Archiv der Kategorie: Rezensionen
»Das Buch mit sieben Siegeln« unter Fabio Luisi

Die Apokalypse und wie sie uns heute unter die Haut geht
Im Wiener Konzerthaus vereinigten sich Singverein und Singakademie, um mit den Symphonikern Franz Schmidts Oratorium »Das Buch mit sieben Siegeln« aufzuführen. Eine etwas zu spät gekommene aber eindrucksvolle Ehrung zum 150. Geburtstag des Komponisten.
Petrenko in Salzburg: Mahlers Neunte in Vollendung

Salzburger Festspiele. Vor mehr als 40 Jahren hielten wir bei Mahlers Neunter mit den Berliner Philharmonikern unter Herbert von Karajan den Atem an. Nun stürmte das Orchester den Gipfel unter Kirill Petrenko erneut – über eine andere Bergwand…
Igor Levit in Salzburg, 2025
Salzburger Festspiele +++ Igor Levit +++ Klavierabend

Die Verwirrung aller Musikgefühle
Der Pianist widmete sein offizielles Salzburger Festspiel-Recital Anno 2025 Exzessivem von Schubert, Schumann und Chopin.
Riccardo Muti mit Schubert und Bruckner in Salzburg
Was ist Größe in der Musik?
Salzburger Festspiele. Riccardo Muti, am 15. Augst längst Fixstarter am Pult der Philharmoniker im Festspielhaus, dirigierte 2025 Schuberts Vierte und Bruckners f-Moll-Messe.
Muti, Schubert, Bruckner – die Verbindungslinien scheinen uns heutzutage so vertraut wie der Auftritt des Maestro in der traditionellen philharmonischen Matinee am 15. August im Festspielhaus. Dieser Termin war einst ganz selbstverständlich Herbert von Karajan vorbehalten. Chefsache, sozusagen. Die Festspielbesucher hätten gestaunt, hätte damals einer zu prophezeien gewagt, der Mann aus Neapel könnte einmal zum logischen Karajan-Nachfolger werden, zu jener Respektsperson, auf deren Intentionen sich das selbstbewusste Wiener Orchester am Höhepunkt der Festspiele willig einläßt.
Peter Sellars und kein Plan für Schönberg

Festspielpremiere. Nur der Titel des Abends gab Rätsel auf: „One Morning Turns into an Eternity“. Der Rest war eine Zeitreise an die Wurzeln der Moderne, die akustisch viel, szenisch kaum etwas hergab.
Die Presse, Juli 2025
Auf seine alten Tage wird unser Peter Sellars noch zur Helikoptermutter der Stücke, die er inszeniert. Wo sind die Zeiten geblieben, als er Mozarts Daponte-Zyklus in eine zeitgeistige theatralische Kaugummiblase verwandelt hat? Das war damals irritierend für viele.
Anno 25 hingegen begab es sich in der Felsenreitschule, daß der Regisseur und sein Team so freundlich beklatscht wurden wie Dirigent und Sängerinnen. Und das für einen Abend, der nach knapp 70 Minuten auch schon wieder zu Ende war, nachdem kurz und schmerzlos Arnold Schönbergs Monodram »Erwartung« mit dem letzten Satz von Gustav Mahlers »Lied von der Erde« kombiniert worden war. Verbunden durch eine Aufführung von Anton von Weberns fünf Orchesterstücken op.10, noch kürzer, noch schmerzloser; viele im Publikum haben gar nicht bemerkt, daß sie überhaupt gespielt wurden.
Die Leiden des Ödipus und unsere Irrtümer
»Ouverture spirituelle«. Strawinskys überwältigender „Oedipus Rex“ traf auf Berlioz’ „Symphonie fantastique“: Schicksalsmacht gegen Künstlerleben.
Vom Schicksal handeln die Programme der diesjährigen »spirituellen« Eröffnungswoche der Salzburger Festspiele. Lorenzo Viotti hatte für seinen Auftritt an der Spitze der Wiener Philharmoniker und der Herren des Singvereins eine ebenso kluge wie überraschende Programmierung gewählt: Igor Strawinskys Oedipus Rex sollte neben Peter Iljitsch Tschaikowskys Vierter Symphonie stehen. Das schien manchem Musikfreund befremdlich. Der Avantgardist mit einem Werk aus seiner neoklassizistisch »geläuterten« Phase und der russische Romantiker? Wie sollte das zusammengehen?
Salzburger Festspiele mit dem »Floß der Medusa« eröffnet
Hans Werner Henzes Oratorium ist vom politischen Aufreger des Jahres 1968 zu einem Schlüsselwerk der Moderne geworden. Die Festspiele hätten kaum eine bewegendere Eröffnung gestalten können.

Aus dem kommunistischen ist längst ein humanistisches Manifest geworden. „Das Floß der Medusa“ erzählt die Geschichte der von einer selbstsüchtigen Offizierskaste auf offenem Meer ausgesetzten Mannschaft einer gescheiterten Fregatte. Sie hat sich tatsächlich ereignet und galt anno 1816 als Beweis für die Haltlosigkeit einer Restitution der französischen Bourbonen-Herrschaft. Wer so mit seinem Volk umging, hatte das Recht auf Regentschaft längst verspielt.
Thielemann und die Liebesbeziehung zu seinem neuen Orchester
Die Staatskapelle Berlin gastierte erstmals unter der Leitung ihres neuen Chefs in Wien und brillierte im Musikverein mit Strauss und Bruckner. Erin Morley hatte es schwer, mit ihrer hellen, beweglichen Sopranstimme gegen die vielfältigen Klangzaubereien der Musiker.
„Wunder muss ich euch melden“, singt Siegfried in der „Götterdämmerung“ – manchmal sehr zu Recht. Nach der Premiere der jüngsten Neuinszenierung von Wagners „Ring des Nibelungen“ an der Berliner Lindenoper raunten die Kenner sich jedenfalls zu: Der neue Generalmusikdirektor sei gefunden: Christian Thielemann war für den Berliner Langzeit-Opernchef Daniel Barenboim eingesprungen und hatte triumphiert. Nicht nur beim Publikum. Auch die Orchestermitglieder äußerten sich euphorisch.
SO DURCHKREUZT MAN POLITIKER-PLÄNE
So durchkreuzte letztlich die normative Kraft des Faktischen längst geschmiedete kulturpolitischen Pläne – Thielemann, er war niemals der Wunschkandidat deutscher (und leider auch nicht österreichischer) Politiker, wurde Barenboims Nachfolger.
Bestätigung in Wien
Nun kam er das erste Mal mit seiner neuen Staatskapelle nach Wien. Und im Musikverein bestätigten die herrlichsten Klänge alle mirakulösen Erzählungen: Da haben sich wirklich ein Orchester und ein Dirigent auf den ersten Blick gefunden.
Der Trumpf Anna schlägt auch die Pique Dame

In der Wiener Staatsoper erschien Anna Netrebko wieder einmal – und diesmal gerechtfertigt – im Tandem mit Yusif Eyvazov. Tschaikowskys düsteres Spielerdrama nach Puschkin wurde dank beider Interpreten, die ihre Partien erstmals in Wien sangen, zum Ereignis. Zumindest musikalisch.
REZENSION VOM 22. JUNI 2025
Ja, man hört in manchen Passagen, daß die Stimme dem langen Primadonnendienst Tribut zu zollen hat. Und doch und immer noch: Ein Abend, an dem Anna Netrebko auf der Bühne steht, garantiert spannendes Musiktheater. Die Ausdruckskraft dieser Singschauspielerin ist ungebrochen. Und in manchen lyrischen Momenten, die Tschaikowsky den Protagonisten seiner Puschkin-Oper „Pique Dame“ schenkt, tönt der Sopran beinah so geschmeidig und farbenreich wie früher.