oper beweisen, daß der Operette vergleichbar Erfolgsträchtiges, wenn auch Qualitätvolleres an die Seite zu stellen war, komponierte viele kleine, in sich abgeschlossene Formen, Miniaturarien, schmucke Duette, feinziselierte Ensembles.
Der Rotstift wütet
Diesen Hang zur alten Opera buffa hat man ihm anno 1934 nicht mehr abgenommen.
In beinahe jeder einzelnen Nummer wütete schon Uraufführungs-Dirigent Karl Böhm bei späteren Eisntudierungen (unter anderem einer viel gerühmten bei den Salzburger Festspielen) mit dem Rotstift.
Die Gesamtstruktur wurde bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt.
Die Neuproduktion der Wiener Staatsoper macht da keine Ausnahme.
Zerstörte StrukturenEin Beispiel: Der erste Akt, für den Richard Strauss eine raffiniert geschichtete, immer rasanter sich zuspitzende Stretta komponiert hat, schließt, stark verkürzt, lediglich mit einem kleinen Ausschnitt dieser architektonischen Konstruktion, der jäh über das Geschehen hereinbricht; als wollte man mit dem Holzhammer die Pause herbeiführen.
Mag sein, daß solche Streichungsaktionen lediglich eine Reaktion auf die eigentliche Schwäche dieser Oper darstellen: Strauss wurde, was ihm selbst ein Leben lang bewußt war, als »guter deutscher Meister« über jeder Sache »schwerer« als nötig.
Ballast nach Noten
Der erstrebte »leichte Ton« dieser komischen Oper wird mit postwagnerianischem Zungenschlag angestimmt. Das Orchester, oft voll des subtilen Kontrapunkts, erreicht nur mit Mühe die Duftigkeit, von der Komponist und wohl auch Dirigent in diesem Fall träumen.
Horst Stein wirkt mit den Philharmonikern, im ersten Akt vor allem, wahre Wunder an klanglicher Durchleuchtungsarbeit. Dennoch assoziiert man eher die Meistersinger als Lortzing.
So ist’s.
So bleibt’s offenbar auch.
Marellis Regie
Regisseur Marco Arturo Marelli tut ein übriges, sich von der Partitur zu distanzieren, resultiert doch deren klangliche Überfrachtung nicht zuletzt daraus, daß Richard Strauss in vielen Szenen jede szenische Regung in Musik umzusetzen trachtete: vom Staubwedel der Haushälterin bis zu den Bewegungen des Rasiermessers und dem Gekrächze eines Papageis.
All das (der Papagei eingeschlossen) ist bei Marelli nicht zu sehen.
So schleppt das Orchester viel Ballast mit sich, der mangels optischer Parallelaktion völlig sinnlos bleibt.
Die Inszenierung setzt lediglich um, was Librettist Stefan Zweig suggeriert.
Das aber tut sie feinsäuberlich, bis hin zur begreiflichen Zögerlichkeit, mit der die Titelheldin im Mittelakt an ihr brutales Werk geht: Sie muß sich von der schüchternen Timida in einen veritablen Drachen verwandeln.
So setzt sie dem armen Sir Morosus mit Lärmorgien derart zu, daß er zuletzt, nur um Ruhe im Elfenbeinturm (Bühne: Dagmar Niefind-Marelli) zu haben, seinem zunächst enterbten Neffen wieder alle Silberschätze vermacht.
Koloraturwunder Dessay
Just jener Moment der Verwandlung ist der einzige Schwachpunkt des neuen Koloraturwunders Natalie Dessay: Für den heftigen Ausbruch fehlt der zarten Französin die Durchschlagskraft.
Im übrigen aber bewältigt sie alle Ansprüche der Partie, vom weichherzigen Mitleidston über barocke Koloraturkaskaden bis zum sanft verschwebenden hohen Des am Ende des Mittelakts bewundernswert.
Kurt Rydl mag sich trösten: Das Pendant, vier Oktaven tiefer, ist schon anderen Bassisten in die Binsen gegangen. Sein Sir Morosus hat dafür vor allem gegen Ende der Oper wahrhaft große Momente, bringt berührend innigen, warmherzigen Ton ins Spiel.
Michael Schade ist mit lyrischem Schmelz der Neffe, der – die Striche machen es möglich – in Sachen Beweglichkeit und Höhensicherheit nicht, wie von Strauss geplant, mit der Titelheldin in Konkurrenz treten muß, der den verbliebenen Rest seiner Partie aber wunderschön singt.
»Barbier« Skovhus
Bo Skovhus gibt den Drahtzieher der Komödie, Barbier Schneidebart, zunächst wortundeutlich und mit einigen Problemen in der Tiefe, nach und nach aber in der ihm eigenen, quirligen Brillanz, die ihm die ganze Sympathie des Publikums sichert.
Ein Rest barocker Lust
Hervorragend die Schauspielertruppe mit Ildiko Raimondi, Gabriele Sima, Peter Weber, Roland Schubert und Alfred Sramek – jeder für sich und, was hier besonders wichtig ist, alle miteinander perfekt.
Daß Anna Gonda als Haushälterin unerträglich geschwätzig sein sollte, erfährt man nur aus dem Text, ein nicht geringer Teil ihrer Partie ist gestrichen.
Darstellerisch liefert sie ein Kabinettstück.
Josef Borbely wandert als Clown auf den Händen über die Bühne – der einzige Rest barocker Theaterlust, die Zweig und Strauss auch auf die Bühne bringen wollten. Was sonst von der Schweigsamen Frau blieb, war diesmal höchst erfolgreich. Der Staatsoper ist also zu gratulieren.
Die Frage, ob man das Werk einmal wirklich zu hören und zu sehen bekommen wird, ob man dann des Komponisten musikalische Absichten und nicht nur die nationalsozialistischen Begleitumstände der Uraufführung diskutieren können wird, bleibt unbeantwortet.