1878/79
- Gemäßigt
- Scherzo. Schnell
- Adagio
- Finale. Lebhaft bewegt
Das Streichquintett ist der einzige Beitrag des reifen Anton Bruckner zum Kapitel Kammermusik. Oft ist auch behauptet worden, das Werk sei in Wahrheit eine verkappte Symphonie – und doch: Nur weil der Komponist seine unverwechselbaren stilistischen Eigenheiten auch bei diesem Werk für fünf Streicher hören läßt, bedeutet das nicht, daß er eine Art Reduktions-Fassung eines klanglich größer angelegten Werks vorgelegt hätte. Die Komposition ist durchaus kammermusikalisch angelegt. Bruckner betrachtete sie vielleicht nach den immensen Anstrengungen, die ihn die Komposition seiner ersten fünf numerierten Symphonien gekostet hatte – die ja in einem großen Zug bis 1878 entstanden waren, als eine Art künstlerisches Intermezzo.
Was die Besetzung betrifft, greift Bruckner – wie später auch Johannes Brahms – auf Mozarts Gewohnheit zurück, zwei Violinen, zwei Bratschen und ein Cello vorzuschreiben. Anders als der berühmte Solitär Franz Schuberts, wo anstelle der Bratsche ein zweites Cello eingesetzt wird.
Joseph Hellmesberger
Von den Symphonien unterscheidet sich das Quintett Bruckners auch noch durch den in seiner Biographie einzigartigen Umstand, daß es das einzige groß angelegte Werk ist, das auf Bestellung komponiert wurde. Joseph Hellmesberger sen. hat Bruckner beharrlich zur Komposition gedrängt. Hellmesberger, eine der am besten vernetzten Protagonisten des Wiener Musiklebens, war Ende der 1870er Jahre Direktor des Wiener Konservatoriums, Konzertmeister des Hofopernorchesters (und damit auch der Wiener Philharmoniker), und überdies Kapellmeister der Hofmusikkapelle. Außerdem war er Primarius des führenden Wiener Streichquartetts jener Epoche, des Hellmesberger-Quartetts, Uraufführungs-Ensemble auch für Werke aus der Feder von Brahms oder Dvořák.
Hellmesberger war als Bruckners Kollege und Chef am Konservatorium und – nachdem Bruckner in der Hofkapelle den Orgeldienst versah – ständig mit ihm bei der Ausgestaltung der kaiserlichen Messfeiern in Kontakt. Von Hellmesberger sind lobende Worte über Bruckner als »Lehrer von höchstem Kaliber« überliefert. Die geistlichen Werke hat Hellmesberger bewundert. Er war es, der nach der Aufführung von Bruckners d-Moll-Messe in der Hofkapelle 1880 von einem »wahren Meisterwerk … genial in der Erfindung und großartig in der Ausdruckskraft des Textes« schwärmte.
Hellmesberger war übrigens Mitglied der legendären Prüfungskommission zum Abschluß der Studien des Komponisten bei Simon Sechter: Das Examen fand 1861 an der Orgel der Piaristenkirche statt. Nach Bruckners Fugen-Improvisation über ein achttaktiges Thema meinte damals Johann von Herbeck: »Er hätte uns prüfen sollen!«. Hellmesberger soll damals bereist Bruckner um die Komposition eines Streichquartetts gebeten haben. Dazu kam es nie – lediglich in einem Studienheft hatte der Komponist ein c-Moll-Streichquartett notiert. Für sein einziges reifes Kammermusik-Werk hingegen wählte er wohl aus Gründen der klanglichen Fülle die Besetzung mit einer zweiten Bratsche.
Nach Vollendung der Partitur im Jahr 1879 berichtete der Komponist euphorisch an einen Freund.
Mein Quintett ist fertig! Hofkapellm. Hellmesberger ist ganz aus den Fugen vor Freude, u wills aufführen. Er ist total umgeändert, u zeichnet mich riesig aus.
Uraufführung in Etappen
Doch Hellmesberger zögerte. Die Uraufführung des Quintetts spielte denn auch nicht das Ensembles Hellmesbergers, sondern das Winkler-Quartett am 17. November 1881 im Rahmen eines »Privatabends« des Wiener Akademischen Wagner-Vereins im Bösendorfer-Saal statt. Allerdings kamen nur drei Sätze in ungewöhnlicher Reihenfolge zur Aufführung: Dem Kopfsatz folgte das Adagio, man schloß mit dem Scherzo – das Finale kam nicht an die Reihe…
Alle vier Sätze in ihrer endgültigen Reihenfolge fand erst am 5. April 1884 statt. Erneut war der Wagner-Vereins Gastgeber im Bösendorfer-Saal, erneut spielte das Winkler-Quartett – diesmal mit Franz Schalk als zweitem Bratschisten. Der Erlös dieses Abends kam der Drucklegung der Partitur des Quintetts zugute.
Die Kritik war, wie meist, gespalten. Kritikerpapst Eduard Hanslick, der bereits die Generalprobe der ersten Aufführung besucht hatte, wo Bruckner angeblich versucht haben soll, seinem Erzfeind die Hand zu küssen, blieb höchst skeptisch. Theodor Helm hingegen pries die Qualitäten Bruckners und schwärmte vor allem vom langsamen Satz des Werks.
Die Perle des Quintetts aber ist das Adagio (in Ges-Dur), eines der edelsten, verklärtesten, zartesten und klangschönsten, die in neuerer Zeit überhaupt geschrieben wurden
Ein neues Intermezzo
Hellmesberger war dafür verantwortlich, daß Bruckner nach Vollendung der Komposition noch einen Nachtrag lieferte. Hellmesberger hatte das Quintett mit seinem Ensemble probiert und war zu dem Schluß gekommen, das Scherzo sei »unspielbar«. Bruckner lieferte daraufhin ein neues »Intermezzo« in d-Moll – das gesondert publiziert wurde. Ironischerweise zeigte sich Hellmesberger nach der zweiten Aufführung durch das Winkler-Quartett überzeugt, doch die ursprüngliche Version des Werks mit dem Scherzo aufzuführen: In den Abonnementkonzerten seines Streichquartetts erklang Bruckners Quintett erstmals am 5. Jänner 1885.
Das Intermezzo erklang erst lange nach Bruckners Tod – in einem Konzert des Fitzner-Quartetts, 1904 – das erste Mal. Manche Ensembles haben es ihren Aufnahmen des Werks als »Zugabe« angefügt. Etwa das Wiener Konzerthausquartett in seinem Aufnahme-Klassiker von 1956.
- Gemäßigt. Moderato Wiener Konzerthausquartett F. Stangler (1956)
- Scherzo. Schnell – Trio. Langsamer Wiener Konzerthausquartett F. Stangler (1956)
- Adagio Wiener Konzerthausquartett F. Stangler (1956)
- Finale. Lebhaft bewegt Wiener Konzerthausquartett F. Stangler (1956)
- Intermezzo (1879) Wiener Konzerthausquartett F. Stangler (1956)