Staatsoper, live

»Gespräche der Karmeliterinnen«

Musikalisch umjubelt, szenisch (Magdalena Fuchsberger) fragwürdig – wer sich ein Bild von der neuen Staatsopern-Produktion machen möchte, hat am Mittwoch Gelegenheit dazu: MyFidelio überträgt die zweite Aufführung der Neuinszenierung von Francis Poulencs »Dialogues des Carmélites« unter Bertrand de Billy aus dem Haus am Ring.

INFORMATIONEN FÜR ALLE, DIE DAHEIM ZUSCHAUEN

myFidelio überträgt am 24. Mai

Zur Rezension von Walter Weidringer in der »Presse«

In Wien blicken Poulencs »Karmeliterinnen« auf eine reiche Aufführungstradition zurück. In der Ära Karajan kam das Stück bald nach seiner Pariser Uraufführung auf die Bühne der Staatsoper. Jahrzehnte später gab man das Werk im Theater an der Wien – unter der musikalischen Leitung von Bertrand de Billy, der auch die Neuproduktion im Haus am Ring, 2023, betreute. Die Einstudierung von 2008 an der Wien war so erfolgreich, daß sie drei Jahre später noch einmal aufgenommen wurde.

DIE REZENSION VON 2008

Kritik der Wiener Premiere von 2008

Ein halbes Jahrhundert lang hat man in Wien Poulencs »Gespräche der Karmeliterinnen« keiner Neuinszenierung für wert befunden. Erstaunlich, denkt man nach dieser, denn die Inszenierung Robert Carsens, schon um die halbe Welt gegangen, entdeckt auch für Wien eines der bedeutendsten Musiktheater-Werke des 20. Jahrhunderts.

Freilich bedarf es zu solcher Wertung eines Dirigenten wie Bertrand de Billy. Die Klangerzählung seines Radiosymphonieorchesters, farbenprächtig, rhythmisch brisant artikuliert und von ausdrucksstarker Eloquenz, führt das Publikum mit nie versiegender Intensität durch einen dreistündigen Abend voll Emotionen, dunkler Ahnungen, apokalyptischer Visionen.

Die Geschichte

Kampf um die menschliche Erhabenheit

Die Geschichte der Nonnen aus Compiegne, die im Gefolge der Revolutionswirren 1794 freiwillig aufs Schafott gingen, weil sie ihrem Glauben nicht abschwören wollten, ist zur Parabel für den Kampf um Aufrichtigkeit und Wahrheit in Zeiten der Bedrängnis geworden.

Gertrud von le Fort hat 1931 zur historischen Begebenheit die Figur der angstgetriebenen Adligen Blanche hinzuerfunden und damit die notwendige Identifikationsfigur für ein anrührendes Drama geschaffen, das Georges Bernanos dann formte. Sein Filmdrehbuch wurde für Francis Poulenc 1953 zum Libretto. Eine Oper ohne Liebesgeschichte ist daraus geworden.

Bemerkenswerter Weise wird auch im paulinischen Sinn nur vom Glauben und der Hoffnung gesprochen, diesen zweien, und man denkt angesichts der Seelenqualen, denen die Karmeliterinnen im Kampf um ihre Überzeugungen ausgesetzt sind, vielleicht an Ernst Jüngers knapp-eindringliche Sentenz:

Auf alle Fälle führt die Hoffnung weiter als die Furcht.

Oder an Stifters

Das Tier hat gefürchtet, der Mensch hat angebetet.

Starke Szenen

Die schweren Kämpfe, die auszufechten sind, jene Erhabenheit des Menschen zu erringen, symbolisieren sich im Schicksal der Blanche. Sie geht ins Kloster, um von ihren Angstträumen erlöst zu werden – schließt sich nach einem veritablen Purgatorium aus freien Stücken dem Todesgang ihrer Mitschwestern an.

Nun läßt sich kaum behaupten, das von Jaspers ausgerufene »Zeitalter der Angst«, von W. H. Auden im wahrsten Sinne des Wortes poetisch »verdichtet«, sei nach 1945 irgendwann zu Ende gegangen. Die Reaktion des Publikums auf Poulencs Oper, die dieser Angst Bild und Klang verleiht, beweisen, als wie aktuell solch künstlerischer Befund empfunden wird.

Impressionen einer starken Aufführung

Tatsächlich berührt eine Passage wie die Sterbeszene der Priorin, die Anno 2008 im Theater an der Wien die große Gestalterin Marjana Lipovšek filmreif zu einem Psychothriller ausgestaltet, nicht zuletzt wegen des verzweifelten Nihilismus, den sie den entsetzten jungen Schwestern vor Augen führt.

Angesichts des Todes schwindet da jegliche Hoffnung – und doch gelingt es Blanche den Gegenpol zu erreichen, geleitet von der positiven Aura der Lichtgestalt Constance (2008 mit Jubel und inniger Strahlkraft im Sopran von Patricia Petibon), aber auch den starken Charakteren der Mutter Marie (respektgebietend bis in dramatische Ausbrüche: Michelle Breedt) und Madame Lidoine, die Heidi Brunner dank innerer Größe zur charismatischen Führungsfigur wachsen ließ.

Kreuzweg gegen die Angst

Sally Mathews bringt es zuwege, diese Figur von den hysterischen Angstschreien – jeder Schatten im väterlichen Haus des souveränen Marquis de la Force von Jean-Philippe Lafont wird als Bedrohung empfunden – bis hin zur Läuterung packend zu zeichnen.

Der Stationen auf diesem Kreuzweg sind viele, von wütender Auflehnung zu bewundernswerter Beharrungskraft im Dialog mit dem Sicherheit suggerierenden Bruder, dessen vergeblichen Besuch im Kloster Yann Beuron so prägnant gestaltet wie Dietmar Kerschbaum den getriebenen, unter dem Zugriff der (sämtlich untadelig singenden und gestaltenden) Revolutions-Helfer aber pragmatischen Beichtvater.

Eine rundum so stimmige Opernpremiere verzeichnen die Wiener Annalen nicht häufig. In Michael Levines simplem schwarzem Raum, in dem jeweils wenige Versatzstücke das passende Ambiente für die realistische Darstellung andeuten, tun Singschauspielerinnen ersten Ranges, der Schönberg-Chor und das engagierte RSO, geführt von einem exzellenten Dirigenten, als sei dergleichen geradezu selbstverständlich!

AUS EINEM DIALOG MIT PATRICIA PETIBON

Die Sopranistin Patricia Petibon über ihre »lebenslange« Faszination von diesem Werk.
Petibon hat sowohl die Schwester Constance, als auch – später – die Blanche gesungen. Früh in ihrer Karriere wußte sie bereits, daß die Karmeliterinnen sie nie loslassen würden.

Aus einem Gespräch (2008)

Als Einspringerin übernahm Patricia Petibon 2008 die Partie der Schwester Constance:
„Die habe ich schon in verschiedenen Inszenierungen gesungen, etwa in der Produktion von Marthe Keller an der Pariser Bastille-Oper. „Die Constance“, sagt Petibon, „ist vielleicht die Lichtgestalt in diesem finsteren Stück, jedenfalls hat sie sich ihren Instinkt hinter den Klostermauern bewahrt. Sie will auch nicht sterben, aber sie gibt ihr Leben zuletzt hin für Gott und für ihre Nächsten. Wenn man so will, hat sie auch ein bisschen etwas Verrücktes in sich, während Blanche, die Zentralfigur, sich vor allem fürchtet und ihre eigene Mitte, sich selbst, erst im allerletzten Moment findet.“

Karmeliterin bis ans Lebensende
Diese Blanche, sagt Patricia Petibon, „wird bestimmt auch einmal zu meinen Rollen gehören. Später vielleicht auch eine der älteren Schwestern – ich möchte, dass mich dieses faszinierende Stück durch mein Leben begleitet.“ Besonders fesselnd für die Singschauspielerin Petibon ist an Poulencs Werk die Tatsache, dass sämtliche Darstellerinnen als Nonnen durchs Stück wandeln, also kaum die Chance haben, durch ihre Erscheinung zu wirken. Womit in der Kunst einer Sängerin, die sogar den Konzertsaal zur Bühne macht, sozusagen der Gegenpol erreicht wäre: „In den Karmeliterinnen ist man nichts durch seine Erscheinung“, sagt sie. Hier gilt’s der Gesangskunst allein.